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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Abermals zum Heimatschutz

doch aufzuweisen haben, wenn ihre Verbreitung im Laufe der Jahre so be¬
deutend geworden ist.

Aber darum handelt es sich ja gar nicht, sondern vielmehr darum, in
welchem Verhältnis der praktische Gewinn dieses Vorgehens zu dem idealen
Verlust steht, der überall sein trauriger Begleiter ist. Von nichts andern:
spricht meine Schrift "Heimatschutz" als von dem Überwuchern materialistischer
Gesinnung, die dem Nutzen, dem Geldgewinn gegenüber alle Güter des Gemüts
und des Geistes für nichts achtet und das Gefühl für das, was wir in dem
Wort "Heimat" zusammenfassen, vernichten will. Eine der verschiednen Ge¬
stalten, unter denen das zur Erscheinung kommt, ist der rücksichtslose Realismus
auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiete.

Wenn der Verfasser sagt, es lohne sich uicht, den Touristen zu Liebe
eine Waldwiese zu erhalten, da noch nicht fünf vom Hundert wirklichen Natur¬
sinn hätten, so bin ich freilich anch seiner Meinung. Ich glaube mich über
die Wertlosigkeit dieser Art von angeblicher Naturverehrung so stark ausge¬
sprochen zu haben, daß ich seinen Einwand hier kaum verstehe. Umgekehrt
aber kauu ich es uur ganz natürlich finden, wenn, wie erwähnt wird, "der
Vorsitzende einer Generalversammlung hannoverscher Touristenvereine mit seinen
Bemühungen, die Feldmark Hameln vor der Verkopplung zu bewahren, in der
Touristenversammlung unverstanden geblieben ist." Ja es ist kein Wunder,
wenn der großstädtische Durchschuittsreisende, der im Schnellzuge das Land
durchsaust, um irgend eine offizielle Sommerfrische zu erreichen, von den
Wunden, die die Verkopplungen und Gemeinheitsteilungen der Landschaft
schlagen, überhaupt kaum etwas gewahr wird. Jedenfalls vermag er sie sich
nicht zu erklären. Nur wer auf dem Lande groß geworden ist, hat dafür das
volle Verständnis. Ich erinnere an die Verse von Hoffmann von Fallersleben,
die ich in meinem Aufsatz angeführt habe, in denen der Dichter über die Ver¬
ödung klagt, die diese Maßregeln über die Fluren seiner ländlichen Heimat
gebracht habe. Es wird mir zwar entgegengehalten, der Bauer würde "vor
Erstaunen sprachlos sein," wenn man ihm sein Bedauern ausdrücken wollte
über poetische Einbußen, die die Landschaft bei der Verkopplung erlitten
habe. Das hat den Schein der Wahrheit für sich. Es giebt der hartgesottnen
Realisten unter den Bauern ohne Frage die Hülle und Fülle (wie übrigens
in allen andern Ständen ebenso, wo sie sich nur etwas schamhafter geberden);
und auch das ist gewiß, daß selbst dem anders fühlenden das Poetische
in ihm kaum zum Bewußtsein kommt. Das hindert aber nicht, daß es vor¬
handen ist. Der Baum, unter dem man über Mittag Schatten gefunden,
der Haselnußstrauch in der Hecke, den man als Knabe geplündert hat, und
die tausend andern kleinen Züge der Landschaft, die ihre geheimen Reize
bilden, sind mit seinen Erinnerungen, seinem Fühlen und Denken verflochten,
mehr als er sich davon Rechenschaft giebt oder es gar ausspricht. Aber


Abermals zum Heimatschutz

doch aufzuweisen haben, wenn ihre Verbreitung im Laufe der Jahre so be¬
deutend geworden ist.

Aber darum handelt es sich ja gar nicht, sondern vielmehr darum, in
welchem Verhältnis der praktische Gewinn dieses Vorgehens zu dem idealen
Verlust steht, der überall sein trauriger Begleiter ist. Von nichts andern:
spricht meine Schrift „Heimatschutz" als von dem Überwuchern materialistischer
Gesinnung, die dem Nutzen, dem Geldgewinn gegenüber alle Güter des Gemüts
und des Geistes für nichts achtet und das Gefühl für das, was wir in dem
Wort „Heimat" zusammenfassen, vernichten will. Eine der verschiednen Ge¬
stalten, unter denen das zur Erscheinung kommt, ist der rücksichtslose Realismus
auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiete.

Wenn der Verfasser sagt, es lohne sich uicht, den Touristen zu Liebe
eine Waldwiese zu erhalten, da noch nicht fünf vom Hundert wirklichen Natur¬
sinn hätten, so bin ich freilich anch seiner Meinung. Ich glaube mich über
die Wertlosigkeit dieser Art von angeblicher Naturverehrung so stark ausge¬
sprochen zu haben, daß ich seinen Einwand hier kaum verstehe. Umgekehrt
aber kauu ich es uur ganz natürlich finden, wenn, wie erwähnt wird, „der
Vorsitzende einer Generalversammlung hannoverscher Touristenvereine mit seinen
Bemühungen, die Feldmark Hameln vor der Verkopplung zu bewahren, in der
Touristenversammlung unverstanden geblieben ist." Ja es ist kein Wunder,
wenn der großstädtische Durchschuittsreisende, der im Schnellzuge das Land
durchsaust, um irgend eine offizielle Sommerfrische zu erreichen, von den
Wunden, die die Verkopplungen und Gemeinheitsteilungen der Landschaft
schlagen, überhaupt kaum etwas gewahr wird. Jedenfalls vermag er sie sich
nicht zu erklären. Nur wer auf dem Lande groß geworden ist, hat dafür das
volle Verständnis. Ich erinnere an die Verse von Hoffmann von Fallersleben,
die ich in meinem Aufsatz angeführt habe, in denen der Dichter über die Ver¬
ödung klagt, die diese Maßregeln über die Fluren seiner ländlichen Heimat
gebracht habe. Es wird mir zwar entgegengehalten, der Bauer würde „vor
Erstaunen sprachlos sein," wenn man ihm sein Bedauern ausdrücken wollte
über poetische Einbußen, die die Landschaft bei der Verkopplung erlitten
habe. Das hat den Schein der Wahrheit für sich. Es giebt der hartgesottnen
Realisten unter den Bauern ohne Frage die Hülle und Fülle (wie übrigens
in allen andern Ständen ebenso, wo sie sich nur etwas schamhafter geberden);
und auch das ist gewiß, daß selbst dem anders fühlenden das Poetische
in ihm kaum zum Bewußtsein kommt. Das hindert aber nicht, daß es vor¬
handen ist. Der Baum, unter dem man über Mittag Schatten gefunden,
der Haselnußstrauch in der Hecke, den man als Knabe geplündert hat, und
die tausend andern kleinen Züge der Landschaft, die ihre geheimen Reize
bilden, sind mit seinen Erinnerungen, seinem Fühlen und Denken verflochten,
mehr als er sich davon Rechenschaft giebt oder es gar ausspricht. Aber


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[0123] Abermals zum Heimatschutz doch aufzuweisen haben, wenn ihre Verbreitung im Laufe der Jahre so be¬ deutend geworden ist. Aber darum handelt es sich ja gar nicht, sondern vielmehr darum, in welchem Verhältnis der praktische Gewinn dieses Vorgehens zu dem idealen Verlust steht, der überall sein trauriger Begleiter ist. Von nichts andern: spricht meine Schrift „Heimatschutz" als von dem Überwuchern materialistischer Gesinnung, die dem Nutzen, dem Geldgewinn gegenüber alle Güter des Gemüts und des Geistes für nichts achtet und das Gefühl für das, was wir in dem Wort „Heimat" zusammenfassen, vernichten will. Eine der verschiednen Ge¬ stalten, unter denen das zur Erscheinung kommt, ist der rücksichtslose Realismus auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiete. Wenn der Verfasser sagt, es lohne sich uicht, den Touristen zu Liebe eine Waldwiese zu erhalten, da noch nicht fünf vom Hundert wirklichen Natur¬ sinn hätten, so bin ich freilich anch seiner Meinung. Ich glaube mich über die Wertlosigkeit dieser Art von angeblicher Naturverehrung so stark ausge¬ sprochen zu haben, daß ich seinen Einwand hier kaum verstehe. Umgekehrt aber kauu ich es uur ganz natürlich finden, wenn, wie erwähnt wird, „der Vorsitzende einer Generalversammlung hannoverscher Touristenvereine mit seinen Bemühungen, die Feldmark Hameln vor der Verkopplung zu bewahren, in der Touristenversammlung unverstanden geblieben ist." Ja es ist kein Wunder, wenn der großstädtische Durchschuittsreisende, der im Schnellzuge das Land durchsaust, um irgend eine offizielle Sommerfrische zu erreichen, von den Wunden, die die Verkopplungen und Gemeinheitsteilungen der Landschaft schlagen, überhaupt kaum etwas gewahr wird. Jedenfalls vermag er sie sich nicht zu erklären. Nur wer auf dem Lande groß geworden ist, hat dafür das volle Verständnis. Ich erinnere an die Verse von Hoffmann von Fallersleben, die ich in meinem Aufsatz angeführt habe, in denen der Dichter über die Ver¬ ödung klagt, die diese Maßregeln über die Fluren seiner ländlichen Heimat gebracht habe. Es wird mir zwar entgegengehalten, der Bauer würde „vor Erstaunen sprachlos sein," wenn man ihm sein Bedauern ausdrücken wollte über poetische Einbußen, die die Landschaft bei der Verkopplung erlitten habe. Das hat den Schein der Wahrheit für sich. Es giebt der hartgesottnen Realisten unter den Bauern ohne Frage die Hülle und Fülle (wie übrigens in allen andern Ständen ebenso, wo sie sich nur etwas schamhafter geberden); und auch das ist gewiß, daß selbst dem anders fühlenden das Poetische in ihm kaum zum Bewußtsein kommt. Das hindert aber nicht, daß es vor¬ handen ist. Der Baum, unter dem man über Mittag Schatten gefunden, der Haselnußstrauch in der Hecke, den man als Knabe geplündert hat, und die tausend andern kleinen Züge der Landschaft, die ihre geheimen Reize bilden, sind mit seinen Erinnerungen, seinem Fühlen und Denken verflochten, mehr als er sich davon Rechenschaft giebt oder es gar ausspricht. Aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/123>, abgerufen am 17.06.2024.