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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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John Brinckman

weilen) oder die schlimmen Folgen (Marik S. 199). Aber eigentliche Variationen
sind gering und auch nicht recht neu. So geht z. B. das sonst schöne Ge¬
dicht: Sir Hoar was gel (S. 189) nach der Heinischen Melodie: Ein Jüng¬
ling liebt ein Mädchen; nur daß hier in den einfachern Verhältnissen der ab¬
gewiesene Knecht nach Amerika auswandert und der begünstigte Bauernsohn
die Dirne schmählich im Stich läßt. Immerhin wird man die Anmut und
zarte Auffassung Brinckmans, aber auch den wiegenden Rhythmus und die
Musik seiner Verse aus folgendem Gedicht erkennen, wo sich das Erwachen
der jungen Liebe in einer eigentümlichen Herzbeklemmung äußert:

Hartspann
Mi is, ick weet nich, wo mi is,
Ick glöw, uni, Hart, dat steil,
Als ob furts dal ick fallen müßt,
Wenn Huus vöräwer geit. Denn Schutt mi so to Kopp dat Vive,
Vor de Ogen wat mi't swart;
Ick warr denn as sonn Krewt so rot,
Mi spannt dat so dat Hart. Mi is denn so biswögt; ick weet,
Dill trente sacht ivedder weg,
Wenn 'k mi eens orig awschürrn keck
Un Hans da wat um Segg. Ick weet woll, wenn ick em man ber --
He klöwt da achter Sturm --
Wild he to Leew mi't sacht eens der,
Man 'k Scham mi so vor ein/)

Auch auf andern Gebieten hat Brinckmcm manches sehr Hübsche hervor¬
gebracht. Wie prächtig weiß er nicht die frische Jugendlust und Lebensfreude
der "Jungs" zu schildern, die im Dorfteich mit Gänsen, Enten, Schweinen
und Kälbern um die Wette plätschern, während der verlassene Hund am Ufer
"jault" (Jn'n Dit). Ein andermal zeigt er uus einen wilden, mutigen Bengel,
der in die Koppel schleicht und dort vor deu Augen des heimlich lauschenden
Vaters das wildeste Fohlen reitet (Irre Koppel). Auch die Kinderlieder sind



") In einem Anhang zum "Vagel Grip" deutet Brinckmcm die Grundsätze seiner Recht¬
schreibung an und giebt ein kurzes Wörterverzeichnis. Unsre Augen haben sich aber inzwischen
an die Neutersche Orthographie gewöhnt, sodnß ich glaubte, des leichtern Verständnisses wegen
an verschiednen Stellen ändern zu müssen. FurtS ----- sofort; Schutt ----- schießt; biswögt ----- ohn¬
mächtig; orig awschürrn -- ordentlich durchschütteln; ber ----- bitte; klöwt-----haut; der------ thäte;
sacht ----- wohl, gern.
John Brinckman

weilen) oder die schlimmen Folgen (Marik S. 199). Aber eigentliche Variationen
sind gering und auch nicht recht neu. So geht z. B. das sonst schöne Ge¬
dicht: Sir Hoar was gel (S. 189) nach der Heinischen Melodie: Ein Jüng¬
ling liebt ein Mädchen; nur daß hier in den einfachern Verhältnissen der ab¬
gewiesene Knecht nach Amerika auswandert und der begünstigte Bauernsohn
die Dirne schmählich im Stich läßt. Immerhin wird man die Anmut und
zarte Auffassung Brinckmans, aber auch den wiegenden Rhythmus und die
Musik seiner Verse aus folgendem Gedicht erkennen, wo sich das Erwachen
der jungen Liebe in einer eigentümlichen Herzbeklemmung äußert:

Hartspann
Mi is, ick weet nich, wo mi is,
Ick glöw, uni, Hart, dat steil,
Als ob furts dal ick fallen müßt,
Wenn Huus vöräwer geit. Denn Schutt mi so to Kopp dat Vive,
Vor de Ogen wat mi't swart;
Ick warr denn as sonn Krewt so rot,
Mi spannt dat so dat Hart. Mi is denn so biswögt; ick weet,
Dill trente sacht ivedder weg,
Wenn 'k mi eens orig awschürrn keck
Un Hans da wat um Segg. Ick weet woll, wenn ick em man ber —
He klöwt da achter Sturm —
Wild he to Leew mi't sacht eens der,
Man 'k Scham mi so vor ein/)

Auch auf andern Gebieten hat Brinckmcm manches sehr Hübsche hervor¬
gebracht. Wie prächtig weiß er nicht die frische Jugendlust und Lebensfreude
der „Jungs" zu schildern, die im Dorfteich mit Gänsen, Enten, Schweinen
und Kälbern um die Wette plätschern, während der verlassene Hund am Ufer
„jault" (Jn'n Dit). Ein andermal zeigt er uus einen wilden, mutigen Bengel,
der in die Koppel schleicht und dort vor deu Augen des heimlich lauschenden
Vaters das wildeste Fohlen reitet (Irre Koppel). Auch die Kinderlieder sind



") In einem Anhang zum „Vagel Grip" deutet Brinckmcm die Grundsätze seiner Recht¬
schreibung an und giebt ein kurzes Wörterverzeichnis. Unsre Augen haben sich aber inzwischen
an die Neutersche Orthographie gewöhnt, sodnß ich glaubte, des leichtern Verständnisses wegen
an verschiednen Stellen ändern zu müssen. FurtS ----- sofort; Schutt ----- schießt; biswögt ----- ohn¬
mächtig; orig awschürrn — ordentlich durchschütteln; ber ----- bitte; klöwt-----haut; der------ thäte;
sacht ----- wohl, gern.
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[0130] John Brinckman weilen) oder die schlimmen Folgen (Marik S. 199). Aber eigentliche Variationen sind gering und auch nicht recht neu. So geht z. B. das sonst schöne Ge¬ dicht: Sir Hoar was gel (S. 189) nach der Heinischen Melodie: Ein Jüng¬ ling liebt ein Mädchen; nur daß hier in den einfachern Verhältnissen der ab¬ gewiesene Knecht nach Amerika auswandert und der begünstigte Bauernsohn die Dirne schmählich im Stich läßt. Immerhin wird man die Anmut und zarte Auffassung Brinckmans, aber auch den wiegenden Rhythmus und die Musik seiner Verse aus folgendem Gedicht erkennen, wo sich das Erwachen der jungen Liebe in einer eigentümlichen Herzbeklemmung äußert: Hartspann Mi is, ick weet nich, wo mi is, Ick glöw, uni, Hart, dat steil, Als ob furts dal ick fallen müßt, Wenn Huus vöräwer geit. Denn Schutt mi so to Kopp dat Vive, Vor de Ogen wat mi't swart; Ick warr denn as sonn Krewt so rot, Mi spannt dat so dat Hart. Mi is denn so biswögt; ick weet, Dill trente sacht ivedder weg, Wenn 'k mi eens orig awschürrn keck Un Hans da wat um Segg. Ick weet woll, wenn ick em man ber — He klöwt da achter Sturm — Wild he to Leew mi't sacht eens der, Man 'k Scham mi so vor ein/) Auch auf andern Gebieten hat Brinckmcm manches sehr Hübsche hervor¬ gebracht. Wie prächtig weiß er nicht die frische Jugendlust und Lebensfreude der „Jungs" zu schildern, die im Dorfteich mit Gänsen, Enten, Schweinen und Kälbern um die Wette plätschern, während der verlassene Hund am Ufer „jault" (Jn'n Dit). Ein andermal zeigt er uus einen wilden, mutigen Bengel, der in die Koppel schleicht und dort vor deu Augen des heimlich lauschenden Vaters das wildeste Fohlen reitet (Irre Koppel). Auch die Kinderlieder sind ") In einem Anhang zum „Vagel Grip" deutet Brinckmcm die Grundsätze seiner Recht¬ schreibung an und giebt ein kurzes Wörterverzeichnis. Unsre Augen haben sich aber inzwischen an die Neutersche Orthographie gewöhnt, sodnß ich glaubte, des leichtern Verständnisses wegen an verschiednen Stellen ändern zu müssen. FurtS ----- sofort; Schutt ----- schießt; biswögt ----- ohn¬ mächtig; orig awschürrn — ordentlich durchschütteln; ber ----- bitte; klöwt-----haut; der------ thäte; sacht ----- wohl, gern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/130>, abgerufen am 17.06.2024.