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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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John Brinckmcm

gestorben. Er selbst hat die Thatsache, daß er nicht durchzudringen vermochte,
auf seine drückenden Verhältnisse geschoben und zu Seidel einmal mit naivem
Selbstbewußtsein geäußert: "Ja, hätt ich nicht die große Familie und müßt
ich nicht den ganzen Tag Privatstunden geben, da wäre ich schon ebenso be¬
rühmt wie Fritz Reuter!" Gewiß wird das ein starker Hemmschuh für ihn
gewesen sein, aber ist es Reuter anfangs nicht noch schlimmer ergangen? Wie
haben den seine bösen sieben Fcstungsjahre aufgehalten und mit der häßlichen
Angewöhnung, die er aus thuen heimbrachte, noch lange Zeit gehindert, ganz
abgesehen davon, daß er 1850, also in seinem vierzigsten Lebensjahre, eine
noch kläglichere Fronlehrerei als Vrinckman auf sich nehmen mußte (die Stunde
für zwei gute Groschen!), um endlich heiraten zu können. Die Gründe liegen
also doch wohl tiefer und sind nicht bloß in äußern Zufälligkeiten zu suchen.

Das Geburtsjahr der plattdeutschen Dichtung oder richtiger das Jahr
ihres wirklichen Eintritts in die deutsche Litteratur ist und bleibt 1852: in
diesem Jahre erschien Klaus Groths "Quickborn." Das große und unvergäng¬
liche Verdienst des holsteinischen Dichters liegt darin, daß er in genialster
Weise niederdeutsche Kraft mit hochdeutscher Bildung zu verschmelzen wußte.
Die Vorwürfe, die ihm vielfach gemacht worden sind, beruhen zum Teil auf
der Verkennung dieser Thatsache. Wie hätte auch ein moderner Dialektdichter,
der noch dazu als Lehrer den hochdeutschen Bildungsgang durchgemacht hatte
und der für Schiller und Goethe schwärmte, die Vorzüge der hochdeutschen
Bildung unterschätzen können und sie nicht schon unwillkürlich in sich auf¬
nehmen müssen? Das Hochdeutsche hatte sich einen Stil im weitesten Sinne
geschaffen, und darauf durfte und mußte Klaus Groth fußen. Daher stammt
denn nicht nur seine treffende Ausdrucksweise, sondern auch sein klingender
Rhythmus und oft auch seine Art zu denken und zu fühlen. Insbesondre hat
seine "Sentimentalität," die übrigens nicht allzustark und nicht allzuhäufig
hervortritt, daher ihren Ursprung, man mag sie nun in dem Tone des Ganzen
für einen gewissen Vorzug halten oder für einen Fehler, für eine Ankrünkelung
durch die Blässe des Gedankens. Wegzudenken ist sie jedenfalls nicht und
wegzuwünschen kaum oder selten, denn sie bildet oft einen nicht unangenehmen
Gegensatz zu der Wucht der niederdeutschen Sprache und zu der derbern Kraft
mancher Gedichte. Überhaupt ist der Reichtum an Tönen und die Fülle von
Stoffen bei Groth geradezu erstaunlich. Neben zarten Liebesliedern, neben
schwermütigen Klängen der Trauer und der Sehnsucht und eigentümlichen
Landschaftsbildern, deren Moor- und Heidestimmung oft an die besten Sachen
von Hebbel und Annette von Droste-Hülshoff erinnert, stehen kräftige Volkslieder
und neckische Scherzgedichte von feinstem Humor; ja auch in der geschichtlichen
und sagenhaften Ballade (Ut de ol Krönk und Wat sik dat Volk vertellt) hat
sich Klaus Groth mit Glück versucht. Außer dem mehr lyrischen findet sich
aber auch breiter und episch angelegtes voll niederdeutscher Behaglichkeit und


John Brinckmcm

gestorben. Er selbst hat die Thatsache, daß er nicht durchzudringen vermochte,
auf seine drückenden Verhältnisse geschoben und zu Seidel einmal mit naivem
Selbstbewußtsein geäußert: „Ja, hätt ich nicht die große Familie und müßt
ich nicht den ganzen Tag Privatstunden geben, da wäre ich schon ebenso be¬
rühmt wie Fritz Reuter!" Gewiß wird das ein starker Hemmschuh für ihn
gewesen sein, aber ist es Reuter anfangs nicht noch schlimmer ergangen? Wie
haben den seine bösen sieben Fcstungsjahre aufgehalten und mit der häßlichen
Angewöhnung, die er aus thuen heimbrachte, noch lange Zeit gehindert, ganz
abgesehen davon, daß er 1850, also in seinem vierzigsten Lebensjahre, eine
noch kläglichere Fronlehrerei als Vrinckman auf sich nehmen mußte (die Stunde
für zwei gute Groschen!), um endlich heiraten zu können. Die Gründe liegen
also doch wohl tiefer und sind nicht bloß in äußern Zufälligkeiten zu suchen.

Das Geburtsjahr der plattdeutschen Dichtung oder richtiger das Jahr
ihres wirklichen Eintritts in die deutsche Litteratur ist und bleibt 1852: in
diesem Jahre erschien Klaus Groths „Quickborn." Das große und unvergäng¬
liche Verdienst des holsteinischen Dichters liegt darin, daß er in genialster
Weise niederdeutsche Kraft mit hochdeutscher Bildung zu verschmelzen wußte.
Die Vorwürfe, die ihm vielfach gemacht worden sind, beruhen zum Teil auf
der Verkennung dieser Thatsache. Wie hätte auch ein moderner Dialektdichter,
der noch dazu als Lehrer den hochdeutschen Bildungsgang durchgemacht hatte
und der für Schiller und Goethe schwärmte, die Vorzüge der hochdeutschen
Bildung unterschätzen können und sie nicht schon unwillkürlich in sich auf¬
nehmen müssen? Das Hochdeutsche hatte sich einen Stil im weitesten Sinne
geschaffen, und darauf durfte und mußte Klaus Groth fußen. Daher stammt
denn nicht nur seine treffende Ausdrucksweise, sondern auch sein klingender
Rhythmus und oft auch seine Art zu denken und zu fühlen. Insbesondre hat
seine „Sentimentalität," die übrigens nicht allzustark und nicht allzuhäufig
hervortritt, daher ihren Ursprung, man mag sie nun in dem Tone des Ganzen
für einen gewissen Vorzug halten oder für einen Fehler, für eine Ankrünkelung
durch die Blässe des Gedankens. Wegzudenken ist sie jedenfalls nicht und
wegzuwünschen kaum oder selten, denn sie bildet oft einen nicht unangenehmen
Gegensatz zu der Wucht der niederdeutschen Sprache und zu der derbern Kraft
mancher Gedichte. Überhaupt ist der Reichtum an Tönen und die Fülle von
Stoffen bei Groth geradezu erstaunlich. Neben zarten Liebesliedern, neben
schwermütigen Klängen der Trauer und der Sehnsucht und eigentümlichen
Landschaftsbildern, deren Moor- und Heidestimmung oft an die besten Sachen
von Hebbel und Annette von Droste-Hülshoff erinnert, stehen kräftige Volkslieder
und neckische Scherzgedichte von feinstem Humor; ja auch in der geschichtlichen
und sagenhaften Ballade (Ut de ol Krönk und Wat sik dat Volk vertellt) hat
sich Klaus Groth mit Glück versucht. Außer dem mehr lyrischen findet sich
aber auch breiter und episch angelegtes voll niederdeutscher Behaglichkeit und


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[0128] John Brinckmcm gestorben. Er selbst hat die Thatsache, daß er nicht durchzudringen vermochte, auf seine drückenden Verhältnisse geschoben und zu Seidel einmal mit naivem Selbstbewußtsein geäußert: „Ja, hätt ich nicht die große Familie und müßt ich nicht den ganzen Tag Privatstunden geben, da wäre ich schon ebenso be¬ rühmt wie Fritz Reuter!" Gewiß wird das ein starker Hemmschuh für ihn gewesen sein, aber ist es Reuter anfangs nicht noch schlimmer ergangen? Wie haben den seine bösen sieben Fcstungsjahre aufgehalten und mit der häßlichen Angewöhnung, die er aus thuen heimbrachte, noch lange Zeit gehindert, ganz abgesehen davon, daß er 1850, also in seinem vierzigsten Lebensjahre, eine noch kläglichere Fronlehrerei als Vrinckman auf sich nehmen mußte (die Stunde für zwei gute Groschen!), um endlich heiraten zu können. Die Gründe liegen also doch wohl tiefer und sind nicht bloß in äußern Zufälligkeiten zu suchen. Das Geburtsjahr der plattdeutschen Dichtung oder richtiger das Jahr ihres wirklichen Eintritts in die deutsche Litteratur ist und bleibt 1852: in diesem Jahre erschien Klaus Groths „Quickborn." Das große und unvergäng¬ liche Verdienst des holsteinischen Dichters liegt darin, daß er in genialster Weise niederdeutsche Kraft mit hochdeutscher Bildung zu verschmelzen wußte. Die Vorwürfe, die ihm vielfach gemacht worden sind, beruhen zum Teil auf der Verkennung dieser Thatsache. Wie hätte auch ein moderner Dialektdichter, der noch dazu als Lehrer den hochdeutschen Bildungsgang durchgemacht hatte und der für Schiller und Goethe schwärmte, die Vorzüge der hochdeutschen Bildung unterschätzen können und sie nicht schon unwillkürlich in sich auf¬ nehmen müssen? Das Hochdeutsche hatte sich einen Stil im weitesten Sinne geschaffen, und darauf durfte und mußte Klaus Groth fußen. Daher stammt denn nicht nur seine treffende Ausdrucksweise, sondern auch sein klingender Rhythmus und oft auch seine Art zu denken und zu fühlen. Insbesondre hat seine „Sentimentalität," die übrigens nicht allzustark und nicht allzuhäufig hervortritt, daher ihren Ursprung, man mag sie nun in dem Tone des Ganzen für einen gewissen Vorzug halten oder für einen Fehler, für eine Ankrünkelung durch die Blässe des Gedankens. Wegzudenken ist sie jedenfalls nicht und wegzuwünschen kaum oder selten, denn sie bildet oft einen nicht unangenehmen Gegensatz zu der Wucht der niederdeutschen Sprache und zu der derbern Kraft mancher Gedichte. Überhaupt ist der Reichtum an Tönen und die Fülle von Stoffen bei Groth geradezu erstaunlich. Neben zarten Liebesliedern, neben schwermütigen Klängen der Trauer und der Sehnsucht und eigentümlichen Landschaftsbildern, deren Moor- und Heidestimmung oft an die besten Sachen von Hebbel und Annette von Droste-Hülshoff erinnert, stehen kräftige Volkslieder und neckische Scherzgedichte von feinstem Humor; ja auch in der geschichtlichen und sagenhaften Ballade (Ut de ol Krönk und Wat sik dat Volk vertellt) hat sich Klaus Groth mit Glück versucht. Außer dem mehr lyrischen findet sich aber auch breiter und episch angelegtes voll niederdeutscher Behaglichkeit und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/128>, abgerufen am 17.06.2024.