Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
John Brinckman

frisch empfunden. Daneben finden sich einige gelungne Hnmoristika, z. V.
Stntenolsch, wo das in die Wiege gelegte kranke Schwein für das jüngst ge-
borne, dem Vater recht ahnliche Kind gehalten wird, oder Scholmeister Boars,
wo der Lehrer sein Prügelamt mit trefflichen Bemerkungen würzt. Anekdoten¬
haft zugespitzt ist Don un Leiden (Thun und Lassen): der alte Pastor Reuter
begegnet auf seinem Abendspaziergange dein Bauer Stoffer Don, der wieder
einmal betrunken aus der Stadt heimkehrt, obgleich er seinem Seelenhirten
doch fest versprochen hat: "Wenn he tut der (thäte), he turnt 't ok laden";
der geriebne Bauer setzt dem erzürnten aber mit einiger, in seinem Zustande
begründeter Umständlichkeit auseinander, er Hütte unter thun: bezahlen ver¬
standen und lassen hieße: "Twee Pott, denn bün 'k so vull nich galen (ge¬
gossen), dat ick nich noch twee Pegel keck (ließe)!" In ähnlicher Weise bietet
Förster Krop (S. 172) klassisches Jägerlatein. Auch der melancholische Ton
fehlt nicht; er klingt am schönsten im "kranken San," wo ein Sterbender von
den Herrlichkeiten der Welt Abschied nimmt. Besonders ergreifend wirkt in dem
zweiten Gedicht der Abzug der Kraniche (Sünd dat de Kronen, Moder?), mit
dem nach einem Traum des Kranken seine letzte Hoffnung: der Abzug des
Fiebers verknüpft ist -- anders als er meint.

Doch die eigentliche Stärke der Brinckmcmschen Poesie liegt nicht auf
diesen Gebieten, sondern in dem innigen Zusammenhange des Dichters mit der
Natur. Das fühlt man schon, wenn er in drei Gedichten den echtesten Dorf¬
vogel, den mit Recht beliebten Areboar (Storch) preist; wenn er um die alte
hundertjährige Eiche trauert, die der Holzwart niedergeschlagen hat und mit
der all seine Erinnerungen verknüpft find (De oll Et); wenn er von den Er¬
lebnissen des Apfelbaumes singt und dann später in dem langen "Ruklas"
(-^ Knecht Ruprecht) die Angst des Tannenbäumchens schildert, das vor Kälte
zu sterben glaubt und doch schließlich vom Holzwart als Weihnachtsbaum
geholt wird; oder wenn er die Kinder warnt, nach den gelben Nixenblumen,
den Mummeln, zu greifen, weil sie die Wassermuhme leicht zu sich herabziehen
könnte und sie dann selber "Momen" würden -- Spukgeister zum Graus der
Menschen. Ein besonders inniges Verhältnis hat der Dichter zu den Jahres¬
zeiten. Er freut sich des lustigen Schneetreibens, "rein as ob de Winter tun
(dann) koppheister sehst awer Stock un üwer Tun" (^ Zaun) (Sneedrewel): die
Müllergesellen prügeln sich eben, aber groß ist die Pracht des Winters doch,
der "witt Blömes as Lilgen so witt" an die Fensterscheiben malt, die dann
beim Schein des Vollmonds in richtiger Edelstcinpracht blitzen, "as wiren rod
Rosen damank" (Möllegesellen, S. 203 ff.). Fast noch lieber ist ihm aber das
Tauwetter, wenn die Sonne den Winter beim Schöpf faßt und ihm seinen
Bart und seine weißen Haare ausreißt (Düuwere). Die Sonne wird dann
uoch in einem besondern Hymnus und in einem ganz eignen Vergleich gefeiert,
von dem hier wenigstens zwei Strophen stehen mögen (De Stern):


John Brinckman

frisch empfunden. Daneben finden sich einige gelungne Hnmoristika, z. V.
Stntenolsch, wo das in die Wiege gelegte kranke Schwein für das jüngst ge-
borne, dem Vater recht ahnliche Kind gehalten wird, oder Scholmeister Boars,
wo der Lehrer sein Prügelamt mit trefflichen Bemerkungen würzt. Anekdoten¬
haft zugespitzt ist Don un Leiden (Thun und Lassen): der alte Pastor Reuter
begegnet auf seinem Abendspaziergange dein Bauer Stoffer Don, der wieder
einmal betrunken aus der Stadt heimkehrt, obgleich er seinem Seelenhirten
doch fest versprochen hat: „Wenn he tut der (thäte), he turnt 't ok laden";
der geriebne Bauer setzt dem erzürnten aber mit einiger, in seinem Zustande
begründeter Umständlichkeit auseinander, er Hütte unter thun: bezahlen ver¬
standen und lassen hieße: „Twee Pott, denn bün 'k so vull nich galen (ge¬
gossen), dat ick nich noch twee Pegel keck (ließe)!" In ähnlicher Weise bietet
Förster Krop (S. 172) klassisches Jägerlatein. Auch der melancholische Ton
fehlt nicht; er klingt am schönsten im „kranken San," wo ein Sterbender von
den Herrlichkeiten der Welt Abschied nimmt. Besonders ergreifend wirkt in dem
zweiten Gedicht der Abzug der Kraniche (Sünd dat de Kronen, Moder?), mit
dem nach einem Traum des Kranken seine letzte Hoffnung: der Abzug des
Fiebers verknüpft ist — anders als er meint.

Doch die eigentliche Stärke der Brinckmcmschen Poesie liegt nicht auf
diesen Gebieten, sondern in dem innigen Zusammenhange des Dichters mit der
Natur. Das fühlt man schon, wenn er in drei Gedichten den echtesten Dorf¬
vogel, den mit Recht beliebten Areboar (Storch) preist; wenn er um die alte
hundertjährige Eiche trauert, die der Holzwart niedergeschlagen hat und mit
der all seine Erinnerungen verknüpft find (De oll Et); wenn er von den Er¬
lebnissen des Apfelbaumes singt und dann später in dem langen „Ruklas"
(-^ Knecht Ruprecht) die Angst des Tannenbäumchens schildert, das vor Kälte
zu sterben glaubt und doch schließlich vom Holzwart als Weihnachtsbaum
geholt wird; oder wenn er die Kinder warnt, nach den gelben Nixenblumen,
den Mummeln, zu greifen, weil sie die Wassermuhme leicht zu sich herabziehen
könnte und sie dann selber „Momen" würden — Spukgeister zum Graus der
Menschen. Ein besonders inniges Verhältnis hat der Dichter zu den Jahres¬
zeiten. Er freut sich des lustigen Schneetreibens, „rein as ob de Winter tun
(dann) koppheister sehst awer Stock un üwer Tun" (^ Zaun) (Sneedrewel): die
Müllergesellen prügeln sich eben, aber groß ist die Pracht des Winters doch,
der „witt Blömes as Lilgen so witt" an die Fensterscheiben malt, die dann
beim Schein des Vollmonds in richtiger Edelstcinpracht blitzen, „as wiren rod
Rosen damank" (Möllegesellen, S. 203 ff.). Fast noch lieber ist ihm aber das
Tauwetter, wenn die Sonne den Winter beim Schöpf faßt und ihm seinen
Bart und seine weißen Haare ausreißt (Düuwere). Die Sonne wird dann
uoch in einem besondern Hymnus und in einem ganz eignen Vergleich gefeiert,
von dem hier wenigstens zwei Strophen stehen mögen (De Stern):


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0131" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226363"/>
          <fw type="header" place="top"> John Brinckman</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_314" prev="#ID_313"> frisch empfunden. Daneben finden sich einige gelungne Hnmoristika, z. V.<lb/>
Stntenolsch, wo das in die Wiege gelegte kranke Schwein für das jüngst ge-<lb/>
borne, dem Vater recht ahnliche Kind gehalten wird, oder Scholmeister Boars,<lb/>
wo der Lehrer sein Prügelamt mit trefflichen Bemerkungen würzt. Anekdoten¬<lb/>
haft zugespitzt ist Don un Leiden (Thun und Lassen): der alte Pastor Reuter<lb/>
begegnet auf seinem Abendspaziergange dein Bauer Stoffer Don, der wieder<lb/>
einmal betrunken aus der Stadt heimkehrt, obgleich er seinem Seelenhirten<lb/>
doch fest versprochen hat: &#x201E;Wenn he tut der (thäte), he turnt 't ok laden";<lb/>
der geriebne Bauer setzt dem erzürnten aber mit einiger, in seinem Zustande<lb/>
begründeter Umständlichkeit auseinander, er Hütte unter thun: bezahlen ver¬<lb/>
standen und lassen hieße: &#x201E;Twee Pott, denn bün 'k so vull nich galen (ge¬<lb/>
gossen), dat ick nich noch twee Pegel keck (ließe)!" In ähnlicher Weise bietet<lb/>
Förster Krop (S. 172) klassisches Jägerlatein. Auch der melancholische Ton<lb/>
fehlt nicht; er klingt am schönsten im &#x201E;kranken San," wo ein Sterbender von<lb/>
den Herrlichkeiten der Welt Abschied nimmt. Besonders ergreifend wirkt in dem<lb/>
zweiten Gedicht der Abzug der Kraniche (Sünd dat de Kronen, Moder?), mit<lb/>
dem nach einem Traum des Kranken seine letzte Hoffnung: der Abzug des<lb/>
Fiebers verknüpft ist &#x2014; anders als er meint.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_315" next="#ID_316"> Doch die eigentliche Stärke der Brinckmcmschen Poesie liegt nicht auf<lb/>
diesen Gebieten, sondern in dem innigen Zusammenhange des Dichters mit der<lb/>
Natur. Das fühlt man schon, wenn er in drei Gedichten den echtesten Dorf¬<lb/>
vogel, den mit Recht beliebten Areboar (Storch) preist; wenn er um die alte<lb/>
hundertjährige Eiche trauert, die der Holzwart niedergeschlagen hat und mit<lb/>
der all seine Erinnerungen verknüpft find (De oll Et); wenn er von den Er¬<lb/>
lebnissen des Apfelbaumes singt und dann später in dem langen &#x201E;Ruklas"<lb/>
(-^ Knecht Ruprecht) die Angst des Tannenbäumchens schildert, das vor Kälte<lb/>
zu sterben glaubt und doch schließlich vom Holzwart als Weihnachtsbaum<lb/>
geholt wird; oder wenn er die Kinder warnt, nach den gelben Nixenblumen,<lb/>
den Mummeln, zu greifen, weil sie die Wassermuhme leicht zu sich herabziehen<lb/>
könnte und sie dann selber &#x201E;Momen" würden &#x2014; Spukgeister zum Graus der<lb/>
Menschen. Ein besonders inniges Verhältnis hat der Dichter zu den Jahres¬<lb/>
zeiten. Er freut sich des lustigen Schneetreibens, &#x201E;rein as ob de Winter tun<lb/>
(dann) koppheister sehst awer Stock un üwer Tun" (^ Zaun) (Sneedrewel): die<lb/>
Müllergesellen prügeln sich eben, aber groß ist die Pracht des Winters doch,<lb/>
der &#x201E;witt Blömes as Lilgen so witt" an die Fensterscheiben malt, die dann<lb/>
beim Schein des Vollmonds in richtiger Edelstcinpracht blitzen, &#x201E;as wiren rod<lb/>
Rosen damank" (Möllegesellen, S. 203 ff.). Fast noch lieber ist ihm aber das<lb/>
Tauwetter, wenn die Sonne den Winter beim Schöpf faßt und ihm seinen<lb/>
Bart und seine weißen Haare ausreißt (Düuwere). Die Sonne wird dann<lb/>
uoch in einem besondern Hymnus und in einem ganz eignen Vergleich gefeiert,<lb/>
von dem hier wenigstens zwei Strophen stehen mögen (De Stern):</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0131] John Brinckman frisch empfunden. Daneben finden sich einige gelungne Hnmoristika, z. V. Stntenolsch, wo das in die Wiege gelegte kranke Schwein für das jüngst ge- borne, dem Vater recht ahnliche Kind gehalten wird, oder Scholmeister Boars, wo der Lehrer sein Prügelamt mit trefflichen Bemerkungen würzt. Anekdoten¬ haft zugespitzt ist Don un Leiden (Thun und Lassen): der alte Pastor Reuter begegnet auf seinem Abendspaziergange dein Bauer Stoffer Don, der wieder einmal betrunken aus der Stadt heimkehrt, obgleich er seinem Seelenhirten doch fest versprochen hat: „Wenn he tut der (thäte), he turnt 't ok laden"; der geriebne Bauer setzt dem erzürnten aber mit einiger, in seinem Zustande begründeter Umständlichkeit auseinander, er Hütte unter thun: bezahlen ver¬ standen und lassen hieße: „Twee Pott, denn bün 'k so vull nich galen (ge¬ gossen), dat ick nich noch twee Pegel keck (ließe)!" In ähnlicher Weise bietet Förster Krop (S. 172) klassisches Jägerlatein. Auch der melancholische Ton fehlt nicht; er klingt am schönsten im „kranken San," wo ein Sterbender von den Herrlichkeiten der Welt Abschied nimmt. Besonders ergreifend wirkt in dem zweiten Gedicht der Abzug der Kraniche (Sünd dat de Kronen, Moder?), mit dem nach einem Traum des Kranken seine letzte Hoffnung: der Abzug des Fiebers verknüpft ist — anders als er meint. Doch die eigentliche Stärke der Brinckmcmschen Poesie liegt nicht auf diesen Gebieten, sondern in dem innigen Zusammenhange des Dichters mit der Natur. Das fühlt man schon, wenn er in drei Gedichten den echtesten Dorf¬ vogel, den mit Recht beliebten Areboar (Storch) preist; wenn er um die alte hundertjährige Eiche trauert, die der Holzwart niedergeschlagen hat und mit der all seine Erinnerungen verknüpft find (De oll Et); wenn er von den Er¬ lebnissen des Apfelbaumes singt und dann später in dem langen „Ruklas" (-^ Knecht Ruprecht) die Angst des Tannenbäumchens schildert, das vor Kälte zu sterben glaubt und doch schließlich vom Holzwart als Weihnachtsbaum geholt wird; oder wenn er die Kinder warnt, nach den gelben Nixenblumen, den Mummeln, zu greifen, weil sie die Wassermuhme leicht zu sich herabziehen könnte und sie dann selber „Momen" würden — Spukgeister zum Graus der Menschen. Ein besonders inniges Verhältnis hat der Dichter zu den Jahres¬ zeiten. Er freut sich des lustigen Schneetreibens, „rein as ob de Winter tun (dann) koppheister sehst awer Stock un üwer Tun" (^ Zaun) (Sneedrewel): die Müllergesellen prügeln sich eben, aber groß ist die Pracht des Winters doch, der „witt Blömes as Lilgen so witt" an die Fensterscheiben malt, die dann beim Schein des Vollmonds in richtiger Edelstcinpracht blitzen, „as wiren rod Rosen damank" (Möllegesellen, S. 203 ff.). Fast noch lieber ist ihm aber das Tauwetter, wenn die Sonne den Winter beim Schöpf faßt und ihm seinen Bart und seine weißen Haare ausreißt (Düuwere). Die Sonne wird dann uoch in einem besondern Hymnus und in einem ganz eignen Vergleich gefeiert, von dem hier wenigstens zwei Strophen stehen mögen (De Stern):

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/131
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/131>, abgerufen am 17.06.2024.