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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Branchen wir ein deutsches Aolonialheer?

die Mittel schaffen, auch hierbei verfügen und befehlen zu können. Kein Mensch
kann bis jetzt beurteilen, welchen Umfang die Wirren in China nehmen und
welche Folgen sie nach sich ziehn werden. Bon verschiednen Seiten ist mit
Recht darauf hingewiesen worden, daß der Soldateneid zum Dienste zu Lunde
und zu Wasser verpflichte und keine Beschränkung auf bestimmte Gebiete kenne,
aber ganz geklärt erscheinen doch die Ansichten über diese Frage nicht, und es
ist vor allein zu berücksichtigen, daß die Organisation und das feste Gefüge
unsers stehenden Heers es nicht erlauben, einzelne Teile daraus zu lösen und
dadurch die Zusmumcusetzung, die Ausbildung und den Ersatz schwer zu
schädigen. Die Erwägung, unter diesen. Umständen besondre Kolonialtruppen
zu schassen, lag sehr nahe, umsomehr, als die beiden europäischen Großmächte
Frankreich nud England über solche Truppen verfügen, deren Organisation
vielleicht als Anhalt dienen kann zu einer entsprechenden Maßnahme bei uns.

In Frankreich beschäftigt man sich schon seit etwa zwanzig Jahren mit
der Frage einer Kolonialarmee. Die zahlreichen Kampfe, die Frankreich in
den letzten Jahren zur Sicherung seiner Kolonie- und Schutzstaaten führen
mußte, haben den Mangel einer festgefügten Kolonialarmee gezeigt, obgleich
Frankreich an seinen Fremdenregimentern und an den sonst in Nordafrika
stehenden, vielfach aus Eingebornen zusammengesetzten Truppenteilen immer
Streitkräfte zur Verfügung hat, die sich für die Kolonien besser eignen -- durch
die Gewöhnung an das Klima, durch Lebensweise, Kampfart usw. als die
Truppen des Mutterlands. Wenn Frankreich mit der Schaffung einer be¬
sondern Kolonialarmee lange gewartet hat, so lag dies an besondern Verhält¬
nissen: an dem häufigen Wechsel des um der Spitze der Armee stehenden Kriegs¬
ministers und an der Uneinigkeit darüber, ob man die Kolonialarmee dem
Ministerium des Kriegs, dem der Marine oder dem der Kolonien unterstellen solle.
Die Entscheidung hierüber blieb aus, da es um einer hierzu kompetenten Stelle,
d. h. an einem obersten Kriegsherrn, fehlte. Erst im vorigen Jahre nahm
General Gallifet in seiner Eigenschaft als Kriegsminister die Sache wieder
einmal energisch in die Hemd und arbeitete einen Gesetzentwurf über die Auf¬
stellung einer Kolouialarmee aus, der den Kammern vorgelegt wurde. Es ist
aber mehr als fraglich, ob jetzt ein Resultat erzielt worden wäre, da Münster
Gallifet mittlerweile sein Portefeuille an General Andre abgegeben hatte, wenn
nicht die Ereignisse in China so sehr auf die Notwendigkeit hingewiesen hätten,
nun endlich zu einem Abschluß zu kommen.

Ein Blick auf dieses unter dem 10. Juli d. I. veröffentlichte Gesetz er¬
scheint bei der zum erstenmal mich bei uns angeregten und erörterten Forde¬
rung von großem Interesse. Wir geben deshalb im nachstehenden die wesent¬
lichsten Bestimmungen wieder: Die Kvlonialtrnppen werden unter das Kriegs¬
ministerium gestellt. Sie sind grundsätzlich für die Kolonien bestimmt und
umfassen die Truppenteile, die zur Besetzung und Verteidigung der Kolonien
und der Schutzstaaten gebildet sind. nötigenfalls können diese Truppen auch
zur Verteidigung des Mutterlands oder zu militärischen Expeditionen anßer-


Branchen wir ein deutsches Aolonialheer?

die Mittel schaffen, auch hierbei verfügen und befehlen zu können. Kein Mensch
kann bis jetzt beurteilen, welchen Umfang die Wirren in China nehmen und
welche Folgen sie nach sich ziehn werden. Bon verschiednen Seiten ist mit
Recht darauf hingewiesen worden, daß der Soldateneid zum Dienste zu Lunde
und zu Wasser verpflichte und keine Beschränkung auf bestimmte Gebiete kenne,
aber ganz geklärt erscheinen doch die Ansichten über diese Frage nicht, und es
ist vor allein zu berücksichtigen, daß die Organisation und das feste Gefüge
unsers stehenden Heers es nicht erlauben, einzelne Teile daraus zu lösen und
dadurch die Zusmumcusetzung, die Ausbildung und den Ersatz schwer zu
schädigen. Die Erwägung, unter diesen. Umständen besondre Kolonialtruppen
zu schassen, lag sehr nahe, umsomehr, als die beiden europäischen Großmächte
Frankreich nud England über solche Truppen verfügen, deren Organisation
vielleicht als Anhalt dienen kann zu einer entsprechenden Maßnahme bei uns.

In Frankreich beschäftigt man sich schon seit etwa zwanzig Jahren mit
der Frage einer Kolonialarmee. Die zahlreichen Kampfe, die Frankreich in
den letzten Jahren zur Sicherung seiner Kolonie- und Schutzstaaten führen
mußte, haben den Mangel einer festgefügten Kolonialarmee gezeigt, obgleich
Frankreich an seinen Fremdenregimentern und an den sonst in Nordafrika
stehenden, vielfach aus Eingebornen zusammengesetzten Truppenteilen immer
Streitkräfte zur Verfügung hat, die sich für die Kolonien besser eignen — durch
die Gewöhnung an das Klima, durch Lebensweise, Kampfart usw. als die
Truppen des Mutterlands. Wenn Frankreich mit der Schaffung einer be¬
sondern Kolonialarmee lange gewartet hat, so lag dies an besondern Verhält¬
nissen: an dem häufigen Wechsel des um der Spitze der Armee stehenden Kriegs¬
ministers und an der Uneinigkeit darüber, ob man die Kolonialarmee dem
Ministerium des Kriegs, dem der Marine oder dem der Kolonien unterstellen solle.
Die Entscheidung hierüber blieb aus, da es um einer hierzu kompetenten Stelle,
d. h. an einem obersten Kriegsherrn, fehlte. Erst im vorigen Jahre nahm
General Gallifet in seiner Eigenschaft als Kriegsminister die Sache wieder
einmal energisch in die Hemd und arbeitete einen Gesetzentwurf über die Auf¬
stellung einer Kolouialarmee aus, der den Kammern vorgelegt wurde. Es ist
aber mehr als fraglich, ob jetzt ein Resultat erzielt worden wäre, da Münster
Gallifet mittlerweile sein Portefeuille an General Andre abgegeben hatte, wenn
nicht die Ereignisse in China so sehr auf die Notwendigkeit hingewiesen hätten,
nun endlich zu einem Abschluß zu kommen.

Ein Blick auf dieses unter dem 10. Juli d. I. veröffentlichte Gesetz er¬
scheint bei der zum erstenmal mich bei uns angeregten und erörterten Forde¬
rung von großem Interesse. Wir geben deshalb im nachstehenden die wesent¬
lichsten Bestimmungen wieder: Die Kvlonialtrnppen werden unter das Kriegs¬
ministerium gestellt. Sie sind grundsätzlich für die Kolonien bestimmt und
umfassen die Truppenteile, die zur Besetzung und Verteidigung der Kolonien
und der Schutzstaaten gebildet sind. nötigenfalls können diese Truppen auch
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/12>, abgerufen am 16.06.2024.