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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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John Brinckman

zeitig Gymnasiallehrer), wie mancher mir von meinem Vater mitgeteilte Scherz
beweist. Der beliebteste Lehrer war damals or. Wilbrcmdt, der Vater Adolf
Wilbrandts, und bei ihm -- wenn ich nicht irre -- hat sich anch der junge,
etwa sechzehnjährige John Brinckman durch einen deutschen Aufsatz über die
Freiheitskämpfe der alten und der modernen Griechen so ausgezeichnet, daß
seine Mitschüler noch als alte Leute von der Schärfe seines Urteils und der
Kraft seiner Darstellung sprachen, mit der er im Gegensatz zu der allgemeinen
Griechenverhimmlung die außerordentliche Verschiedenheit der modernen Griechen
und Griechenkriege von den alten betont hatte. Verrat sich darin Frühreife,
ja fast ein genialer Weit- und Tiefblick, so zeigt das Interesse, das der Knabe
schon an einer so abenteuerlichen Figur wie der des großartigen, sich zum
Mittelpunkt aller Dinge machenden Lügenboldes Peter Lorenz nahm, eine be¬
sondre Empfänglichkeit für alles außergewöhnliche und eine scharfe Erfassung
höchst eigentümlicher Individualitäten (s. Peter Lurenz bi Abukir, Kleine Er¬
zählungen, besonders S. 303).

spätestens mit 17^ Jahren, also Ostern 1835, muß Brinckman die
Universität Rostock bezogen haben, wo er bald vom Recht zum Studium der
neuern Sprachen und Litteraturen überging. Doch litt es ihn nicht mehr
lange in der Heimat: die Enge der mecklenburgischen und besonders der
Rostocker Verhältnisse, über die er mit vielen andern stets geklagt hat, trieb
den wanderlustigen in die Ferne und zwar zunächst nach England. Von dort
ging er nach Newhork, wo er sieben Jahre als Sekretär der brasilianischen
Gesandtschaft arbeitete und sich innerlich und äußerlich als Englishman ver¬
vollkommnete. Die englische Litteratur ist denn auch seine besondre Liebe und
Stärke geblieben, wie sich überall in seinen Werken zeigt; andrerseits hat er
später anch in kleinen und fast ärmlichen Verhältnissen mit einer gewissen Ab¬
sichtlichkeit den Weltmann und den "John" betont und zur Schau getragen.
Als ihn dann 1846 nach etwa neun Wanderjahren das Heimweh wieder nach
Mecklenburg zurücktrieb, fand er in den alten Verhältnissen für sich nur
kümmerlich Platz; er wurde zunächst -- fast mit dreißig Jahren! -- Haus¬
lehrer und errichtete bald darauf eine Privatschule und Pensionsanstalt in
Goldberg. Auch seine Anstellung an der Realschule zu Güstrow (1849) als
Lehrer der neuern Sprachen brachte ihm wenig Gewinn und keinen seiner
Person entsprechenden Wirkungskreis. Die Besoldung war so elend, daß er
in zwanzigjähriger Dienstzeit schließlich nur aus siebenhundert Thaler kam
und seine Kraft deshalb in zahllosen Privatstunden vergeuden mußte, um sich
mit seiner großen Familie einigermaßen durchzuschlagen.

Wie er es aber in seiner äußern und sozialen Entwicklung zeitlebens zu
keiner nennenswerten Stellung gebracht hat, so ist er auch als Dichter in
seinen Erfolgen hinter Klaus Groth und Fritz Reuter weit zurückgeblieben und
eigentlich in weitern Kreisen fast unbekannt am 20. September 1870 in Güstrow


John Brinckman

zeitig Gymnasiallehrer), wie mancher mir von meinem Vater mitgeteilte Scherz
beweist. Der beliebteste Lehrer war damals or. Wilbrcmdt, der Vater Adolf
Wilbrandts, und bei ihm — wenn ich nicht irre — hat sich anch der junge,
etwa sechzehnjährige John Brinckman durch einen deutschen Aufsatz über die
Freiheitskämpfe der alten und der modernen Griechen so ausgezeichnet, daß
seine Mitschüler noch als alte Leute von der Schärfe seines Urteils und der
Kraft seiner Darstellung sprachen, mit der er im Gegensatz zu der allgemeinen
Griechenverhimmlung die außerordentliche Verschiedenheit der modernen Griechen
und Griechenkriege von den alten betont hatte. Verrat sich darin Frühreife,
ja fast ein genialer Weit- und Tiefblick, so zeigt das Interesse, das der Knabe
schon an einer so abenteuerlichen Figur wie der des großartigen, sich zum
Mittelpunkt aller Dinge machenden Lügenboldes Peter Lorenz nahm, eine be¬
sondre Empfänglichkeit für alles außergewöhnliche und eine scharfe Erfassung
höchst eigentümlicher Individualitäten (s. Peter Lurenz bi Abukir, Kleine Er¬
zählungen, besonders S. 303).

spätestens mit 17^ Jahren, also Ostern 1835, muß Brinckman die
Universität Rostock bezogen haben, wo er bald vom Recht zum Studium der
neuern Sprachen und Litteraturen überging. Doch litt es ihn nicht mehr
lange in der Heimat: die Enge der mecklenburgischen und besonders der
Rostocker Verhältnisse, über die er mit vielen andern stets geklagt hat, trieb
den wanderlustigen in die Ferne und zwar zunächst nach England. Von dort
ging er nach Newhork, wo er sieben Jahre als Sekretär der brasilianischen
Gesandtschaft arbeitete und sich innerlich und äußerlich als Englishman ver¬
vollkommnete. Die englische Litteratur ist denn auch seine besondre Liebe und
Stärke geblieben, wie sich überall in seinen Werken zeigt; andrerseits hat er
später anch in kleinen und fast ärmlichen Verhältnissen mit einer gewissen Ab¬
sichtlichkeit den Weltmann und den „John" betont und zur Schau getragen.
Als ihn dann 1846 nach etwa neun Wanderjahren das Heimweh wieder nach
Mecklenburg zurücktrieb, fand er in den alten Verhältnissen für sich nur
kümmerlich Platz; er wurde zunächst — fast mit dreißig Jahren! — Haus¬
lehrer und errichtete bald darauf eine Privatschule und Pensionsanstalt in
Goldberg. Auch seine Anstellung an der Realschule zu Güstrow (1849) als
Lehrer der neuern Sprachen brachte ihm wenig Gewinn und keinen seiner
Person entsprechenden Wirkungskreis. Die Besoldung war so elend, daß er
in zwanzigjähriger Dienstzeit schließlich nur aus siebenhundert Thaler kam
und seine Kraft deshalb in zahllosen Privatstunden vergeuden mußte, um sich
mit seiner großen Familie einigermaßen durchzuschlagen.

Wie er es aber in seiner äußern und sozialen Entwicklung zeitlebens zu
keiner nennenswerten Stellung gebracht hat, so ist er auch als Dichter in
seinen Erfolgen hinter Klaus Groth und Fritz Reuter weit zurückgeblieben und
eigentlich in weitern Kreisen fast unbekannt am 20. September 1870 in Güstrow


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[0127] John Brinckman zeitig Gymnasiallehrer), wie mancher mir von meinem Vater mitgeteilte Scherz beweist. Der beliebteste Lehrer war damals or. Wilbrcmdt, der Vater Adolf Wilbrandts, und bei ihm — wenn ich nicht irre — hat sich anch der junge, etwa sechzehnjährige John Brinckman durch einen deutschen Aufsatz über die Freiheitskämpfe der alten und der modernen Griechen so ausgezeichnet, daß seine Mitschüler noch als alte Leute von der Schärfe seines Urteils und der Kraft seiner Darstellung sprachen, mit der er im Gegensatz zu der allgemeinen Griechenverhimmlung die außerordentliche Verschiedenheit der modernen Griechen und Griechenkriege von den alten betont hatte. Verrat sich darin Frühreife, ja fast ein genialer Weit- und Tiefblick, so zeigt das Interesse, das der Knabe schon an einer so abenteuerlichen Figur wie der des großartigen, sich zum Mittelpunkt aller Dinge machenden Lügenboldes Peter Lorenz nahm, eine be¬ sondre Empfänglichkeit für alles außergewöhnliche und eine scharfe Erfassung höchst eigentümlicher Individualitäten (s. Peter Lurenz bi Abukir, Kleine Er¬ zählungen, besonders S. 303). spätestens mit 17^ Jahren, also Ostern 1835, muß Brinckman die Universität Rostock bezogen haben, wo er bald vom Recht zum Studium der neuern Sprachen und Litteraturen überging. Doch litt es ihn nicht mehr lange in der Heimat: die Enge der mecklenburgischen und besonders der Rostocker Verhältnisse, über die er mit vielen andern stets geklagt hat, trieb den wanderlustigen in die Ferne und zwar zunächst nach England. Von dort ging er nach Newhork, wo er sieben Jahre als Sekretär der brasilianischen Gesandtschaft arbeitete und sich innerlich und äußerlich als Englishman ver¬ vollkommnete. Die englische Litteratur ist denn auch seine besondre Liebe und Stärke geblieben, wie sich überall in seinen Werken zeigt; andrerseits hat er später anch in kleinen und fast ärmlichen Verhältnissen mit einer gewissen Ab¬ sichtlichkeit den Weltmann und den „John" betont und zur Schau getragen. Als ihn dann 1846 nach etwa neun Wanderjahren das Heimweh wieder nach Mecklenburg zurücktrieb, fand er in den alten Verhältnissen für sich nur kümmerlich Platz; er wurde zunächst — fast mit dreißig Jahren! — Haus¬ lehrer und errichtete bald darauf eine Privatschule und Pensionsanstalt in Goldberg. Auch seine Anstellung an der Realschule zu Güstrow (1849) als Lehrer der neuern Sprachen brachte ihm wenig Gewinn und keinen seiner Person entsprechenden Wirkungskreis. Die Besoldung war so elend, daß er in zwanzigjähriger Dienstzeit schließlich nur aus siebenhundert Thaler kam und seine Kraft deshalb in zahllosen Privatstunden vergeuden mußte, um sich mit seiner großen Familie einigermaßen durchzuschlagen. Wie er es aber in seiner äußern und sozialen Entwicklung zeitlebens zu keiner nennenswerten Stellung gebracht hat, so ist er auch als Dichter in seinen Erfolgen hinter Klaus Groth und Fritz Reuter weit zurückgeblieben und eigentlich in weitern Kreisen fast unbekannt am 20. September 1870 in Güstrow

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/127>, abgerufen am 17.06.2024.