Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aornpreise und Industrie

seinen Absatz ohne Erweckung des Neides in aller Stille hinter den Kauf-
fahrern aller Völker her zu finden. Wir können nicht groß werden auf dem
Weltmarkt und dabei darauf rechnen, geduldet und unbeachtet zu bleiben wie
Belgien oder die Niederlande. Wir müssen ein ebenbürtiger Konkurrent Eng¬
lands werden, oder wir thun wohl, die Konkurrenz beizeiten aufzugeben, wenn
wir nur darauf aus sind, unsre industriellen Pfahlbauten überall hin vorzu¬
schieben, ohne uns um die Sicherung der stützenden Pfähle zu kümmern. Selbst
auf die offnen Drohungen Englands, diese Pfähle gelegentlich umzuwerfen,
geben wir kaum acht. Wir denken uns noch immer still durchzudrücken, wie
wir es bis 1870 gethan haben.

Als im vorigen Herbst die Engländer durch den Glückwunsch des Kaisers
an den Präsidenten von Transvaal in Aufregung gerieten, las man in eng¬
lischen Blattern die Drohung, man werde bei einem Zusammenstoß mit
Deutschland mit der deutschen Handelsflotte kurzen Prozeß machen. Das war
keine leere Drohung, fondern entspricht den wirklichen Machtverhältnissen.
Wenn es zwischen uns und den Engländern zu einem Kriege käme, so würde
unsre Handelsflotte sehr wahrscheinlich in ein paar Wochen von allen Meeren
weggefegt werden. Davor könnte uns die Hilfe keiner einzelnen Macht der
Welt retten, und es bedürfte schon eines Kriegsbundes mit Nußland, Frank¬
reich und den Vereinigten Staaten, um das englische Übergewicht zur See
einigermaßen auszugleichen. Auch dürfen wir uns nicht der Täuschung hin¬
geben, als ob die englische Friedensliebe stark genug wäre, einen Krieg mit
uns zu vermeiden, solange wir selbst den Kampf nicht durch unser staatliches
Verhalten herausfordern- Die Friedensliebe Englands reicht gerade so weit,
als seine Handelsinteressen und seine kolonialen Interessen gesichert sind; so¬
bald diese gefährdet würden durch eine Konkurrenz, die den englischen Handel
wesentlich und dauernd herabzudrücken drohte, sobald etwa die englische Handels¬
statistik nachwiese, daß der Handelsumsatz zehn oder zwanzig Prozent zu Gunsten
des deutschen Handels verloren habe, wäre es mit der englischen Friedensliebe
sicher vorbei, und man würde dort die erste gute Gelegenheit ergreifen, um
jene Drohungen an unsrer Handelsflotte und unsern Handelsverbindungen
wahr zu machen. Wir find hierin einfach von dem guten Willen Englands
abhängig, wofür die kurze Geschichte unsrer kolonialen Unternehmungen so
manche Beweise giebt. Soviel mau uns in London überlassen zu dürfen
glaubte, ohne die eignen kolonialen Zukunftsplüne zu gefährden, soviel und
uicht mehr haben wir in Afrika, in Neuguinea, in der Südsee bekommen, soviel
und nicht mehr werden wir davon behalten, wenn England einmal zu der
Ansicht gelangen sollte, daß es uns zu viel eingeräumt habe und es ihm vor¬
teilhaft wäre, unter günstigen Umständen uns das oder jenes wieder abzunehmen.
Ebenso haben wir für unsern Handel über See nichts von England zu fürchten,
solange man uns drüben nachrechnet, daß unsre überseeische Ausfuhr sechs oder


Aornpreise und Industrie

seinen Absatz ohne Erweckung des Neides in aller Stille hinter den Kauf-
fahrern aller Völker her zu finden. Wir können nicht groß werden auf dem
Weltmarkt und dabei darauf rechnen, geduldet und unbeachtet zu bleiben wie
Belgien oder die Niederlande. Wir müssen ein ebenbürtiger Konkurrent Eng¬
lands werden, oder wir thun wohl, die Konkurrenz beizeiten aufzugeben, wenn
wir nur darauf aus sind, unsre industriellen Pfahlbauten überall hin vorzu¬
schieben, ohne uns um die Sicherung der stützenden Pfähle zu kümmern. Selbst
auf die offnen Drohungen Englands, diese Pfähle gelegentlich umzuwerfen,
geben wir kaum acht. Wir denken uns noch immer still durchzudrücken, wie
wir es bis 1870 gethan haben.

Als im vorigen Herbst die Engländer durch den Glückwunsch des Kaisers
an den Präsidenten von Transvaal in Aufregung gerieten, las man in eng¬
lischen Blattern die Drohung, man werde bei einem Zusammenstoß mit
Deutschland mit der deutschen Handelsflotte kurzen Prozeß machen. Das war
keine leere Drohung, fondern entspricht den wirklichen Machtverhältnissen.
Wenn es zwischen uns und den Engländern zu einem Kriege käme, so würde
unsre Handelsflotte sehr wahrscheinlich in ein paar Wochen von allen Meeren
weggefegt werden. Davor könnte uns die Hilfe keiner einzelnen Macht der
Welt retten, und es bedürfte schon eines Kriegsbundes mit Nußland, Frank¬
reich und den Vereinigten Staaten, um das englische Übergewicht zur See
einigermaßen auszugleichen. Auch dürfen wir uns nicht der Täuschung hin¬
geben, als ob die englische Friedensliebe stark genug wäre, einen Krieg mit
uns zu vermeiden, solange wir selbst den Kampf nicht durch unser staatliches
Verhalten herausfordern- Die Friedensliebe Englands reicht gerade so weit,
als seine Handelsinteressen und seine kolonialen Interessen gesichert sind; so¬
bald diese gefährdet würden durch eine Konkurrenz, die den englischen Handel
wesentlich und dauernd herabzudrücken drohte, sobald etwa die englische Handels¬
statistik nachwiese, daß der Handelsumsatz zehn oder zwanzig Prozent zu Gunsten
des deutschen Handels verloren habe, wäre es mit der englischen Friedensliebe
sicher vorbei, und man würde dort die erste gute Gelegenheit ergreifen, um
jene Drohungen an unsrer Handelsflotte und unsern Handelsverbindungen
wahr zu machen. Wir find hierin einfach von dem guten Willen Englands
abhängig, wofür die kurze Geschichte unsrer kolonialen Unternehmungen so
manche Beweise giebt. Soviel mau uns in London überlassen zu dürfen
glaubte, ohne die eignen kolonialen Zukunftsplüne zu gefährden, soviel und
uicht mehr haben wir in Afrika, in Neuguinea, in der Südsee bekommen, soviel
und nicht mehr werden wir davon behalten, wenn England einmal zu der
Ansicht gelangen sollte, daß es uns zu viel eingeräumt habe und es ihm vor¬
teilhaft wäre, unter günstigen Umständen uns das oder jenes wieder abzunehmen.
Ebenso haben wir für unsern Handel über See nichts von England zu fürchten,
solange man uns drüben nachrechnet, daß unsre überseeische Ausfuhr sechs oder


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0019" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226251"/>
          <fw type="header" place="top"> Aornpreise und Industrie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_29" prev="#ID_28"> seinen Absatz ohne Erweckung des Neides in aller Stille hinter den Kauf-<lb/>
fahrern aller Völker her zu finden. Wir können nicht groß werden auf dem<lb/>
Weltmarkt und dabei darauf rechnen, geduldet und unbeachtet zu bleiben wie<lb/>
Belgien oder die Niederlande. Wir müssen ein ebenbürtiger Konkurrent Eng¬<lb/>
lands werden, oder wir thun wohl, die Konkurrenz beizeiten aufzugeben, wenn<lb/>
wir nur darauf aus sind, unsre industriellen Pfahlbauten überall hin vorzu¬<lb/>
schieben, ohne uns um die Sicherung der stützenden Pfähle zu kümmern. Selbst<lb/>
auf die offnen Drohungen Englands, diese Pfähle gelegentlich umzuwerfen,<lb/>
geben wir kaum acht. Wir denken uns noch immer still durchzudrücken, wie<lb/>
wir es bis 1870 gethan haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_30" next="#ID_31"> Als im vorigen Herbst die Engländer durch den Glückwunsch des Kaisers<lb/>
an den Präsidenten von Transvaal in Aufregung gerieten, las man in eng¬<lb/>
lischen Blattern die Drohung, man werde bei einem Zusammenstoß mit<lb/>
Deutschland mit der deutschen Handelsflotte kurzen Prozeß machen. Das war<lb/>
keine leere Drohung, fondern entspricht den wirklichen Machtverhältnissen.<lb/>
Wenn es zwischen uns und den Engländern zu einem Kriege käme, so würde<lb/>
unsre Handelsflotte sehr wahrscheinlich in ein paar Wochen von allen Meeren<lb/>
weggefegt werden. Davor könnte uns die Hilfe keiner einzelnen Macht der<lb/>
Welt retten, und es bedürfte schon eines Kriegsbundes mit Nußland, Frank¬<lb/>
reich und den Vereinigten Staaten, um das englische Übergewicht zur See<lb/>
einigermaßen auszugleichen. Auch dürfen wir uns nicht der Täuschung hin¬<lb/>
geben, als ob die englische Friedensliebe stark genug wäre, einen Krieg mit<lb/>
uns zu vermeiden, solange wir selbst den Kampf nicht durch unser staatliches<lb/>
Verhalten herausfordern- Die Friedensliebe Englands reicht gerade so weit,<lb/>
als seine Handelsinteressen und seine kolonialen Interessen gesichert sind; so¬<lb/>
bald diese gefährdet würden durch eine Konkurrenz, die den englischen Handel<lb/>
wesentlich und dauernd herabzudrücken drohte, sobald etwa die englische Handels¬<lb/>
statistik nachwiese, daß der Handelsumsatz zehn oder zwanzig Prozent zu Gunsten<lb/>
des deutschen Handels verloren habe, wäre es mit der englischen Friedensliebe<lb/>
sicher vorbei, und man würde dort die erste gute Gelegenheit ergreifen, um<lb/>
jene Drohungen an unsrer Handelsflotte und unsern Handelsverbindungen<lb/>
wahr zu machen. Wir find hierin einfach von dem guten Willen Englands<lb/>
abhängig, wofür die kurze Geschichte unsrer kolonialen Unternehmungen so<lb/>
manche Beweise giebt. Soviel mau uns in London überlassen zu dürfen<lb/>
glaubte, ohne die eignen kolonialen Zukunftsplüne zu gefährden, soviel und<lb/>
uicht mehr haben wir in Afrika, in Neuguinea, in der Südsee bekommen, soviel<lb/>
und nicht mehr werden wir davon behalten, wenn England einmal zu der<lb/>
Ansicht gelangen sollte, daß es uns zu viel eingeräumt habe und es ihm vor¬<lb/>
teilhaft wäre, unter günstigen Umständen uns das oder jenes wieder abzunehmen.<lb/>
Ebenso haben wir für unsern Handel über See nichts von England zu fürchten,<lb/>
solange man uns drüben nachrechnet, daß unsre überseeische Ausfuhr sechs oder</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] Aornpreise und Industrie seinen Absatz ohne Erweckung des Neides in aller Stille hinter den Kauf- fahrern aller Völker her zu finden. Wir können nicht groß werden auf dem Weltmarkt und dabei darauf rechnen, geduldet und unbeachtet zu bleiben wie Belgien oder die Niederlande. Wir müssen ein ebenbürtiger Konkurrent Eng¬ lands werden, oder wir thun wohl, die Konkurrenz beizeiten aufzugeben, wenn wir nur darauf aus sind, unsre industriellen Pfahlbauten überall hin vorzu¬ schieben, ohne uns um die Sicherung der stützenden Pfähle zu kümmern. Selbst auf die offnen Drohungen Englands, diese Pfähle gelegentlich umzuwerfen, geben wir kaum acht. Wir denken uns noch immer still durchzudrücken, wie wir es bis 1870 gethan haben. Als im vorigen Herbst die Engländer durch den Glückwunsch des Kaisers an den Präsidenten von Transvaal in Aufregung gerieten, las man in eng¬ lischen Blattern die Drohung, man werde bei einem Zusammenstoß mit Deutschland mit der deutschen Handelsflotte kurzen Prozeß machen. Das war keine leere Drohung, fondern entspricht den wirklichen Machtverhältnissen. Wenn es zwischen uns und den Engländern zu einem Kriege käme, so würde unsre Handelsflotte sehr wahrscheinlich in ein paar Wochen von allen Meeren weggefegt werden. Davor könnte uns die Hilfe keiner einzelnen Macht der Welt retten, und es bedürfte schon eines Kriegsbundes mit Nußland, Frank¬ reich und den Vereinigten Staaten, um das englische Übergewicht zur See einigermaßen auszugleichen. Auch dürfen wir uns nicht der Täuschung hin¬ geben, als ob die englische Friedensliebe stark genug wäre, einen Krieg mit uns zu vermeiden, solange wir selbst den Kampf nicht durch unser staatliches Verhalten herausfordern- Die Friedensliebe Englands reicht gerade so weit, als seine Handelsinteressen und seine kolonialen Interessen gesichert sind; so¬ bald diese gefährdet würden durch eine Konkurrenz, die den englischen Handel wesentlich und dauernd herabzudrücken drohte, sobald etwa die englische Handels¬ statistik nachwiese, daß der Handelsumsatz zehn oder zwanzig Prozent zu Gunsten des deutschen Handels verloren habe, wäre es mit der englischen Friedensliebe sicher vorbei, und man würde dort die erste gute Gelegenheit ergreifen, um jene Drohungen an unsrer Handelsflotte und unsern Handelsverbindungen wahr zu machen. Wir find hierin einfach von dem guten Willen Englands abhängig, wofür die kurze Geschichte unsrer kolonialen Unternehmungen so manche Beweise giebt. Soviel mau uns in London überlassen zu dürfen glaubte, ohne die eignen kolonialen Zukunftsplüne zu gefährden, soviel und uicht mehr haben wir in Afrika, in Neuguinea, in der Südsee bekommen, soviel und nicht mehr werden wir davon behalten, wenn England einmal zu der Ansicht gelangen sollte, daß es uns zu viel eingeräumt habe und es ihm vor¬ teilhaft wäre, unter günstigen Umständen uns das oder jenes wieder abzunehmen. Ebenso haben wir für unsern Handel über See nichts von England zu fürchten, solange man uns drüben nachrechnet, daß unsre überseeische Ausfuhr sechs oder

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/19
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/19>, abgerufen am 19.05.2024.