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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Altbairische Wanderungen

ja nicht überall Zimmer, die Schatzkästlein des Empirestils genannt werden
könnten, wie einst im "Wilden Mann" zu Passau; aber es ist eine Wohlthat,
Neste aus einer Zeit zu sehen, die jenseits der mit 1850 einreißenden Geschmack¬
losigkeit liegt. Gewöhnlich sind diese alten Häuser mit ihren breiten Höfen
und zahlreichen Stallungen jetzt mehr Bauernhof als Post; doch sind sie gut
gehalten und bieten nicht selten an Essen und Trinken ausgezeichnetes. Der
Baier besucht gern das Wirtshaus, das unter dem Einfluß einer starken Nach¬
frage, aber auch einer unverblümten Kritik sich hierzulande in der Regel besser
entwickelt als in schwäbischen oder fränkischen Landesteilen. Fragst dn, wo
das kräftige Vier herstammt, dessen Farbe etwas dunkler und dessen Geschmack
weniger süßlich zu sein pflegt als in München oder gar in Salzburg, so zeigt
man dir ein großes weißes Schloß, das von dem Landrücken zwischen Im,
und Jsar herüberschaut, einer milden Erhebung, die hier bewaldet, dort mit
Schlössern und Klöstern besetzt ist. Die alten Geschlechter von Maxlrain oder
Neuhauß, die dort gehaust haben, mögen dich wenig interessiren, aber in diesen
Schlössern ist noch manche schöne alte Täfelung, sind Ahnenbilder und mächtige
Säulenschräuke erhalten. Viel von dem alten Hausrat hat allerdings durch
die glänzenden Läden der Münchner Antiquitätenhändler seinen Weg in "alt¬
deutsche Zimmer" der weite" Welt gefunden. Die Architektur hat eiuen großen
Stil: wahrscheinlich italienische Einflüsse, die ja auch in den hallennmgebnen
Höfen der Bürgerhäuser der Jnnstädte zu erkennen sind. Ein halbverwilderter
Park von der Größe eines guten Waldstücks führt dich auf die Höhe, wo du
vor dir die Alpen und hinter dir ein Land mit vielen Dörfern, Weilern und
Höfen siehst. Ganz oben ist ein kleines Kirchlein, auf dessen Kirchhof Kloster¬
frauen begraben sind, die zeitweilig in dem Schlosse eine Erziehungsanstalt
geleitet hatten. Das große Gebäude weiterhin, das moderner als die andern
aussieht, ist natürlich die Brauerei, ohne die ein Schloß hier nicht zu denken
ist; weshalb auch die bairische Komtesse sich als Bräuerstochter vorstellen
kann, ohne der Wahrheit (und meist auch der Wahrscheinlichkeit) zu nahe zu
treten. Dort hinten glänzt Taufkirchen herüber, dessen Name an die ans vielen
Schlachtfeldern erprobte Tapferkeit des bairischen Adels erinnert. Geistige
Interessen pflegten sie weniger. Die meisten konnten von sich sagen wie jener
Rittmeister a. D. aus altem schlesischen Adel, in dessen Schloß ich einst die
Spur eines Kantischen Manuskripts verfolgt zu haben glaubte: Es mag so
was in einer alten Kiste liegen; aber auf Geschriebnes und Gedrucktes haben
wir im allgemeinen nie viel Wert gelegt. War es nicht auch ein Taufkirchen,
der bei Coulmiers mit einem Schuß durchs Schädeldach sich meldete: Glück¬
licherweise kein edler Teil verletzt? Die Geschichte Baierns erzählt Wohl von
tüchtigen Diplomaten und Soldaten aus den heimischen Adelsgeschlechtern, aber
ihren Ruhm verdunkeln die fremden Namen Montgelas, Deroy, Wrede. Jeden¬
falls hat Baiern aus der unzweifelhaften Begabung seiner Söhne in diesem


Altbairische Wanderungen

ja nicht überall Zimmer, die Schatzkästlein des Empirestils genannt werden
könnten, wie einst im „Wilden Mann" zu Passau; aber es ist eine Wohlthat,
Neste aus einer Zeit zu sehen, die jenseits der mit 1850 einreißenden Geschmack¬
losigkeit liegt. Gewöhnlich sind diese alten Häuser mit ihren breiten Höfen
und zahlreichen Stallungen jetzt mehr Bauernhof als Post; doch sind sie gut
gehalten und bieten nicht selten an Essen und Trinken ausgezeichnetes. Der
Baier besucht gern das Wirtshaus, das unter dem Einfluß einer starken Nach¬
frage, aber auch einer unverblümten Kritik sich hierzulande in der Regel besser
entwickelt als in schwäbischen oder fränkischen Landesteilen. Fragst dn, wo
das kräftige Vier herstammt, dessen Farbe etwas dunkler und dessen Geschmack
weniger süßlich zu sein pflegt als in München oder gar in Salzburg, so zeigt
man dir ein großes weißes Schloß, das von dem Landrücken zwischen Im,
und Jsar herüberschaut, einer milden Erhebung, die hier bewaldet, dort mit
Schlössern und Klöstern besetzt ist. Die alten Geschlechter von Maxlrain oder
Neuhauß, die dort gehaust haben, mögen dich wenig interessiren, aber in diesen
Schlössern ist noch manche schöne alte Täfelung, sind Ahnenbilder und mächtige
Säulenschräuke erhalten. Viel von dem alten Hausrat hat allerdings durch
die glänzenden Läden der Münchner Antiquitätenhändler seinen Weg in „alt¬
deutsche Zimmer" der weite» Welt gefunden. Die Architektur hat eiuen großen
Stil: wahrscheinlich italienische Einflüsse, die ja auch in den hallennmgebnen
Höfen der Bürgerhäuser der Jnnstädte zu erkennen sind. Ein halbverwilderter
Park von der Größe eines guten Waldstücks führt dich auf die Höhe, wo du
vor dir die Alpen und hinter dir ein Land mit vielen Dörfern, Weilern und
Höfen siehst. Ganz oben ist ein kleines Kirchlein, auf dessen Kirchhof Kloster¬
frauen begraben sind, die zeitweilig in dem Schlosse eine Erziehungsanstalt
geleitet hatten. Das große Gebäude weiterhin, das moderner als die andern
aussieht, ist natürlich die Brauerei, ohne die ein Schloß hier nicht zu denken
ist; weshalb auch die bairische Komtesse sich als Bräuerstochter vorstellen
kann, ohne der Wahrheit (und meist auch der Wahrscheinlichkeit) zu nahe zu
treten. Dort hinten glänzt Taufkirchen herüber, dessen Name an die ans vielen
Schlachtfeldern erprobte Tapferkeit des bairischen Adels erinnert. Geistige
Interessen pflegten sie weniger. Die meisten konnten von sich sagen wie jener
Rittmeister a. D. aus altem schlesischen Adel, in dessen Schloß ich einst die
Spur eines Kantischen Manuskripts verfolgt zu haben glaubte: Es mag so
was in einer alten Kiste liegen; aber auf Geschriebnes und Gedrucktes haben
wir im allgemeinen nie viel Wert gelegt. War es nicht auch ein Taufkirchen,
der bei Coulmiers mit einem Schuß durchs Schädeldach sich meldete: Glück¬
licherweise kein edler Teil verletzt? Die Geschichte Baierns erzählt Wohl von
tüchtigen Diplomaten und Soldaten aus den heimischen Adelsgeschlechtern, aber
ihren Ruhm verdunkeln die fremden Namen Montgelas, Deroy, Wrede. Jeden¬
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[0147] Altbairische Wanderungen ja nicht überall Zimmer, die Schatzkästlein des Empirestils genannt werden könnten, wie einst im „Wilden Mann" zu Passau; aber es ist eine Wohlthat, Neste aus einer Zeit zu sehen, die jenseits der mit 1850 einreißenden Geschmack¬ losigkeit liegt. Gewöhnlich sind diese alten Häuser mit ihren breiten Höfen und zahlreichen Stallungen jetzt mehr Bauernhof als Post; doch sind sie gut gehalten und bieten nicht selten an Essen und Trinken ausgezeichnetes. Der Baier besucht gern das Wirtshaus, das unter dem Einfluß einer starken Nach¬ frage, aber auch einer unverblümten Kritik sich hierzulande in der Regel besser entwickelt als in schwäbischen oder fränkischen Landesteilen. Fragst dn, wo das kräftige Vier herstammt, dessen Farbe etwas dunkler und dessen Geschmack weniger süßlich zu sein pflegt als in München oder gar in Salzburg, so zeigt man dir ein großes weißes Schloß, das von dem Landrücken zwischen Im, und Jsar herüberschaut, einer milden Erhebung, die hier bewaldet, dort mit Schlössern und Klöstern besetzt ist. Die alten Geschlechter von Maxlrain oder Neuhauß, die dort gehaust haben, mögen dich wenig interessiren, aber in diesen Schlössern ist noch manche schöne alte Täfelung, sind Ahnenbilder und mächtige Säulenschräuke erhalten. Viel von dem alten Hausrat hat allerdings durch die glänzenden Läden der Münchner Antiquitätenhändler seinen Weg in „alt¬ deutsche Zimmer" der weite» Welt gefunden. Die Architektur hat eiuen großen Stil: wahrscheinlich italienische Einflüsse, die ja auch in den hallennmgebnen Höfen der Bürgerhäuser der Jnnstädte zu erkennen sind. Ein halbverwilderter Park von der Größe eines guten Waldstücks führt dich auf die Höhe, wo du vor dir die Alpen und hinter dir ein Land mit vielen Dörfern, Weilern und Höfen siehst. Ganz oben ist ein kleines Kirchlein, auf dessen Kirchhof Kloster¬ frauen begraben sind, die zeitweilig in dem Schlosse eine Erziehungsanstalt geleitet hatten. Das große Gebäude weiterhin, das moderner als die andern aussieht, ist natürlich die Brauerei, ohne die ein Schloß hier nicht zu denken ist; weshalb auch die bairische Komtesse sich als Bräuerstochter vorstellen kann, ohne der Wahrheit (und meist auch der Wahrscheinlichkeit) zu nahe zu treten. Dort hinten glänzt Taufkirchen herüber, dessen Name an die ans vielen Schlachtfeldern erprobte Tapferkeit des bairischen Adels erinnert. Geistige Interessen pflegten sie weniger. Die meisten konnten von sich sagen wie jener Rittmeister a. D. aus altem schlesischen Adel, in dessen Schloß ich einst die Spur eines Kantischen Manuskripts verfolgt zu haben glaubte: Es mag so was in einer alten Kiste liegen; aber auf Geschriebnes und Gedrucktes haben wir im allgemeinen nie viel Wert gelegt. War es nicht auch ein Taufkirchen, der bei Coulmiers mit einem Schuß durchs Schädeldach sich meldete: Glück¬ licherweise kein edler Teil verletzt? Die Geschichte Baierns erzählt Wohl von tüchtigen Diplomaten und Soldaten aus den heimischen Adelsgeschlechtern, aber ihren Ruhm verdunkeln die fremden Namen Montgelas, Deroy, Wrede. Jeden¬ falls hat Baiern aus der unzweifelhaften Begabung seiner Söhne in diesem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/147>, abgerufen am 17.06.2024.