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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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John Brinckman

nordischer Gefühlstiefe; ich verweise auf die Familjenbiller, auf Ünnermeel
(Mittagsruhe) und auf Hanne ut Frankrik, wo der schon von Voß angewandte
plattdeutsche Hexameter nicht, ohne Geschick benutzt ist. Ganz sür sich steht
Hans Unruh, der letzte Zigeunerköuig mit seinem düstern und sonderbaren Kolorit.
Aber auch dieser Ton durfte nicht fehlen, da die Zigeuner, wie andre Geschichten
aus Holstein beweisen, in dem niederdeutschen Volksleben eine Rolle gespielt
haben. Auf den breitern plattdeutschen Boden kehrt Klaus Groth dann wieder
mit lungern humoristischen Gedichten zurück wie De Fischtog na Fiel u. a.,
deren Läuschenton allerdings von dem Reuters sehr verschieden ist.

Das alles findet sich schon in der dritten Auflage des "Quickborn" vom
Jahre 1854. Seitdem ist mir weniges und in seiner Art kaum neues hinzu¬
gekommen (denn die spätern Sonette sind mehr hochdeutsch als eigenartig),
ähnlich wie seinerzeit bei Uhland, mit dem Klaus Groth überhaupt manche
Verwandtschaft zeigt. Mit dieser mehr reichhaltigen als umfangreichen Gedicht¬
sammlung hat Groth aber nicht nur in ganz Deutschland den größten Anklang
gefunden, sondern namentlich in seiner Heimat und den plattdeutschen Nachbar¬
ländern bei dichterisch angelegten Persönlichkeiten lauten Nachhall geweckt.
Das sieht man schon, wenn man die verdienstvolle, aber nicht recht charakte-
risirende Sammlung von C. Regenhardt (Die deutschen Mundarten, I: nieder¬
deutsch; Berlin, C. Negeuhardt ^1895^) zur Hand nimmt, wo S. 84 bis 133
Proben von den holsteinischen Dichtern gegeben werden; vgl. besonders Johann
Meyer, Johann Fehrs und Paul Trete.

Noch deutlicher wird das im einzelnen bei John Brinckman, dessen "Vagel
Grip, ein Dönkenbok" 1859 bei Opitz in Güstrow erschienen ist. Mir liegt
ein vor zwei Jahren neu gekauftes Exemplar der immer noch ersten Auflage
vor, das auf vergilbten Löschpapier gedruckt ist. Ein besseres Schicksal und
mehr Auflagen hätten diese Gedichte wahrlich verdient! Wie schön und er¬
greifend klingt nicht gleich zuerst Brinckmans Widmungsgedicht an seine Vater¬
stadt Rostock, die den Greifen im Wappen führt und der zuliebe er seiner
Sammlung gerade diesen Namen gegeben hat: das Heimweh hat ihn erfaßt
und nach Hause getrieben, als er in der Bucht vou Halifax einst neben vielen
andersbeflaggteu Schiffen den alten lieben Vogel Greif sah. Durch Zartheit
und Tiefe der Empfindung zeichnen sich denn Brinckmans Gedichte überhaupt
fast durchweg aus, und zwar zunächst seine Liebeslieder, von denen einzelne
freilich (z. B. Wat mag ick ti giru, S. 78) in ihrem ganzen Ton entschieden
Groths Einfluß verraten. Aber Brinckman ist nicht so voll und umfassend
wie sein Vorgänger; er vermag zwar eine ganze Reihe von Situationen aus
dem ländlichen Liebesleben in verschiednen Gedichten zu schildern: die An¬
näherung (Wenn Rums dar nich fut, S. 77 und Nu lat mi los, S. 80), die
Entwicklung des Verhältnisses und den Höhepunkt (Bigöschen, More schellt)
und die Trennung (Wat wise dn 't noch verfielen und Er is as nuche se


Grenzboten IV 18g? Ili
John Brinckman

nordischer Gefühlstiefe; ich verweise auf die Familjenbiller, auf Ünnermeel
(Mittagsruhe) und auf Hanne ut Frankrik, wo der schon von Voß angewandte
plattdeutsche Hexameter nicht, ohne Geschick benutzt ist. Ganz sür sich steht
Hans Unruh, der letzte Zigeunerköuig mit seinem düstern und sonderbaren Kolorit.
Aber auch dieser Ton durfte nicht fehlen, da die Zigeuner, wie andre Geschichten
aus Holstein beweisen, in dem niederdeutschen Volksleben eine Rolle gespielt
haben. Auf den breitern plattdeutschen Boden kehrt Klaus Groth dann wieder
mit lungern humoristischen Gedichten zurück wie De Fischtog na Fiel u. a.,
deren Läuschenton allerdings von dem Reuters sehr verschieden ist.

Das alles findet sich schon in der dritten Auflage des „Quickborn" vom
Jahre 1854. Seitdem ist mir weniges und in seiner Art kaum neues hinzu¬
gekommen (denn die spätern Sonette sind mehr hochdeutsch als eigenartig),
ähnlich wie seinerzeit bei Uhland, mit dem Klaus Groth überhaupt manche
Verwandtschaft zeigt. Mit dieser mehr reichhaltigen als umfangreichen Gedicht¬
sammlung hat Groth aber nicht nur in ganz Deutschland den größten Anklang
gefunden, sondern namentlich in seiner Heimat und den plattdeutschen Nachbar¬
ländern bei dichterisch angelegten Persönlichkeiten lauten Nachhall geweckt.
Das sieht man schon, wenn man die verdienstvolle, aber nicht recht charakte-
risirende Sammlung von C. Regenhardt (Die deutschen Mundarten, I: nieder¬
deutsch; Berlin, C. Negeuhardt ^1895^) zur Hand nimmt, wo S. 84 bis 133
Proben von den holsteinischen Dichtern gegeben werden; vgl. besonders Johann
Meyer, Johann Fehrs und Paul Trete.

Noch deutlicher wird das im einzelnen bei John Brinckman, dessen „Vagel
Grip, ein Dönkenbok" 1859 bei Opitz in Güstrow erschienen ist. Mir liegt
ein vor zwei Jahren neu gekauftes Exemplar der immer noch ersten Auflage
vor, das auf vergilbten Löschpapier gedruckt ist. Ein besseres Schicksal und
mehr Auflagen hätten diese Gedichte wahrlich verdient! Wie schön und er¬
greifend klingt nicht gleich zuerst Brinckmans Widmungsgedicht an seine Vater¬
stadt Rostock, die den Greifen im Wappen führt und der zuliebe er seiner
Sammlung gerade diesen Namen gegeben hat: das Heimweh hat ihn erfaßt
und nach Hause getrieben, als er in der Bucht vou Halifax einst neben vielen
andersbeflaggteu Schiffen den alten lieben Vogel Greif sah. Durch Zartheit
und Tiefe der Empfindung zeichnen sich denn Brinckmans Gedichte überhaupt
fast durchweg aus, und zwar zunächst seine Liebeslieder, von denen einzelne
freilich (z. B. Wat mag ick ti giru, S. 78) in ihrem ganzen Ton entschieden
Groths Einfluß verraten. Aber Brinckman ist nicht so voll und umfassend
wie sein Vorgänger; er vermag zwar eine ganze Reihe von Situationen aus
dem ländlichen Liebesleben in verschiednen Gedichten zu schildern: die An¬
näherung (Wenn Rums dar nich fut, S. 77 und Nu lat mi los, S. 80), die
Entwicklung des Verhältnisses und den Höhepunkt (Bigöschen, More schellt)
und die Trennung (Wat wise dn 't noch verfielen und Er is as nuche se


Grenzboten IV 18g? Ili
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[0129] John Brinckman nordischer Gefühlstiefe; ich verweise auf die Familjenbiller, auf Ünnermeel (Mittagsruhe) und auf Hanne ut Frankrik, wo der schon von Voß angewandte plattdeutsche Hexameter nicht, ohne Geschick benutzt ist. Ganz sür sich steht Hans Unruh, der letzte Zigeunerköuig mit seinem düstern und sonderbaren Kolorit. Aber auch dieser Ton durfte nicht fehlen, da die Zigeuner, wie andre Geschichten aus Holstein beweisen, in dem niederdeutschen Volksleben eine Rolle gespielt haben. Auf den breitern plattdeutschen Boden kehrt Klaus Groth dann wieder mit lungern humoristischen Gedichten zurück wie De Fischtog na Fiel u. a., deren Läuschenton allerdings von dem Reuters sehr verschieden ist. Das alles findet sich schon in der dritten Auflage des „Quickborn" vom Jahre 1854. Seitdem ist mir weniges und in seiner Art kaum neues hinzu¬ gekommen (denn die spätern Sonette sind mehr hochdeutsch als eigenartig), ähnlich wie seinerzeit bei Uhland, mit dem Klaus Groth überhaupt manche Verwandtschaft zeigt. Mit dieser mehr reichhaltigen als umfangreichen Gedicht¬ sammlung hat Groth aber nicht nur in ganz Deutschland den größten Anklang gefunden, sondern namentlich in seiner Heimat und den plattdeutschen Nachbar¬ ländern bei dichterisch angelegten Persönlichkeiten lauten Nachhall geweckt. Das sieht man schon, wenn man die verdienstvolle, aber nicht recht charakte- risirende Sammlung von C. Regenhardt (Die deutschen Mundarten, I: nieder¬ deutsch; Berlin, C. Negeuhardt ^1895^) zur Hand nimmt, wo S. 84 bis 133 Proben von den holsteinischen Dichtern gegeben werden; vgl. besonders Johann Meyer, Johann Fehrs und Paul Trete. Noch deutlicher wird das im einzelnen bei John Brinckman, dessen „Vagel Grip, ein Dönkenbok" 1859 bei Opitz in Güstrow erschienen ist. Mir liegt ein vor zwei Jahren neu gekauftes Exemplar der immer noch ersten Auflage vor, das auf vergilbten Löschpapier gedruckt ist. Ein besseres Schicksal und mehr Auflagen hätten diese Gedichte wahrlich verdient! Wie schön und er¬ greifend klingt nicht gleich zuerst Brinckmans Widmungsgedicht an seine Vater¬ stadt Rostock, die den Greifen im Wappen führt und der zuliebe er seiner Sammlung gerade diesen Namen gegeben hat: das Heimweh hat ihn erfaßt und nach Hause getrieben, als er in der Bucht vou Halifax einst neben vielen andersbeflaggteu Schiffen den alten lieben Vogel Greif sah. Durch Zartheit und Tiefe der Empfindung zeichnen sich denn Brinckmans Gedichte überhaupt fast durchweg aus, und zwar zunächst seine Liebeslieder, von denen einzelne freilich (z. B. Wat mag ick ti giru, S. 78) in ihrem ganzen Ton entschieden Groths Einfluß verraten. Aber Brinckman ist nicht so voll und umfassend wie sein Vorgänger; er vermag zwar eine ganze Reihe von Situationen aus dem ländlichen Liebesleben in verschiednen Gedichten zu schildern: die An¬ näherung (Wenn Rums dar nich fut, S. 77 und Nu lat mi los, S. 80), die Entwicklung des Verhältnisses und den Höhepunkt (Bigöschen, More schellt) und die Trennung (Wat wise dn 't noch verfielen und Er is as nuche se Grenzboten IV 18g? Ili

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/129>, abgerufen am 17.06.2024.