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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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John Brinckman

jede Waldwiese, jeder malerische alte Weg um jeden Preis unversehrt bleiben
müßte, sondern davon, daß man keine Verordnungen geben sollte, die
dahin führen, daß von allen diesen Dingen bald überhaupt nichts mehr zu
sinden sein wird, daß Schönheit und Poesie völlig zwecklos oder um eines
geringfügigen materiellen Vorteils willen hingeopfert werden. Eine tiefer
blickende Staatsweisheit würde sich nicht bei einem Schablonenhaften Verfahren
beruhigen, das wie das heute beliebte, von dem einseitigsten materiellen Ge¬
sichtspunkte ausgehend, die Erde so zuschreitet, wie es vom grünen Tisch aus
gesehen das passendste zu sein scheint. Sie würde vielmehr nicht rasten, bis
eine Form gefunden wäre, die es ermöglichte, die wirklich wünschenswerten
landwirtschaftlichen Verbesserungen den bäuerlichen Gemeinden zuzuführen, ohne
daß darüber die natürliche Anmut der Landschaft preis gegeben werden müßte.
Von Fall zu Fall müßte operirt werden, nicht nach abstrakter Theorie. Daß
dies schwieriger durchzuführen sein würde, als alles über einen Kamm zu
scheren, versteht sich von selbst. Aber es würde sich lohnen.

Ich schließe mit den Worten, die ein ausgezeichneter Mann nach Ver¬
öffentlichung des "Heimatschntzes" an mich richtete: "Sie haben den Zeit¬
genossen einen Spiegel vorgehalten und den Schaden aufgedeckt, der unaus¬
bleiblich als eine geistige Verarmung und als ein Ersterben des Sinnes für
die Schönheit der Schöpfung Gottes eintritt, wenn Nutzen und Gewinn und
sinnlicher Genuß die stärksten Motive sind für die menschliche Thatkraft."


<L. R.


John Brinckman
Ernst Brandes von

le plattdeutsche Litteratur ist keineswegs so jung, wie die Durch-
schnittsbildung zu glauben pflegt, denn es hat fast zu allen
Zeiten tüchtige Persönlichkeiten in Niederdeutschland gegeben, die
dem gemeinen Mann "aufs Maul zu sehen" verstanden und in
seiner Sprache schrieben. Eine wirkliche und nachhaltige Be¬
deutung für die Litteraturgeschichte haben allerdings die plattdeutschen Schrift¬
steller erst seit der Mitte dieses Jahrhunderts gewonnen, nachdem das Platt¬
deutsche als Umgangssprache in weitern Kreisen, besonders in den größern
Küstenstädten Norddeutschlands allmählich den Boden verloren hatte -- eine


John Brinckman

jede Waldwiese, jeder malerische alte Weg um jeden Preis unversehrt bleiben
müßte, sondern davon, daß man keine Verordnungen geben sollte, die
dahin führen, daß von allen diesen Dingen bald überhaupt nichts mehr zu
sinden sein wird, daß Schönheit und Poesie völlig zwecklos oder um eines
geringfügigen materiellen Vorteils willen hingeopfert werden. Eine tiefer
blickende Staatsweisheit würde sich nicht bei einem Schablonenhaften Verfahren
beruhigen, das wie das heute beliebte, von dem einseitigsten materiellen Ge¬
sichtspunkte ausgehend, die Erde so zuschreitet, wie es vom grünen Tisch aus
gesehen das passendste zu sein scheint. Sie würde vielmehr nicht rasten, bis
eine Form gefunden wäre, die es ermöglichte, die wirklich wünschenswerten
landwirtschaftlichen Verbesserungen den bäuerlichen Gemeinden zuzuführen, ohne
daß darüber die natürliche Anmut der Landschaft preis gegeben werden müßte.
Von Fall zu Fall müßte operirt werden, nicht nach abstrakter Theorie. Daß
dies schwieriger durchzuführen sein würde, als alles über einen Kamm zu
scheren, versteht sich von selbst. Aber es würde sich lohnen.

Ich schließe mit den Worten, die ein ausgezeichneter Mann nach Ver¬
öffentlichung des „Heimatschntzes" an mich richtete: „Sie haben den Zeit¬
genossen einen Spiegel vorgehalten und den Schaden aufgedeckt, der unaus¬
bleiblich als eine geistige Verarmung und als ein Ersterben des Sinnes für
die Schönheit der Schöpfung Gottes eintritt, wenn Nutzen und Gewinn und
sinnlicher Genuß die stärksten Motive sind für die menschliche Thatkraft."


<L. R.


John Brinckman
Ernst Brandes von

le plattdeutsche Litteratur ist keineswegs so jung, wie die Durch-
schnittsbildung zu glauben pflegt, denn es hat fast zu allen
Zeiten tüchtige Persönlichkeiten in Niederdeutschland gegeben, die
dem gemeinen Mann „aufs Maul zu sehen" verstanden und in
seiner Sprache schrieben. Eine wirkliche und nachhaltige Be¬
deutung für die Litteraturgeschichte haben allerdings die plattdeutschen Schrift¬
steller erst seit der Mitte dieses Jahrhunderts gewonnen, nachdem das Platt¬
deutsche als Umgangssprache in weitern Kreisen, besonders in den größern
Küstenstädten Norddeutschlands allmählich den Boden verloren hatte — eine


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[0125] John Brinckman jede Waldwiese, jeder malerische alte Weg um jeden Preis unversehrt bleiben müßte, sondern davon, daß man keine Verordnungen geben sollte, die dahin führen, daß von allen diesen Dingen bald überhaupt nichts mehr zu sinden sein wird, daß Schönheit und Poesie völlig zwecklos oder um eines geringfügigen materiellen Vorteils willen hingeopfert werden. Eine tiefer blickende Staatsweisheit würde sich nicht bei einem Schablonenhaften Verfahren beruhigen, das wie das heute beliebte, von dem einseitigsten materiellen Ge¬ sichtspunkte ausgehend, die Erde so zuschreitet, wie es vom grünen Tisch aus gesehen das passendste zu sein scheint. Sie würde vielmehr nicht rasten, bis eine Form gefunden wäre, die es ermöglichte, die wirklich wünschenswerten landwirtschaftlichen Verbesserungen den bäuerlichen Gemeinden zuzuführen, ohne daß darüber die natürliche Anmut der Landschaft preis gegeben werden müßte. Von Fall zu Fall müßte operirt werden, nicht nach abstrakter Theorie. Daß dies schwieriger durchzuführen sein würde, als alles über einen Kamm zu scheren, versteht sich von selbst. Aber es würde sich lohnen. Ich schließe mit den Worten, die ein ausgezeichneter Mann nach Ver¬ öffentlichung des „Heimatschntzes" an mich richtete: „Sie haben den Zeit¬ genossen einen Spiegel vorgehalten und den Schaden aufgedeckt, der unaus¬ bleiblich als eine geistige Verarmung und als ein Ersterben des Sinnes für die Schönheit der Schöpfung Gottes eintritt, wenn Nutzen und Gewinn und sinnlicher Genuß die stärksten Motive sind für die menschliche Thatkraft." <L. R. John Brinckman Ernst Brandes von le plattdeutsche Litteratur ist keineswegs so jung, wie die Durch- schnittsbildung zu glauben pflegt, denn es hat fast zu allen Zeiten tüchtige Persönlichkeiten in Niederdeutschland gegeben, die dem gemeinen Mann „aufs Maul zu sehen" verstanden und in seiner Sprache schrieben. Eine wirkliche und nachhaltige Be¬ deutung für die Litteraturgeschichte haben allerdings die plattdeutschen Schrift¬ steller erst seit der Mitte dieses Jahrhunderts gewonnen, nachdem das Platt¬ deutsche als Umgangssprache in weitern Kreisen, besonders in den größern Küstenstädten Norddeutschlands allmählich den Boden verloren hatte — eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/125>, abgerufen am 17.06.2024.