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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Zur Iveihnachtszeit

Jetzt konnte sie singen! Es war eine Menschenseele, die ihre Wonne hinaus¬
jubelte, hinausjubelte in Tönen, die von Herzen kamen und zu Herzen drangen,
und der, dem das Lied eine Botschaft bringen sollte, verstand sie auch gleich. Naht
sprang auf, als der letzte Ton verstummt war, stürzte ius Wohnzimmer hinein,
zu Anna!

Was ist denn eigentlich um noch zu erzählen? Am nächsten Morgen brachen
wir auf, eine Gesellschaft von glücklichen Menschen, und die Ausbeute unsers Jagd-
ansflngs warein vier Birkhähne, drei Auerhahne, zwei Hufen und ein Brautpaar.

Vor der Abreise schenkte Naht Madseu ein blankes Zwanzigkronenstück, wofür
dieser sehr dankbar war; er hatte aber doch auch seine Bedenken. Hier ist niemand,
der es mir wechseln könnte, sagte er zu mir, ich muß ganz bis an die Station
hinunter, um es zu wechseln, und das sind zwei Meilen -- noch dazu schwedische
Meilen -- das Wird ein saures Stück Arbeit. Nein, in Dänemark ist es doch
besser. Das ist doch auch mein Vaterland, und da sind keine Berge, und eine
Meile ist nicht so lang wie hier in Schweden. Ich hab mir die Sache much über¬
legt, und wenn mir Herr Holgersen kündigt, was er voraussichtlich thun wird,
dann will ich zu meiner Fran zurück und bei ihr bleiben, wenigstens bis die
Hühnerjagd anfängt; ich glaube, ich will ihr doch lieber den Kaffee ans Betr
bringen, als hier in den Wäldern hernmzntrampeln. Adieu, lassen Sie sichs gut
gehen, und wenn Sie zufällig meine Frau sehen sollten, dann grüßen Sie sie, bitte,
von mir.

In der Hafeustraße traf der Major bei der Rückkehr seinen Freund, den
Zollassistenten.

Haben Sie denn einen Wolf mitgebracht? fragte dieser.

Nein, aber es ist nicht meine Schuld. Denken Sie nur, ich stehe in einem
Hohlweg Posten, als ich die Zweige vor nur knacken hörte; ich wußte sofort, daß
das Meister Isegrim war, und stand parat, die Flinte an der Wange, den Finger
am Hahn. Im nächsten Augenblick kam die Bestie an mir vorbei, uicht zehn Ellen
von mir entfernt, und dn mußte ich sie vorbeigehen lassen.

Aber warum denn? Hatten Sie denn vergessen, mit Wolfspatronen zu laden?

Nein, aber es war eine Wölfin, und uach dem 23. Dezember ist bekanntlich
Schonzeit.

Das war doch ein Jammer!

Freilich war es das, aber das sind nun einmal Schickungen, in die man sich
fügen muß! Adieu!

Einen Augenblick später hatte sich die Jagdgesellschaft aufgelöst.

Naht und Anna sind so glücklich, wie es den Menschenkindern hier auf Erde"
nur vergönnt ist, und er ist ein tüchtiger.Kerl geworden. Nur eins kann ich ihm
noch immer nicht verzeihen, daß er nämlich Anna damals nicht Zeit ließ, auch die
beiden andern Verse zu singen, denn so, wie sie nu jenem Abend in Schweden sang,
singt man nur einmal in seinem Leben.




Zur Iveihnachtszeit

Jetzt konnte sie singen! Es war eine Menschenseele, die ihre Wonne hinaus¬
jubelte, hinausjubelte in Tönen, die von Herzen kamen und zu Herzen drangen,
und der, dem das Lied eine Botschaft bringen sollte, verstand sie auch gleich. Naht
sprang auf, als der letzte Ton verstummt war, stürzte ius Wohnzimmer hinein,
zu Anna!

Was ist denn eigentlich um noch zu erzählen? Am nächsten Morgen brachen
wir auf, eine Gesellschaft von glücklichen Menschen, und die Ausbeute unsers Jagd-
ansflngs warein vier Birkhähne, drei Auerhahne, zwei Hufen und ein Brautpaar.

Vor der Abreise schenkte Naht Madseu ein blankes Zwanzigkronenstück, wofür
dieser sehr dankbar war; er hatte aber doch auch seine Bedenken. Hier ist niemand,
der es mir wechseln könnte, sagte er zu mir, ich muß ganz bis an die Station
hinunter, um es zu wechseln, und das sind zwei Meilen — noch dazu schwedische
Meilen — das Wird ein saures Stück Arbeit. Nein, in Dänemark ist es doch
besser. Das ist doch auch mein Vaterland, und da sind keine Berge, und eine
Meile ist nicht so lang wie hier in Schweden. Ich hab mir die Sache much über¬
legt, und wenn mir Herr Holgersen kündigt, was er voraussichtlich thun wird,
dann will ich zu meiner Fran zurück und bei ihr bleiben, wenigstens bis die
Hühnerjagd anfängt; ich glaube, ich will ihr doch lieber den Kaffee ans Betr
bringen, als hier in den Wäldern hernmzntrampeln. Adieu, lassen Sie sichs gut
gehen, und wenn Sie zufällig meine Frau sehen sollten, dann grüßen Sie sie, bitte,
von mir.

In der Hafeustraße traf der Major bei der Rückkehr seinen Freund, den
Zollassistenten.

Haben Sie denn einen Wolf mitgebracht? fragte dieser.

Nein, aber es ist nicht meine Schuld. Denken Sie nur, ich stehe in einem
Hohlweg Posten, als ich die Zweige vor nur knacken hörte; ich wußte sofort, daß
das Meister Isegrim war, und stand parat, die Flinte an der Wange, den Finger
am Hahn. Im nächsten Augenblick kam die Bestie an mir vorbei, uicht zehn Ellen
von mir entfernt, und dn mußte ich sie vorbeigehen lassen.

Aber warum denn? Hatten Sie denn vergessen, mit Wolfspatronen zu laden?

Nein, aber es war eine Wölfin, und uach dem 23. Dezember ist bekanntlich
Schonzeit.

Das war doch ein Jammer!

Freilich war es das, aber das sind nun einmal Schickungen, in die man sich
fügen muß! Adieu!

Einen Augenblick später hatte sich die Jagdgesellschaft aufgelöst.

Naht und Anna sind so glücklich, wie es den Menschenkindern hier auf Erde»
nur vergönnt ist, und er ist ein tüchtiger.Kerl geworden. Nur eins kann ich ihm
noch immer nicht verzeihen, daß er nämlich Anna damals nicht Zeit ließ, auch die
beiden andern Verse zu singen, denn so, wie sie nu jenem Abend in Schweden sang,
singt man nur einmal in seinem Leben.




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[0655] Zur Iveihnachtszeit Jetzt konnte sie singen! Es war eine Menschenseele, die ihre Wonne hinaus¬ jubelte, hinausjubelte in Tönen, die von Herzen kamen und zu Herzen drangen, und der, dem das Lied eine Botschaft bringen sollte, verstand sie auch gleich. Naht sprang auf, als der letzte Ton verstummt war, stürzte ius Wohnzimmer hinein, zu Anna! Was ist denn eigentlich um noch zu erzählen? Am nächsten Morgen brachen wir auf, eine Gesellschaft von glücklichen Menschen, und die Ausbeute unsers Jagd- ansflngs warein vier Birkhähne, drei Auerhahne, zwei Hufen und ein Brautpaar. Vor der Abreise schenkte Naht Madseu ein blankes Zwanzigkronenstück, wofür dieser sehr dankbar war; er hatte aber doch auch seine Bedenken. Hier ist niemand, der es mir wechseln könnte, sagte er zu mir, ich muß ganz bis an die Station hinunter, um es zu wechseln, und das sind zwei Meilen — noch dazu schwedische Meilen — das Wird ein saures Stück Arbeit. Nein, in Dänemark ist es doch besser. Das ist doch auch mein Vaterland, und da sind keine Berge, und eine Meile ist nicht so lang wie hier in Schweden. Ich hab mir die Sache much über¬ legt, und wenn mir Herr Holgersen kündigt, was er voraussichtlich thun wird, dann will ich zu meiner Fran zurück und bei ihr bleiben, wenigstens bis die Hühnerjagd anfängt; ich glaube, ich will ihr doch lieber den Kaffee ans Betr bringen, als hier in den Wäldern hernmzntrampeln. Adieu, lassen Sie sichs gut gehen, und wenn Sie zufällig meine Frau sehen sollten, dann grüßen Sie sie, bitte, von mir. In der Hafeustraße traf der Major bei der Rückkehr seinen Freund, den Zollassistenten. Haben Sie denn einen Wolf mitgebracht? fragte dieser. Nein, aber es ist nicht meine Schuld. Denken Sie nur, ich stehe in einem Hohlweg Posten, als ich die Zweige vor nur knacken hörte; ich wußte sofort, daß das Meister Isegrim war, und stand parat, die Flinte an der Wange, den Finger am Hahn. Im nächsten Augenblick kam die Bestie an mir vorbei, uicht zehn Ellen von mir entfernt, und dn mußte ich sie vorbeigehen lassen. Aber warum denn? Hatten Sie denn vergessen, mit Wolfspatronen zu laden? Nein, aber es war eine Wölfin, und uach dem 23. Dezember ist bekanntlich Schonzeit. Das war doch ein Jammer! Freilich war es das, aber das sind nun einmal Schickungen, in die man sich fügen muß! Adieu! Einen Augenblick später hatte sich die Jagdgesellschaft aufgelöst. Naht und Anna sind so glücklich, wie es den Menschenkindern hier auf Erde» nur vergönnt ist, und er ist ein tüchtiger.Kerl geworden. Nur eins kann ich ihm noch immer nicht verzeihen, daß er nämlich Anna damals nicht Zeit ließ, auch die beiden andern Verse zu singen, denn so, wie sie nu jenem Abend in Schweden sang, singt man nur einmal in seinem Leben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/655>, abgerufen am 17.06.2024.