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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Abermals zum Heimatschutz

wenn die Feldmark völlig kahl, das Landbauer völlig zum nackten Geschäft
geworden, der Acker zur Ware erniedrigt ist, dann dürfte es sich doch zeigen,
daß auch in dem Herzen des Landmanns etwas vorhanden war, das ersterben
mußte, weil es keine Nahrung mehr fand. Man klagt darüber, daß sich die
Seßhaftigkeit des Landvolks immer mehr lockere. Neben andern schwerer
wiegenden Gründen und neben der Aufhebung unveräußerlicher Besitzverhält¬
nisse, wie sie durch Gemeinheitsteilnng und Forstabfinduug bewirkt wird, darf
man ohne Zweifel auch die Reizlosigkeit der rationell umgemodelten Natur
dafür zur Verantwortung ziehen. Wäre es nicht so, es würden nicht Männer
wie Rosegger und Hansjakob, die beide als Gebirgsbauernsöhne auf die Welt
gekommen sind, über die Poesie, die im Landvolke steckt, so sprechen, wie sie
es thun. Das Heiniweh des schweizerischen Sennbuben nach seinen Bergen
ist sprichwörtlich; scheinbar entgegengesetzt und doch demselben Grunde der
Naturempfindung entstammend ist die Sehnsucht des Halligbewohners nach der
schwermütig großen Meereseinsamkeit seiner Heimatsinsel. Und wenn Kügelgen
in seinen Jugenderinnerungen von einer braven esthnischen Dienstmagd berichtet,
die mit seiner Familie von Esthland nach Dresden übergesiedelt war, schließlich
aber, trotz aller Annehmlichkeiten, trotz aller Güte und Freundlichkeit, die sie
dort erfuhr, und obwohl ihre sämtlichen Angehörigen in der Heimat gestorben
waren, dennoch vom "Bohrwurm ihres Heimwehs" getrieben nach dem "wilden,
unfruchtbaren, abgelegnen" Lande ihrer Jugend zurückkehrte, so beweist der
spöttelnde Ton, in dem er das vortrüge, nur, daß in der Bauernmagd ein
tieferes, innigeres Heimatsgefühl steckte, als in dem gebildeten Allcrweltsstädter,
der das Empfindungsleben des Landvolks zu verstehen verlernt hatte.

Das Landvolk im weitern Sinne begreift freilich außer den Bauern auch
noch andre Leute, Geistliche, Lehrer, Beamte, Handwerker in sich -- wenn
auch leider der moderne Staat, wie beispielsweise durch die Aufhebung der
Ämterverfassung in Hannover, genug dafür sorgt, daß die kleinen gesell¬
schaftlichen Mittelpunkte auf dem Lande mehr und mehr verschwinden. Aber
der Bauer, der Landmann selbst bleibt doch der eigentliche Träger urwüchsiger
Kraft, und solange die Welt steht, sind die ersten Dichter und Künstler, die
ersten Männer der Wissenschaft, die durch ihre Geistesthaten ihrem Volke seinen
Platz in der Geschichte für alle Ewigkeit angewiesen haben, aus diesem Ur¬
gründe der Volkskraft aufgestiegen. Glaubt man wirklich, daß der Nachwuchs
unter keinen Umstünden ausbleiben werde? So gewiß wie Buchen und Eichen
nicht in Blumentöpfen gedeihen, so gewiß wird Poesie niemals auf dem
Boden einer verkleinlichten, entwürdigten Natur aufsprießen.

Also nicht um der Touristen und der Bauern als solcher willen, sondern
zum Besten der Menschen, zum Besten des ganzen Volkes bleibt es eine
Pflicht, die Heimat nach Möglichkeit in ungebrochner Frische und Schön¬
heit zu erhalten. Es ist ja nicht die Rede davon, daß jede Bachkrümmung,


Abermals zum Heimatschutz

wenn die Feldmark völlig kahl, das Landbauer völlig zum nackten Geschäft
geworden, der Acker zur Ware erniedrigt ist, dann dürfte es sich doch zeigen,
daß auch in dem Herzen des Landmanns etwas vorhanden war, das ersterben
mußte, weil es keine Nahrung mehr fand. Man klagt darüber, daß sich die
Seßhaftigkeit des Landvolks immer mehr lockere. Neben andern schwerer
wiegenden Gründen und neben der Aufhebung unveräußerlicher Besitzverhält¬
nisse, wie sie durch Gemeinheitsteilnng und Forstabfinduug bewirkt wird, darf
man ohne Zweifel auch die Reizlosigkeit der rationell umgemodelten Natur
dafür zur Verantwortung ziehen. Wäre es nicht so, es würden nicht Männer
wie Rosegger und Hansjakob, die beide als Gebirgsbauernsöhne auf die Welt
gekommen sind, über die Poesie, die im Landvolke steckt, so sprechen, wie sie
es thun. Das Heiniweh des schweizerischen Sennbuben nach seinen Bergen
ist sprichwörtlich; scheinbar entgegengesetzt und doch demselben Grunde der
Naturempfindung entstammend ist die Sehnsucht des Halligbewohners nach der
schwermütig großen Meereseinsamkeit seiner Heimatsinsel. Und wenn Kügelgen
in seinen Jugenderinnerungen von einer braven esthnischen Dienstmagd berichtet,
die mit seiner Familie von Esthland nach Dresden übergesiedelt war, schließlich
aber, trotz aller Annehmlichkeiten, trotz aller Güte und Freundlichkeit, die sie
dort erfuhr, und obwohl ihre sämtlichen Angehörigen in der Heimat gestorben
waren, dennoch vom „Bohrwurm ihres Heimwehs" getrieben nach dem „wilden,
unfruchtbaren, abgelegnen" Lande ihrer Jugend zurückkehrte, so beweist der
spöttelnde Ton, in dem er das vortrüge, nur, daß in der Bauernmagd ein
tieferes, innigeres Heimatsgefühl steckte, als in dem gebildeten Allcrweltsstädter,
der das Empfindungsleben des Landvolks zu verstehen verlernt hatte.

Das Landvolk im weitern Sinne begreift freilich außer den Bauern auch
noch andre Leute, Geistliche, Lehrer, Beamte, Handwerker in sich — wenn
auch leider der moderne Staat, wie beispielsweise durch die Aufhebung der
Ämterverfassung in Hannover, genug dafür sorgt, daß die kleinen gesell¬
schaftlichen Mittelpunkte auf dem Lande mehr und mehr verschwinden. Aber
der Bauer, der Landmann selbst bleibt doch der eigentliche Träger urwüchsiger
Kraft, und solange die Welt steht, sind die ersten Dichter und Künstler, die
ersten Männer der Wissenschaft, die durch ihre Geistesthaten ihrem Volke seinen
Platz in der Geschichte für alle Ewigkeit angewiesen haben, aus diesem Ur¬
gründe der Volkskraft aufgestiegen. Glaubt man wirklich, daß der Nachwuchs
unter keinen Umstünden ausbleiben werde? So gewiß wie Buchen und Eichen
nicht in Blumentöpfen gedeihen, so gewiß wird Poesie niemals auf dem
Boden einer verkleinlichten, entwürdigten Natur aufsprießen.

Also nicht um der Touristen und der Bauern als solcher willen, sondern
zum Besten der Menschen, zum Besten des ganzen Volkes bleibt es eine
Pflicht, die Heimat nach Möglichkeit in ungebrochner Frische und Schön¬
heit zu erhalten. Es ist ja nicht die Rede davon, daß jede Bachkrümmung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/124>, abgerufen am 17.06.2024.