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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Altbairische Wanderungen

zeigt sich das in dem Verschwinden der Straßen mit Gebirgshäusern, die im Leset
(Stadtteil an der Jsar unterhalb der Maximiliansbrücke) noch vor einem Menschen¬
alter behaglich ihre hölzernen Galerien und kleinen Fenster sehen ließen. Welche
Poesie damals noch in der Prozession, die alljährlich am Sonntag nach Frohn-
leichnam da unten durchzog! Man fühlte sich vollkommen aufs Land versetzt.
Das Rauschen der Jsar rechts und der alten Eschen des Englischen Gartens links
paßte zu den bekränzten Häusern und den laut betenden Scharen der festlich
gekleideten Kinder und Bruderschaften. Innen im Münchner Bürgertum lebt
noch viel von der alten frommen Einfachheit und Gediegenheit früherer Zeiten.
Unter den steinreichen Brauern und Kaufleuten sind Männer und Frauen von
echt bürgerlichem Sinn und Lebenswandel noch zahlreicher als in andern
gleichgroßen Städte". Sie treten nur zu wenig hervor. Schon seit langem
ist es Negel, daß Nichtmünchner, vor allem Schwaben, Franken, Pfälzer und --
Juden die Angelegenheiten der Stadt leiten. Das hängt mit der Zurück¬
haltung der Altmünchner überhaupt und dann mit ihrer dem Liberalismus
und Diplomatisircn nicht günstigen Geistesanlage zusammen. Der bairische
Stamm ist nicht umsonst der Hort des Katholizismus im deutschen Volke ge¬
blieben. Neuerungen abhold, dem Gemüt mehr vertrauend als dem Geist,
dem Schönen mit tiefem Verständnis zugewandt, hat er eine natürliche Be¬
stimmung für den Katholizismus. Daher auch die absolute Übereinstimmung
der konservativen Richtung mit der klerikalen in Baiern wie in Österreich, wie
es besonders der Antisemitismus erfahren hat. Wenn auch die Sozialdemokratie
in München rechts und links (d. h. von der Jsar; links liegt München, rechts die
Vorstädte An, Hcndhausen, Giesing u. a.) gehörige Verwüstungen angerichtet
hat, so haben doch gerade die Gemeindewahlen der letzten Jahre wieder eine
große Zahl von Arbeiterstimmen für die konservativen Kandidaten ergeben.
Jedenfalls ist in München der Gegensatz zwischen Bürgern und Arbeitern noch
nicht so schroff wie in vielen andern deutschen Städten. Darin liegt ein kost¬
barer, wohl zu hütender Nest der alten Landstadt, für die die "Schranne"
mit ihren kornverkaufenden Bauern wichtiger war als die Börse.


2

Doch wir sind noch nicht in München. Es ist zwischen dem Jnn und
der Jsar ein breiterer Strich, als die meisten denken, die sich Baierns nur von
der Karte her erinnern. Und dazu kommt jenseits des Jnn uoch das Stück


tritt von der Stelle eines Geschäftsführers der Naturforscherversammlung drohte, wenn der
Haushofcrsche Aufsatz abgedruckt würde. Man gab dem Verlangen nach, und Haushofer ließ
eine kleine Anzahl Abzüge machen, die er an Freunde verteilte. Wenn ich jetzt die geistvoll in
die Tiefe der sozialen Erscheinungen leuchtende Schrift wieder lese, begreife ich noch weniger
als früher die Ablehnung durch einen Mann von so durchdringendem Geist. Die Schrift ist voll
Pietät und Verständnis und hatte dem Münchner wie dem Fremden gleich wohl gethan.
Grenzboten IV 1897 18
Altbairische Wanderungen

zeigt sich das in dem Verschwinden der Straßen mit Gebirgshäusern, die im Leset
(Stadtteil an der Jsar unterhalb der Maximiliansbrücke) noch vor einem Menschen¬
alter behaglich ihre hölzernen Galerien und kleinen Fenster sehen ließen. Welche
Poesie damals noch in der Prozession, die alljährlich am Sonntag nach Frohn-
leichnam da unten durchzog! Man fühlte sich vollkommen aufs Land versetzt.
Das Rauschen der Jsar rechts und der alten Eschen des Englischen Gartens links
paßte zu den bekränzten Häusern und den laut betenden Scharen der festlich
gekleideten Kinder und Bruderschaften. Innen im Münchner Bürgertum lebt
noch viel von der alten frommen Einfachheit und Gediegenheit früherer Zeiten.
Unter den steinreichen Brauern und Kaufleuten sind Männer und Frauen von
echt bürgerlichem Sinn und Lebenswandel noch zahlreicher als in andern
gleichgroßen Städte». Sie treten nur zu wenig hervor. Schon seit langem
ist es Negel, daß Nichtmünchner, vor allem Schwaben, Franken, Pfälzer und —
Juden die Angelegenheiten der Stadt leiten. Das hängt mit der Zurück¬
haltung der Altmünchner überhaupt und dann mit ihrer dem Liberalismus
und Diplomatisircn nicht günstigen Geistesanlage zusammen. Der bairische
Stamm ist nicht umsonst der Hort des Katholizismus im deutschen Volke ge¬
blieben. Neuerungen abhold, dem Gemüt mehr vertrauend als dem Geist,
dem Schönen mit tiefem Verständnis zugewandt, hat er eine natürliche Be¬
stimmung für den Katholizismus. Daher auch die absolute Übereinstimmung
der konservativen Richtung mit der klerikalen in Baiern wie in Österreich, wie
es besonders der Antisemitismus erfahren hat. Wenn auch die Sozialdemokratie
in München rechts und links (d. h. von der Jsar; links liegt München, rechts die
Vorstädte An, Hcndhausen, Giesing u. a.) gehörige Verwüstungen angerichtet
hat, so haben doch gerade die Gemeindewahlen der letzten Jahre wieder eine
große Zahl von Arbeiterstimmen für die konservativen Kandidaten ergeben.
Jedenfalls ist in München der Gegensatz zwischen Bürgern und Arbeitern noch
nicht so schroff wie in vielen andern deutschen Städten. Darin liegt ein kost¬
barer, wohl zu hütender Nest der alten Landstadt, für die die „Schranne"
mit ihren kornverkaufenden Bauern wichtiger war als die Börse.


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Doch wir sind noch nicht in München. Es ist zwischen dem Jnn und
der Jsar ein breiterer Strich, als die meisten denken, die sich Baierns nur von
der Karte her erinnern. Und dazu kommt jenseits des Jnn uoch das Stück


tritt von der Stelle eines Geschäftsführers der Naturforscherversammlung drohte, wenn der
Haushofcrsche Aufsatz abgedruckt würde. Man gab dem Verlangen nach, und Haushofer ließ
eine kleine Anzahl Abzüge machen, die er an Freunde verteilte. Wenn ich jetzt die geistvoll in
die Tiefe der sozialen Erscheinungen leuchtende Schrift wieder lese, begreife ich noch weniger
als früher die Ablehnung durch einen Mann von so durchdringendem Geist. Die Schrift ist voll
Pietät und Verständnis und hatte dem Münchner wie dem Fremden gleich wohl gethan.
Grenzboten IV 1897 18
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[0145] Altbairische Wanderungen zeigt sich das in dem Verschwinden der Straßen mit Gebirgshäusern, die im Leset (Stadtteil an der Jsar unterhalb der Maximiliansbrücke) noch vor einem Menschen¬ alter behaglich ihre hölzernen Galerien und kleinen Fenster sehen ließen. Welche Poesie damals noch in der Prozession, die alljährlich am Sonntag nach Frohn- leichnam da unten durchzog! Man fühlte sich vollkommen aufs Land versetzt. Das Rauschen der Jsar rechts und der alten Eschen des Englischen Gartens links paßte zu den bekränzten Häusern und den laut betenden Scharen der festlich gekleideten Kinder und Bruderschaften. Innen im Münchner Bürgertum lebt noch viel von der alten frommen Einfachheit und Gediegenheit früherer Zeiten. Unter den steinreichen Brauern und Kaufleuten sind Männer und Frauen von echt bürgerlichem Sinn und Lebenswandel noch zahlreicher als in andern gleichgroßen Städte». Sie treten nur zu wenig hervor. Schon seit langem ist es Negel, daß Nichtmünchner, vor allem Schwaben, Franken, Pfälzer und — Juden die Angelegenheiten der Stadt leiten. Das hängt mit der Zurück¬ haltung der Altmünchner überhaupt und dann mit ihrer dem Liberalismus und Diplomatisircn nicht günstigen Geistesanlage zusammen. Der bairische Stamm ist nicht umsonst der Hort des Katholizismus im deutschen Volke ge¬ blieben. Neuerungen abhold, dem Gemüt mehr vertrauend als dem Geist, dem Schönen mit tiefem Verständnis zugewandt, hat er eine natürliche Be¬ stimmung für den Katholizismus. Daher auch die absolute Übereinstimmung der konservativen Richtung mit der klerikalen in Baiern wie in Österreich, wie es besonders der Antisemitismus erfahren hat. Wenn auch die Sozialdemokratie in München rechts und links (d. h. von der Jsar; links liegt München, rechts die Vorstädte An, Hcndhausen, Giesing u. a.) gehörige Verwüstungen angerichtet hat, so haben doch gerade die Gemeindewahlen der letzten Jahre wieder eine große Zahl von Arbeiterstimmen für die konservativen Kandidaten ergeben. Jedenfalls ist in München der Gegensatz zwischen Bürgern und Arbeitern noch nicht so schroff wie in vielen andern deutschen Städten. Darin liegt ein kost¬ barer, wohl zu hütender Nest der alten Landstadt, für die die „Schranne" mit ihren kornverkaufenden Bauern wichtiger war als die Börse. 2 Doch wir sind noch nicht in München. Es ist zwischen dem Jnn und der Jsar ein breiterer Strich, als die meisten denken, die sich Baierns nur von der Karte her erinnern. Und dazu kommt jenseits des Jnn uoch das Stück tritt von der Stelle eines Geschäftsführers der Naturforscherversammlung drohte, wenn der Haushofcrsche Aufsatz abgedruckt würde. Man gab dem Verlangen nach, und Haushofer ließ eine kleine Anzahl Abzüge machen, die er an Freunde verteilte. Wenn ich jetzt die geistvoll in die Tiefe der sozialen Erscheinungen leuchtende Schrift wieder lese, begreife ich noch weniger als früher die Ablehnung durch einen Mann von so durchdringendem Geist. Die Schrift ist voll Pietät und Verständnis und hatte dem Münchner wie dem Fremden gleich wohl gethan. Grenzboten IV 1897 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/145>, abgerufen am 17.06.2024.