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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Altbairische Wanderungen

Stande nicht so viel Nutzen gezogen wie z. B. Preußen. Die neuere Zeit hat
ja anch hier aufrüttelnd gewirkt und Kräfte frei gemacht, die sonst geschlummert
haben und immer weiter geschlummert hätten. Es ist aber doch merkwürdig,
daß die beiden bairischen Staatsmänner, die seit 1870 in Berlin am häufigsten
genannt worden sind, der Staatsminister Lutz und der Führer des Zentrums
Freiherr von Franckenstein, fränkische Männer waren.

Das oberbairische Land hat auch außerhalb des Gebirges einen heitern
Charakter. Der wellige Boden der Hochebne schafft die mannichfaltigsten
Lagen für Bauernhöfe, Kirchen, Schlösser, Wald- und Baumgruppen. Die
geschlossenen Flüchen des Waldes, der Wiesen, der Felder, die auch noch im
Mittelgebirge vorwalten, durchbricht die Parklandschaft. Einzelne Eichen,
Ulmen, Ahorne, Weiden und Gruppen solcher Bäume verteilen sich über das
ganze Land, und aus den Gruppen der Laubbäume treten auf jeder Boden¬
erhebung die dunkeln Fichten hervor. Jeder Bauernhof hat seine Bäume und
Baumgruppen. Nuß- und Obstbäume trete" dahinter ganz zurück. Man sieht,
wie das Land aus dem Wald herausgewachsen ist, der es einst ganz bedeckte.
Jeder Acker und jede Wiese hat ein paar Bäume oder ein Wäldchen übrig
gelassen. Da sich nun schon von der Donau an und mehr noch südlich von
der Linie Pfaffenhofen--Landshut die Dörfer immer mehr in Einzelhöfe auf¬
lösen, die sich an die Hügel anlehnen oder die Hügel krönen, so entsteht eine
der individualisirtesten Landschaften, die wir in Deutschland haben. Selbst die
Kirche folgt diesem Zug. Gehört doch zu einem rechten Bauernhof auch eine
Kapelle. Auch die einst zahlreichen Einsiedler haben Kirchlein hinterlassen, und
manches alte Kirchlein steht mit wenigen Höfen zusammen als Kern einer
alten Kirchgemeinde, von der sich ein jüngeres Dorf mit einer neuen großen
Kirche abgezweigt hat. Nach Hunderten zählen die Kapellen und Kirchen, in
denen nnr an den Tagen der Patrone und sonstigen Feiertagen Gottesdienst
gehalten wird, die aber dem Gebete ständig offen stehen. Das mit Sorgfalt
unterhaltn? eigne Kirchlein giebt dem Bauernhöfe eine höhere Selbständigkeit.
Das landschaftliche Auge freut sich der altersgrauen oder zierlichen Gottes-
häuschen, unter denen manche uralten der romanischen Bauweise angehören.
Es sind kleine Juwelen darunter, wo sich der Chor schön von dem Schifflein
abhebt, während ein Seitenanbau die Kapelle einer frommen Stifterin vermuten
läßt. Der Hof selbst zeigt in seiner rein weißen Farbe, von der sich die
grünen Fensterläden abheben, welche Sorgfalt über ihm wacht. Das zweit¬
wichtigste Bauwerk aber in dieser oberbairischen Landschaft ist sicherlich das
Wirtshaus. Weithin sich ankündigend durch die blauweiße Fahnenstange,
in schloßartiger Ausdehnung als ein gastlich erweiterter Bauernhof er¬
scheinend, mit Bäumen vor dem Thore, unter denen Tische für biertrinkende
Menschen und Futtertroge für hafcrfresfende Pferde stehen, spricht es
von dem Wohlbehagen und der Lebenslust, die in diesem Lande herrschen.


Altbairische Wanderungen

Stande nicht so viel Nutzen gezogen wie z. B. Preußen. Die neuere Zeit hat
ja anch hier aufrüttelnd gewirkt und Kräfte frei gemacht, die sonst geschlummert
haben und immer weiter geschlummert hätten. Es ist aber doch merkwürdig,
daß die beiden bairischen Staatsmänner, die seit 1870 in Berlin am häufigsten
genannt worden sind, der Staatsminister Lutz und der Führer des Zentrums
Freiherr von Franckenstein, fränkische Männer waren.

Das oberbairische Land hat auch außerhalb des Gebirges einen heitern
Charakter. Der wellige Boden der Hochebne schafft die mannichfaltigsten
Lagen für Bauernhöfe, Kirchen, Schlösser, Wald- und Baumgruppen. Die
geschlossenen Flüchen des Waldes, der Wiesen, der Felder, die auch noch im
Mittelgebirge vorwalten, durchbricht die Parklandschaft. Einzelne Eichen,
Ulmen, Ahorne, Weiden und Gruppen solcher Bäume verteilen sich über das
ganze Land, und aus den Gruppen der Laubbäume treten auf jeder Boden¬
erhebung die dunkeln Fichten hervor. Jeder Bauernhof hat seine Bäume und
Baumgruppen. Nuß- und Obstbäume trete» dahinter ganz zurück. Man sieht,
wie das Land aus dem Wald herausgewachsen ist, der es einst ganz bedeckte.
Jeder Acker und jede Wiese hat ein paar Bäume oder ein Wäldchen übrig
gelassen. Da sich nun schon von der Donau an und mehr noch südlich von
der Linie Pfaffenhofen—Landshut die Dörfer immer mehr in Einzelhöfe auf¬
lösen, die sich an die Hügel anlehnen oder die Hügel krönen, so entsteht eine
der individualisirtesten Landschaften, die wir in Deutschland haben. Selbst die
Kirche folgt diesem Zug. Gehört doch zu einem rechten Bauernhof auch eine
Kapelle. Auch die einst zahlreichen Einsiedler haben Kirchlein hinterlassen, und
manches alte Kirchlein steht mit wenigen Höfen zusammen als Kern einer
alten Kirchgemeinde, von der sich ein jüngeres Dorf mit einer neuen großen
Kirche abgezweigt hat. Nach Hunderten zählen die Kapellen und Kirchen, in
denen nnr an den Tagen der Patrone und sonstigen Feiertagen Gottesdienst
gehalten wird, die aber dem Gebete ständig offen stehen. Das mit Sorgfalt
unterhaltn? eigne Kirchlein giebt dem Bauernhöfe eine höhere Selbständigkeit.
Das landschaftliche Auge freut sich der altersgrauen oder zierlichen Gottes-
häuschen, unter denen manche uralten der romanischen Bauweise angehören.
Es sind kleine Juwelen darunter, wo sich der Chor schön von dem Schifflein
abhebt, während ein Seitenanbau die Kapelle einer frommen Stifterin vermuten
läßt. Der Hof selbst zeigt in seiner rein weißen Farbe, von der sich die
grünen Fensterläden abheben, welche Sorgfalt über ihm wacht. Das zweit¬
wichtigste Bauwerk aber in dieser oberbairischen Landschaft ist sicherlich das
Wirtshaus. Weithin sich ankündigend durch die blauweiße Fahnenstange,
in schloßartiger Ausdehnung als ein gastlich erweiterter Bauernhof er¬
scheinend, mit Bäumen vor dem Thore, unter denen Tische für biertrinkende
Menschen und Futtertroge für hafcrfresfende Pferde stehen, spricht es
von dem Wohlbehagen und der Lebenslust, die in diesem Lande herrschen.


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[0148] Altbairische Wanderungen Stande nicht so viel Nutzen gezogen wie z. B. Preußen. Die neuere Zeit hat ja anch hier aufrüttelnd gewirkt und Kräfte frei gemacht, die sonst geschlummert haben und immer weiter geschlummert hätten. Es ist aber doch merkwürdig, daß die beiden bairischen Staatsmänner, die seit 1870 in Berlin am häufigsten genannt worden sind, der Staatsminister Lutz und der Führer des Zentrums Freiherr von Franckenstein, fränkische Männer waren. Das oberbairische Land hat auch außerhalb des Gebirges einen heitern Charakter. Der wellige Boden der Hochebne schafft die mannichfaltigsten Lagen für Bauernhöfe, Kirchen, Schlösser, Wald- und Baumgruppen. Die geschlossenen Flüchen des Waldes, der Wiesen, der Felder, die auch noch im Mittelgebirge vorwalten, durchbricht die Parklandschaft. Einzelne Eichen, Ulmen, Ahorne, Weiden und Gruppen solcher Bäume verteilen sich über das ganze Land, und aus den Gruppen der Laubbäume treten auf jeder Boden¬ erhebung die dunkeln Fichten hervor. Jeder Bauernhof hat seine Bäume und Baumgruppen. Nuß- und Obstbäume trete» dahinter ganz zurück. Man sieht, wie das Land aus dem Wald herausgewachsen ist, der es einst ganz bedeckte. Jeder Acker und jede Wiese hat ein paar Bäume oder ein Wäldchen übrig gelassen. Da sich nun schon von der Donau an und mehr noch südlich von der Linie Pfaffenhofen—Landshut die Dörfer immer mehr in Einzelhöfe auf¬ lösen, die sich an die Hügel anlehnen oder die Hügel krönen, so entsteht eine der individualisirtesten Landschaften, die wir in Deutschland haben. Selbst die Kirche folgt diesem Zug. Gehört doch zu einem rechten Bauernhof auch eine Kapelle. Auch die einst zahlreichen Einsiedler haben Kirchlein hinterlassen, und manches alte Kirchlein steht mit wenigen Höfen zusammen als Kern einer alten Kirchgemeinde, von der sich ein jüngeres Dorf mit einer neuen großen Kirche abgezweigt hat. Nach Hunderten zählen die Kapellen und Kirchen, in denen nnr an den Tagen der Patrone und sonstigen Feiertagen Gottesdienst gehalten wird, die aber dem Gebete ständig offen stehen. Das mit Sorgfalt unterhaltn? eigne Kirchlein giebt dem Bauernhöfe eine höhere Selbständigkeit. Das landschaftliche Auge freut sich der altersgrauen oder zierlichen Gottes- häuschen, unter denen manche uralten der romanischen Bauweise angehören. Es sind kleine Juwelen darunter, wo sich der Chor schön von dem Schifflein abhebt, während ein Seitenanbau die Kapelle einer frommen Stifterin vermuten läßt. Der Hof selbst zeigt in seiner rein weißen Farbe, von der sich die grünen Fensterläden abheben, welche Sorgfalt über ihm wacht. Das zweit¬ wichtigste Bauwerk aber in dieser oberbairischen Landschaft ist sicherlich das Wirtshaus. Weithin sich ankündigend durch die blauweiße Fahnenstange, in schloßartiger Ausdehnung als ein gastlich erweiterter Bauernhof er¬ scheinend, mit Bäumen vor dem Thore, unter denen Tische für biertrinkende Menschen und Futtertroge für hafcrfresfende Pferde stehen, spricht es von dem Wohlbehagen und der Lebenslust, die in diesem Lande herrschen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/148>, abgerufen am 17.06.2024.