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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Zur Weihnachtszeit

gerade über seinem Kopf. Er legt die Flinte ein die Wange, der Schuß kracht,
und der große Vogel, ein prächtiger Hahn, steigt schräg auf, klappt dann plötzlich
die Flügel zusammen und fällt auf das Dach der kleinen Hütte am Wege nieder.

Das war ein schöner Beschluß der Jagd, und uns dem Heimwege hielt ich
denn auch Ruft einen kleinen beweglichen Vortrng, daß er froh und dankbar sein
und dem Glück vertrauen müsse. Er hörte mich sehr artig an -- es wäre Un¬
recht, etwas andres behaupten zu Wollen --, aber plötzlich griff er sich an die Brust,
suchte in einer innern Tasche, suchte dann in einer Außentasche und fragte mich
endlich ganz erregt, ob ich nicht etwa gesehen hätte, daß er etwas Perloren habe.

Was denn? fragte ich natürlich.

Ach, nichts Bestimmtes, ich weiß nicht -- antwortet er und null umkehren.
In demselben Augenblick höre ich Matheus Stimme hinter mir rufen: Hexe! Willst
du Wohl kommen. Hierher, Hexe! Und als ich mich umdrehe, sehe ich den Köter
herbeieilen "ud Mathem hinterdreintrottelu. Er rief und rief, aber es half uicht.
Der Hund stürzte auf uns zu, setzte sich vor Naht auf die Hinterpfoten und
präsentirte ihm äußerst galant einen braunen Damenhandschuh, deu er im
Maule hielt.

Ist das nicht ein eigentümlicher Hund! rief Mathem ganz begeistert ans. Er
hat gespürt, daß Herr Naht etwas verlöre" hat, und da kann ich rufen, so viel
ich will, er bringt dos, was er gefunden hat, nur dem Besitzer zurück.

Diesmal hat sich Hexe aber doch geirrt, sagte ich.

Wieso? fragte Madseu ganz erstaunt.

Ja; denn das ist Fräulein Annas Handschuh, ich weiß zufällig, daß sie ihn
verloren hat, fügte ich hinzu und nahm Rast das corpus cielloti aus der Hemd.
Er sah aus wie ein Dieb, der zum erstenmal ans frischer That ertappt wird.

Ich wollte gleich, als wir nach Hause kamen, heimlich mit Anna sprechen und
ihr den Handschuh mit ein paar wohlgewählten Worten wiedergeben, aber es
dauerte lange, bis ich eine passende Gelegenheit finden konnte. Zuerst hieß es, sie
mache Toilette, und ins Zimmer kam sie nicht, bis wir zu Tische gingen, und als
wir uns endlich erhoben, war sie verschwunden -- sie hatte offenbar das consilium
Mg.winum Äbsimäi erhalten. Erst um die Schlafenszeit -- der Major und Naht
hatten eben Gute Nacht gesagt und waren in ihre Zimmer gegangen -- holte ich
sie mir in eine Ecke, gab ihr den Handschuh und sagte: Dn hast ihn vor zwei
Tagen auf der Station verloren, und heute hat ihn Naht unten am Nunnarsee
verloren, nun kannst dn dir selbst einen Vers darauf machen, mein liebes Kind.
Dann sagte auch ich Gute Nacht.

Drinnen im Schlafzimmer saß Rask auf dem Rande seiner Bettbank und sah
ganz verzweifelt ans -- das war um einmal seine Spezialität geworden. Plötzlich
aber erhob er den Kopf, machte eine unwillkürliche Bewegung mit der Hand, als
wollte er mich zum Schweigen bringen, und lauschte.

Aus dem Wohnzimmer erklang Musik; auf dem kleinen Harmonium wurde
präludirt, und plötzlich ertönte Annas Stimme, es war das "Lenzlied im Herbst":


Zur Weihnachtszeit

gerade über seinem Kopf. Er legt die Flinte ein die Wange, der Schuß kracht,
und der große Vogel, ein prächtiger Hahn, steigt schräg auf, klappt dann plötzlich
die Flügel zusammen und fällt auf das Dach der kleinen Hütte am Wege nieder.

Das war ein schöner Beschluß der Jagd, und uns dem Heimwege hielt ich
denn auch Ruft einen kleinen beweglichen Vortrng, daß er froh und dankbar sein
und dem Glück vertrauen müsse. Er hörte mich sehr artig an — es wäre Un¬
recht, etwas andres behaupten zu Wollen —, aber plötzlich griff er sich an die Brust,
suchte in einer innern Tasche, suchte dann in einer Außentasche und fragte mich
endlich ganz erregt, ob ich nicht etwa gesehen hätte, daß er etwas Perloren habe.

Was denn? fragte ich natürlich.

Ach, nichts Bestimmtes, ich weiß nicht — antwortet er und null umkehren.
In demselben Augenblick höre ich Matheus Stimme hinter mir rufen: Hexe! Willst
du Wohl kommen. Hierher, Hexe! Und als ich mich umdrehe, sehe ich den Köter
herbeieilen »ud Mathem hinterdreintrottelu. Er rief und rief, aber es half uicht.
Der Hund stürzte auf uns zu, setzte sich vor Naht auf die Hinterpfoten und
präsentirte ihm äußerst galant einen braunen Damenhandschuh, deu er im
Maule hielt.

Ist das nicht ein eigentümlicher Hund! rief Mathem ganz begeistert ans. Er
hat gespürt, daß Herr Naht etwas verlöre» hat, und da kann ich rufen, so viel
ich will, er bringt dos, was er gefunden hat, nur dem Besitzer zurück.

Diesmal hat sich Hexe aber doch geirrt, sagte ich.

Wieso? fragte Madseu ganz erstaunt.

Ja; denn das ist Fräulein Annas Handschuh, ich weiß zufällig, daß sie ihn
verloren hat, fügte ich hinzu und nahm Rast das corpus cielloti aus der Hemd.
Er sah aus wie ein Dieb, der zum erstenmal ans frischer That ertappt wird.

Ich wollte gleich, als wir nach Hause kamen, heimlich mit Anna sprechen und
ihr den Handschuh mit ein paar wohlgewählten Worten wiedergeben, aber es
dauerte lange, bis ich eine passende Gelegenheit finden konnte. Zuerst hieß es, sie
mache Toilette, und ins Zimmer kam sie nicht, bis wir zu Tische gingen, und als
wir uns endlich erhoben, war sie verschwunden — sie hatte offenbar das consilium
Mg.winum Äbsimäi erhalten. Erst um die Schlafenszeit — der Major und Naht
hatten eben Gute Nacht gesagt und waren in ihre Zimmer gegangen — holte ich
sie mir in eine Ecke, gab ihr den Handschuh und sagte: Dn hast ihn vor zwei
Tagen auf der Station verloren, und heute hat ihn Naht unten am Nunnarsee
verloren, nun kannst dn dir selbst einen Vers darauf machen, mein liebes Kind.
Dann sagte auch ich Gute Nacht.

Drinnen im Schlafzimmer saß Rask auf dem Rande seiner Bettbank und sah
ganz verzweifelt ans — das war um einmal seine Spezialität geworden. Plötzlich
aber erhob er den Kopf, machte eine unwillkürliche Bewegung mit der Hand, als
wollte er mich zum Schweigen bringen, und lauschte.

Aus dem Wohnzimmer erklang Musik; auf dem kleinen Harmonium wurde
präludirt, und plötzlich ertönte Annas Stimme, es war das „Lenzlied im Herbst":


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[0654] Zur Weihnachtszeit gerade über seinem Kopf. Er legt die Flinte ein die Wange, der Schuß kracht, und der große Vogel, ein prächtiger Hahn, steigt schräg auf, klappt dann plötzlich die Flügel zusammen und fällt auf das Dach der kleinen Hütte am Wege nieder. Das war ein schöner Beschluß der Jagd, und uns dem Heimwege hielt ich denn auch Ruft einen kleinen beweglichen Vortrng, daß er froh und dankbar sein und dem Glück vertrauen müsse. Er hörte mich sehr artig an — es wäre Un¬ recht, etwas andres behaupten zu Wollen —, aber plötzlich griff er sich an die Brust, suchte in einer innern Tasche, suchte dann in einer Außentasche und fragte mich endlich ganz erregt, ob ich nicht etwa gesehen hätte, daß er etwas Perloren habe. Was denn? fragte ich natürlich. Ach, nichts Bestimmtes, ich weiß nicht — antwortet er und null umkehren. In demselben Augenblick höre ich Matheus Stimme hinter mir rufen: Hexe! Willst du Wohl kommen. Hierher, Hexe! Und als ich mich umdrehe, sehe ich den Köter herbeieilen »ud Mathem hinterdreintrottelu. Er rief und rief, aber es half uicht. Der Hund stürzte auf uns zu, setzte sich vor Naht auf die Hinterpfoten und präsentirte ihm äußerst galant einen braunen Damenhandschuh, deu er im Maule hielt. Ist das nicht ein eigentümlicher Hund! rief Mathem ganz begeistert ans. Er hat gespürt, daß Herr Naht etwas verlöre» hat, und da kann ich rufen, so viel ich will, er bringt dos, was er gefunden hat, nur dem Besitzer zurück. Diesmal hat sich Hexe aber doch geirrt, sagte ich. Wieso? fragte Madseu ganz erstaunt. Ja; denn das ist Fräulein Annas Handschuh, ich weiß zufällig, daß sie ihn verloren hat, fügte ich hinzu und nahm Rast das corpus cielloti aus der Hemd. Er sah aus wie ein Dieb, der zum erstenmal ans frischer That ertappt wird. Ich wollte gleich, als wir nach Hause kamen, heimlich mit Anna sprechen und ihr den Handschuh mit ein paar wohlgewählten Worten wiedergeben, aber es dauerte lange, bis ich eine passende Gelegenheit finden konnte. Zuerst hieß es, sie mache Toilette, und ins Zimmer kam sie nicht, bis wir zu Tische gingen, und als wir uns endlich erhoben, war sie verschwunden — sie hatte offenbar das consilium Mg.winum Äbsimäi erhalten. Erst um die Schlafenszeit — der Major und Naht hatten eben Gute Nacht gesagt und waren in ihre Zimmer gegangen — holte ich sie mir in eine Ecke, gab ihr den Handschuh und sagte: Dn hast ihn vor zwei Tagen auf der Station verloren, und heute hat ihn Naht unten am Nunnarsee verloren, nun kannst dn dir selbst einen Vers darauf machen, mein liebes Kind. Dann sagte auch ich Gute Nacht. Drinnen im Schlafzimmer saß Rask auf dem Rande seiner Bettbank und sah ganz verzweifelt ans — das war um einmal seine Spezialität geworden. Plötzlich aber erhob er den Kopf, machte eine unwillkürliche Bewegung mit der Hand, als wollte er mich zum Schweigen bringen, und lauschte. Aus dem Wohnzimmer erklang Musik; auf dem kleinen Harmonium wurde präludirt, und plötzlich ertönte Annas Stimme, es war das „Lenzlied im Herbst":

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/654>, abgerufen am 17.06.2024.