Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.Schon hier sieht man, daß es bei Hauptmann nicht die Freude am Gemeinen Weh Augen hier sich zaghaft nicht verschließen, Ihr Recht bezweifelnd an dein Gottgenuß, Wem hier die Thränen nicht vom Auge fließen. Wenn er empfängt der Schönheit holden Gruß, Indes zu Füßen ihm in tausend Qualen Die Menschheit lallend sich und ächzend krümmt, Und von den reichgefüllten Schönheitsgaben Nicht eine Gabe sich herunternimmt: Weh Busen hier in eigennützgcn Freuden Vergehend nicht des Jammers Stimme hört, Wem hier ein mnchtger, breiter Strom der Leiden Nicht seines Freudcnseecs Spiegel stört -- Der ist nicht wert, den Himmel zu empfangen, Dem sei vergällt der schmähliche Genuß, Dem hemmen tausend Seile, tausend Zangen Erbarmungslos den lustbegiergen Fuß. So brachte also die Berührung mit Holz nur das zur Entfaltung. was Schlenther sucht das Werk zu retten, aber was er darüber vorbringt, Schon hier sieht man, daß es bei Hauptmann nicht die Freude am Gemeinen Weh Augen hier sich zaghaft nicht verschließen, Ihr Recht bezweifelnd an dein Gottgenuß, Wem hier die Thränen nicht vom Auge fließen. Wenn er empfängt der Schönheit holden Gruß, Indes zu Füßen ihm in tausend Qualen Die Menschheit lallend sich und ächzend krümmt, Und von den reichgefüllten Schönheitsgaben Nicht eine Gabe sich herunternimmt: Weh Busen hier in eigennützgcn Freuden Vergehend nicht des Jammers Stimme hört, Wem hier ein mnchtger, breiter Strom der Leiden Nicht seines Freudcnseecs Spiegel stört — Der ist nicht wert, den Himmel zu empfangen, Dem sei vergällt der schmähliche Genuß, Dem hemmen tausend Seile, tausend Zangen Erbarmungslos den lustbegiergen Fuß. So brachte also die Berührung mit Holz nur das zur Entfaltung. was Schlenther sucht das Werk zu retten, aber was er darüber vorbringt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0043" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229729"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <lg xml:id="POEMID_5" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_84" prev="#ID_83"> Schon hier sieht man, daß es bei Hauptmann nicht die Freude am Gemeinen<lb/> und Elenden ist, die ihn treibt, es zu schildern, sondern ein dieses Mitgefühl,<lb/> mit dem man denn auch seine Dramen „Vor Sonnenaufgang" und „Die<lb/> Weber" zu rechtfertigen sucht. Er fährt fort:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_6" type="poem"> <l> Weh Augen hier sich zaghaft nicht verschließen,<lb/> Ihr Recht bezweifelnd an dein Gottgenuß,<lb/> Wem hier die Thränen nicht vom Auge fließen.<lb/> Wenn er empfängt der Schönheit holden Gruß,<lb/> Indes zu Füßen ihm in tausend Qualen<lb/> Die Menschheit lallend sich und ächzend krümmt,<lb/> Und von den reichgefüllten Schönheitsgaben<lb/> Nicht eine Gabe sich herunternimmt:</l> <l> Weh Busen hier in eigennützgcn Freuden<lb/> Vergehend nicht des Jammers Stimme hört,<lb/> Wem hier ein mnchtger, breiter Strom der Leiden<lb/> Nicht seines Freudcnseecs Spiegel stört —<lb/> Der ist nicht wert, den Himmel zu empfangen,<lb/> Dem sei vergällt der schmähliche Genuß,<lb/> Dem hemmen tausend Seile, tausend Zangen<lb/> Erbarmungslos den lustbegiergen Fuß.</l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_85"> So brachte also die Berührung mit Holz nur das zur Entfaltung. was<lb/> schon in Hauptmanns Seele schlummerte. Es waren Jugendeindrücke der ge¬<lb/> schilderten Art, die zunächst zur dramatischen Gestaltung drängten und in seinem<lb/> hart umstrittuen naturalistischen Erstlingsdrama „Vor Sonnenaufgang" auch<lb/> gelangten. Vertierte Bauern, die sich, durch die Ausbeutung plötzlich entdeckter<lb/> Kohlenlager reich geworden, dem niedrigsten Sinnengenuß ergeben haben und<lb/> dem Dämon Alkohol verfallen sind, werden mit der brutalste» Naturwahrheit<lb/> dargestellt, die sich je in das Gebiet der Kunst gewagt hat. Nichts ist ge¬<lb/> schehen, um den Stoff im Sinne der bisherigen Ästhetik künstlerisch zu ver¬<lb/> werten oder zu gestalten und ihn durch geeignete Gegenbilder in die Sphäre<lb/> allgemeinerer Lebenswahrheit zu erheben. Es ist ein Momcntbild von der<lb/> schmutzigsten Seite des Lebens, gewissermaßen ein Ausschnitt, dabei aber doch<lb/> eine solche Anhäufung des Schmutzes, eine solche Zusammendrüngung ekel¬<lb/> erregender Motive, daß dadurch das Glaubhafte verloren geht, also die Jlluston<lb/> der Wahrheit zerstört wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_86" next="#ID_87"> Schlenther sucht das Werk zu retten, aber was er darüber vorbringt,<lb/> verrät durch das nebelhafte, Ungreifbare des Ausdrucks nur zu deutlich die<lb/> Unsicherheit der Überzeugung. Er sagt: „Auch in dem neu erstandnen Drama</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0043]
Schon hier sieht man, daß es bei Hauptmann nicht die Freude am Gemeinen
und Elenden ist, die ihn treibt, es zu schildern, sondern ein dieses Mitgefühl,
mit dem man denn auch seine Dramen „Vor Sonnenaufgang" und „Die
Weber" zu rechtfertigen sucht. Er fährt fort:
Weh Augen hier sich zaghaft nicht verschließen,
Ihr Recht bezweifelnd an dein Gottgenuß,
Wem hier die Thränen nicht vom Auge fließen.
Wenn er empfängt der Schönheit holden Gruß,
Indes zu Füßen ihm in tausend Qualen
Die Menschheit lallend sich und ächzend krümmt,
Und von den reichgefüllten Schönheitsgaben
Nicht eine Gabe sich herunternimmt: Weh Busen hier in eigennützgcn Freuden
Vergehend nicht des Jammers Stimme hört,
Wem hier ein mnchtger, breiter Strom der Leiden
Nicht seines Freudcnseecs Spiegel stört —
Der ist nicht wert, den Himmel zu empfangen,
Dem sei vergällt der schmähliche Genuß,
Dem hemmen tausend Seile, tausend Zangen
Erbarmungslos den lustbegiergen Fuß.
So brachte also die Berührung mit Holz nur das zur Entfaltung. was
schon in Hauptmanns Seele schlummerte. Es waren Jugendeindrücke der ge¬
schilderten Art, die zunächst zur dramatischen Gestaltung drängten und in seinem
hart umstrittuen naturalistischen Erstlingsdrama „Vor Sonnenaufgang" auch
gelangten. Vertierte Bauern, die sich, durch die Ausbeutung plötzlich entdeckter
Kohlenlager reich geworden, dem niedrigsten Sinnengenuß ergeben haben und
dem Dämon Alkohol verfallen sind, werden mit der brutalste» Naturwahrheit
dargestellt, die sich je in das Gebiet der Kunst gewagt hat. Nichts ist ge¬
schehen, um den Stoff im Sinne der bisherigen Ästhetik künstlerisch zu ver¬
werten oder zu gestalten und ihn durch geeignete Gegenbilder in die Sphäre
allgemeinerer Lebenswahrheit zu erheben. Es ist ein Momcntbild von der
schmutzigsten Seite des Lebens, gewissermaßen ein Ausschnitt, dabei aber doch
eine solche Anhäufung des Schmutzes, eine solche Zusammendrüngung ekel¬
erregender Motive, daß dadurch das Glaubhafte verloren geht, also die Jlluston
der Wahrheit zerstört wird.
Schlenther sucht das Werk zu retten, aber was er darüber vorbringt,
verrät durch das nebelhafte, Ungreifbare des Ausdrucks nur zu deutlich die
Unsicherheit der Überzeugung. Er sagt: „Auch in dem neu erstandnen Drama
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