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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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John Brinckman

eingeführt und in den er unter andern seine köstlichen Familienbilder gefaßt
hat. Aber nur die Form hat Vrinckman seinem Vorgänger entlehnt; im
Inhalt ist er durchaus eigentümlich und so gut wie ganz unabhängig von dem
großen Holsteiner. Zunächst der Feierabend (S. 109 ff.). In meisterhaften
Vergleichen schildert uns der Dichter, wie der Nebel unten von der Wiese
aufsteigt und die Sonne hinter dem Walde untergeht. Die Mägde kommen
mit ihrer vollen Milchtracht unter lustigem Geplauder von der Regel (dem
eingezäunten Melkplatz), auf dem Hofe wird es dann stiller und stiller, nur
die Spatzen lärmen noch im Baum. Da naht die Schar der Häker (der
hakenden, d. i. pflügenden Knechte) mit ihren Pferden, unter letztern der alte
Fuchs, der als Vollblut und früheres Reitpferd des Junkers einst bessere Tage
gesehen hat. Diese schöne Jugendzeit des alten Voß wird nun im zweiten
Teil eingehend beschrieben (vgl. Reuters Memoiren eines alten Fliegenschimmels,
Band 15). Die schöne Idylle der ersten Hälfte wird also in der zweiten zur
lebendigen Erzählung. Dieselbe Verschmelzung eines lyrischen und eines mehr
epischen Bestandteiles haben wir im Regenwetter (S. 125 ff.), während das
letzte Stück: De Kronen (S. 193 ff.) rein lyrisch gehalten ist. Hier zeigt sich
uns Brinckman (wie anch schon früher hie und da, z. B. in Bör Dän un
Dag) als hervorragender Sänger des Herbstes, als ein niederdeutscher Lenau.
Mau muß den Zauber des Gedichtes, das für eine Mitteilung leider zu lang
ist, selber auf sich wirken lassen, um die Berechtigung dieses Lobes zu ver¬
stehen. De Kronen trecken hoch da ciwern See, so beginnt höchst wirkungsvoll
jeder der fünf einzelnen Teile: das Feld ist leer und weiß von feinen, be¬
danken Spinnweben; der Wald läßt traurig sein welkes Laub hängen; grauer
Nebel steigt aus den Gründen und bricht die Strahlengewalt der "in den
Tod betrübten" Sonne; lustig und mit Geschrei ziehen die Kraniche in wohl¬
geordneter Mannschaft von dannen; der kurzsichtige Mensch jedoch sieht und
hört alle diese Mahnungen nicht.

Das alles sind Landschafts- und Stimmungsbilder von großer Schönheit
und Tiefe. Nimmt man noch die edle Sprache hinzu, so dürfte klar sein, daß
wir es hier mit bedeutenden Leistungen nicht nur der plattdeutschen Litteratur,
sondern der deutschen Litteratur überhaupt zu thun haben. Dabei ist Brinckman
-- das möchte ich hier zum Schluß uoch betonen -- auch ein kräftiger Realist
im besten Sinne, wie es das Plattdeutsche an und für sich schon verlangt
und oft auch der Stoff gebietet. Am besten machen das wieder seine Gleich¬
nisse klar, so wenn es im Regenwetter heißt:

Een Ogenblick kalt sucht de Surr sick sehn,
Man witt un matt fühl s' ut as Meil, de lest is
As wir s' elennig krank un harr 't toll Fewer,
Rund nennen Kopp 'n Kimmcldok sick üindahn
Un leg da baben in 't twecsleprig Bett

John Brinckman

eingeführt und in den er unter andern seine köstlichen Familienbilder gefaßt
hat. Aber nur die Form hat Vrinckman seinem Vorgänger entlehnt; im
Inhalt ist er durchaus eigentümlich und so gut wie ganz unabhängig von dem
großen Holsteiner. Zunächst der Feierabend (S. 109 ff.). In meisterhaften
Vergleichen schildert uns der Dichter, wie der Nebel unten von der Wiese
aufsteigt und die Sonne hinter dem Walde untergeht. Die Mägde kommen
mit ihrer vollen Milchtracht unter lustigem Geplauder von der Regel (dem
eingezäunten Melkplatz), auf dem Hofe wird es dann stiller und stiller, nur
die Spatzen lärmen noch im Baum. Da naht die Schar der Häker (der
hakenden, d. i. pflügenden Knechte) mit ihren Pferden, unter letztern der alte
Fuchs, der als Vollblut und früheres Reitpferd des Junkers einst bessere Tage
gesehen hat. Diese schöne Jugendzeit des alten Voß wird nun im zweiten
Teil eingehend beschrieben (vgl. Reuters Memoiren eines alten Fliegenschimmels,
Band 15). Die schöne Idylle der ersten Hälfte wird also in der zweiten zur
lebendigen Erzählung. Dieselbe Verschmelzung eines lyrischen und eines mehr
epischen Bestandteiles haben wir im Regenwetter (S. 125 ff.), während das
letzte Stück: De Kronen (S. 193 ff.) rein lyrisch gehalten ist. Hier zeigt sich
uns Brinckman (wie anch schon früher hie und da, z. B. in Bör Dän un
Dag) als hervorragender Sänger des Herbstes, als ein niederdeutscher Lenau.
Mau muß den Zauber des Gedichtes, das für eine Mitteilung leider zu lang
ist, selber auf sich wirken lassen, um die Berechtigung dieses Lobes zu ver¬
stehen. De Kronen trecken hoch da ciwern See, so beginnt höchst wirkungsvoll
jeder der fünf einzelnen Teile: das Feld ist leer und weiß von feinen, be¬
danken Spinnweben; der Wald läßt traurig sein welkes Laub hängen; grauer
Nebel steigt aus den Gründen und bricht die Strahlengewalt der „in den
Tod betrübten" Sonne; lustig und mit Geschrei ziehen die Kraniche in wohl¬
geordneter Mannschaft von dannen; der kurzsichtige Mensch jedoch sieht und
hört alle diese Mahnungen nicht.

Das alles sind Landschafts- und Stimmungsbilder von großer Schönheit
und Tiefe. Nimmt man noch die edle Sprache hinzu, so dürfte klar sein, daß
wir es hier mit bedeutenden Leistungen nicht nur der plattdeutschen Litteratur,
sondern der deutschen Litteratur überhaupt zu thun haben. Dabei ist Brinckman
— das möchte ich hier zum Schluß uoch betonen — auch ein kräftiger Realist
im besten Sinne, wie es das Plattdeutsche an und für sich schon verlangt
und oft auch der Stoff gebietet. Am besten machen das wieder seine Gleich¬
nisse klar, so wenn es im Regenwetter heißt:

Een Ogenblick kalt sucht de Surr sick sehn,
Man witt un matt fühl s' ut as Meil, de lest is
As wir s' elennig krank un harr 't toll Fewer,
Rund nennen Kopp 'n Kimmcldok sick üindahn
Un leg da baben in 't twecsleprig Bett

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/135>, abgerufen am 17.06.2024.