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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Die imperialistische Bewegung in England

finde ich einige Stellen aus der limos des Jahres 1870, wo Gladstone am
Ruder war, zitiert. Das ministerielle Blatt brachte die Zuschrift eines frühern
Gouverneurs von Kanada, der erklärte, daß er jetzt gegen seine frühere Ansicht
in diesem besondern Falle und unter den veränderten Umständen dafür sei,
daß beide Parteien auseinander gingen. Im Anschluß daran empfahl die
riwes, daß sich Britisch-Kolumbia den Vereinigten Staaten statt der Herr¬
schaft Kanada anschlösse. Ihr zufolge konnte England nur in derselben Weise
das Mutterland Australiens heißen, wie Schleswig-Holstein das Mutterland
Englands sei. Wenn, so hieß es weiter in der 'Joch, die jetzt befolgte Politik
auf die Lösung der Verbindung zwischen Kolonien und Mutterland hinweist,
so wäre es gut, daß man dieses Ziel voraussähe und sich darauf gefaßt machte,
sodaß es nicht zuletzt überstürzt und in einem unfreundlichen Geiste bewirkt
würde. Natürlich rief diese Haltung des Kabinetts überall große Beunruhigung
hervor, und die Zeichen mehrten sich, daß wenigstens Kanada und Neuseeland
ihre Unabhängigkeit erklären würden. Jedoch gab sich die öffentliche Meinung
so unzweideutig zu erkennen, daß auf dieser Bahn nicht weiter geschritten wurde.
Als Granville Minister des Auswärtigen wurde, atmete der Sxscwtor, ein
liberales, aber kolonialfreundliches Blatt auf, daß er das Kolonialamt verließ,
"ehe eine Kolonie unversehens ihre Unabhängigkeit und ihre unauslöschliche
Feindschaft gegen Großbritannien erklärte. Es war wahrlich sehr nahe daran.. - -
Das englische Volk bezahlt nicht seine Steuern, damit sein Land eine Macht
dritten Ranges werde." Wie weit die von Granville und Gladstone ver-
tretnen Ansichten verbreitet waren, erkennt man am besten an dem Ernst und
der Gründlichkeit, mit der Seeley in seinem berühmten Buche "Die Aus-
dehnung Englands" (rils Kxxansion ot' Nu^lkmä, 1883) sie erörtert und
bekämpft.

Beaconsfield, den sich die Engländer mehr und mehr gewöhnen als ihren
größten Staatsmann in der zweiten Hälfte unsers Jahrhunderts anzusehen,
hat, als er zur Regierung kam. sofort die Zerstücklungspolitik seiner Vor¬
gänger zum Stehen gebracht. Vieles ist ihm zufolge versäumt worden, was
schwer wieder gut zu machen wäre. "Als die Selbstverwaltung gewährt
wurde, sagt er einmal, Hütte sie als ein Teil einer großen Politik der
Reichskonsolidierung zugestanden werden sollen. Sie hätte begleitet sein müssen
von einem Neichszolltarif . . . und von einem Militärgesetz, das genau die
Mittel und Beitragsanteile zu bestimmen gehabt hätte, durch die die Kolonien
verteidigt worden wären und nötigenfalls England von den Kolonien hätte
Hilfe fordern können. Sie Hütte ferner begleitet sein müssen von der Er¬
richtung einer repräsentativen Versammlung in der Hauptstadt, die die Kolonien
in dauernde und ummterbrochne Beziehungen mit der heimischen Regierung
gebracht hätte." Man hat Disraeli vorgeworfen, daß sein Imperialismus
hauptsächlich europäisch und asiatisch gewesen sei, während der neuere Im-


Die imperialistische Bewegung in England

finde ich einige Stellen aus der limos des Jahres 1870, wo Gladstone am
Ruder war, zitiert. Das ministerielle Blatt brachte die Zuschrift eines frühern
Gouverneurs von Kanada, der erklärte, daß er jetzt gegen seine frühere Ansicht
in diesem besondern Falle und unter den veränderten Umständen dafür sei,
daß beide Parteien auseinander gingen. Im Anschluß daran empfahl die
riwes, daß sich Britisch-Kolumbia den Vereinigten Staaten statt der Herr¬
schaft Kanada anschlösse. Ihr zufolge konnte England nur in derselben Weise
das Mutterland Australiens heißen, wie Schleswig-Holstein das Mutterland
Englands sei. Wenn, so hieß es weiter in der 'Joch, die jetzt befolgte Politik
auf die Lösung der Verbindung zwischen Kolonien und Mutterland hinweist,
so wäre es gut, daß man dieses Ziel voraussähe und sich darauf gefaßt machte,
sodaß es nicht zuletzt überstürzt und in einem unfreundlichen Geiste bewirkt
würde. Natürlich rief diese Haltung des Kabinetts überall große Beunruhigung
hervor, und die Zeichen mehrten sich, daß wenigstens Kanada und Neuseeland
ihre Unabhängigkeit erklären würden. Jedoch gab sich die öffentliche Meinung
so unzweideutig zu erkennen, daß auf dieser Bahn nicht weiter geschritten wurde.
Als Granville Minister des Auswärtigen wurde, atmete der Sxscwtor, ein
liberales, aber kolonialfreundliches Blatt auf, daß er das Kolonialamt verließ,
«ehe eine Kolonie unversehens ihre Unabhängigkeit und ihre unauslöschliche
Feindschaft gegen Großbritannien erklärte. Es war wahrlich sehr nahe daran.. - -
Das englische Volk bezahlt nicht seine Steuern, damit sein Land eine Macht
dritten Ranges werde." Wie weit die von Granville und Gladstone ver-
tretnen Ansichten verbreitet waren, erkennt man am besten an dem Ernst und
der Gründlichkeit, mit der Seeley in seinem berühmten Buche „Die Aus-
dehnung Englands" (rils Kxxansion ot' Nu^lkmä, 1883) sie erörtert und
bekämpft.

Beaconsfield, den sich die Engländer mehr und mehr gewöhnen als ihren
größten Staatsmann in der zweiten Hälfte unsers Jahrhunderts anzusehen,
hat, als er zur Regierung kam. sofort die Zerstücklungspolitik seiner Vor¬
gänger zum Stehen gebracht. Vieles ist ihm zufolge versäumt worden, was
schwer wieder gut zu machen wäre. „Als die Selbstverwaltung gewährt
wurde, sagt er einmal, Hütte sie als ein Teil einer großen Politik der
Reichskonsolidierung zugestanden werden sollen. Sie hätte begleitet sein müssen
von einem Neichszolltarif . . . und von einem Militärgesetz, das genau die
Mittel und Beitragsanteile zu bestimmen gehabt hätte, durch die die Kolonien
verteidigt worden wären und nötigenfalls England von den Kolonien hätte
Hilfe fordern können. Sie Hütte ferner begleitet sein müssen von der Er¬
richtung einer repräsentativen Versammlung in der Hauptstadt, die die Kolonien
in dauernde und ummterbrochne Beziehungen mit der heimischen Regierung
gebracht hätte." Man hat Disraeli vorgeworfen, daß sein Imperialismus
hauptsächlich europäisch und asiatisch gewesen sei, während der neuere Im-


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[0027] Die imperialistische Bewegung in England finde ich einige Stellen aus der limos des Jahres 1870, wo Gladstone am Ruder war, zitiert. Das ministerielle Blatt brachte die Zuschrift eines frühern Gouverneurs von Kanada, der erklärte, daß er jetzt gegen seine frühere Ansicht in diesem besondern Falle und unter den veränderten Umständen dafür sei, daß beide Parteien auseinander gingen. Im Anschluß daran empfahl die riwes, daß sich Britisch-Kolumbia den Vereinigten Staaten statt der Herr¬ schaft Kanada anschlösse. Ihr zufolge konnte England nur in derselben Weise das Mutterland Australiens heißen, wie Schleswig-Holstein das Mutterland Englands sei. Wenn, so hieß es weiter in der 'Joch, die jetzt befolgte Politik auf die Lösung der Verbindung zwischen Kolonien und Mutterland hinweist, so wäre es gut, daß man dieses Ziel voraussähe und sich darauf gefaßt machte, sodaß es nicht zuletzt überstürzt und in einem unfreundlichen Geiste bewirkt würde. Natürlich rief diese Haltung des Kabinetts überall große Beunruhigung hervor, und die Zeichen mehrten sich, daß wenigstens Kanada und Neuseeland ihre Unabhängigkeit erklären würden. Jedoch gab sich die öffentliche Meinung so unzweideutig zu erkennen, daß auf dieser Bahn nicht weiter geschritten wurde. Als Granville Minister des Auswärtigen wurde, atmete der Sxscwtor, ein liberales, aber kolonialfreundliches Blatt auf, daß er das Kolonialamt verließ, «ehe eine Kolonie unversehens ihre Unabhängigkeit und ihre unauslöschliche Feindschaft gegen Großbritannien erklärte. Es war wahrlich sehr nahe daran.. - - Das englische Volk bezahlt nicht seine Steuern, damit sein Land eine Macht dritten Ranges werde." Wie weit die von Granville und Gladstone ver- tretnen Ansichten verbreitet waren, erkennt man am besten an dem Ernst und der Gründlichkeit, mit der Seeley in seinem berühmten Buche „Die Aus- dehnung Englands" (rils Kxxansion ot' Nu^lkmä, 1883) sie erörtert und bekämpft. Beaconsfield, den sich die Engländer mehr und mehr gewöhnen als ihren größten Staatsmann in der zweiten Hälfte unsers Jahrhunderts anzusehen, hat, als er zur Regierung kam. sofort die Zerstücklungspolitik seiner Vor¬ gänger zum Stehen gebracht. Vieles ist ihm zufolge versäumt worden, was schwer wieder gut zu machen wäre. „Als die Selbstverwaltung gewährt wurde, sagt er einmal, Hütte sie als ein Teil einer großen Politik der Reichskonsolidierung zugestanden werden sollen. Sie hätte begleitet sein müssen von einem Neichszolltarif . . . und von einem Militärgesetz, das genau die Mittel und Beitragsanteile zu bestimmen gehabt hätte, durch die die Kolonien verteidigt worden wären und nötigenfalls England von den Kolonien hätte Hilfe fordern können. Sie Hütte ferner begleitet sein müssen von der Er¬ richtung einer repräsentativen Versammlung in der Hauptstadt, die die Kolonien in dauernde und ummterbrochne Beziehungen mit der heimischen Regierung gebracht hätte." Man hat Disraeli vorgeworfen, daß sein Imperialismus hauptsächlich europäisch und asiatisch gewesen sei, während der neuere Im-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/27>, abgerufen am 19.05.2024.