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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Der Posener Schulstreit

Sachkenntnis verfolgt but, dein wird es nicht entgangen sein, daß seit einer
Reihe von Jahren die deutsche Sprache in der polnischen Schule nicht mehr
an Raum gewonnen hat, und man wird in der Annahme kaum fehl gehn,
daß die Bezirksrcgierungeu von oben her einen Wink erhalten haben, von der
ihnen durch die Bestimmungen vom 27. Oktober 1873 erteilten Befugnis bis
auf weiteres keinen Gebrauch zu machen. Trifft diese in den Thatsachen be¬
gründete Annahme zu, daun bedürfte die Regierung in Posen im vorliegenden
Falle in der That der Genehmigung des Ministers, und man hat keinen Grund,
dahinter noch besondre böse Absichten zu vermuten.

Daß die Posener Verfügung sachlich gerechtfertigt ist, wird kein Sach¬
verständiger bezweifeln, der die Verhältnisse in der Stadt Posen näher kennt.
Nachdem in den Volksschulen das Deutsche sechsundzwanzig Jahre lang nicht
nur als Unterrichtsgegenstand, sondern auch als Unterrichtsmittel in Übung
gewesen, und nachdem neben den polnischen Neligionsabteilnngen ebenso lange
deutscher Religionsunterricht für die Kinder deutscher Zunge erteilt worden ist,
kann es von vornherein auch ohne weitere Prüfung keinem Zweifel unter¬
liegen, daß anch die Kinder polnischer Abstammung, die ja zudem ans der
Straße täglich deutsch zu hören und zu sprechen Gelegenheit haben, nach zwci-
bis dreijährigem Schulbesuche beim Eintritt in die Mittelstufe die deutsche
Sprache so genügend beherrschen, daß sie dem deutsch erteilten Religionsunter¬
richte mit dein Verständnis folgen können, das die Kirche für diese Unter¬
weisung verlangt. Diese Voraussetzung für die Einführung der deutscheu
Unterrichtssprache war für die Schulen der Stadt Posen ohne Zweifel schon
lange gegeben. Wenn die Regierung damit bis jetzt gezögert hat, so lag der
Grund dieser Zurückhaltung jedenfalls in dem seit Jahren bekundeten Streben,
die polnische Empfindlichkeit zu schonen. Nachdem aber die Staatsregierung
schon während der letzten Tagung des Abgeordnetenhauses den polnischen An¬
zapfungen gegenüber wieder eine feste Haltung gezeigt und durch mündliche
Erklärungen und schriftliche Weisungen an die Staatsbeamten den Entschluß
bekundet hat, den polnischen Umtrieben mit Kraft und Entschiedenheit entgegen
zu treten, da war es ganz selbstverständlich, daß diese Zurückhaltung auf dem
Gebiete der Schulverwnltung fallen gelassen und das früher beobachtete Ver¬
fahren wieder aufgenommen werden mußte. Will man von dem Beginn einer
neuen Ära in der Polenpolitik sprechen, so möge man sie an diese Erklärungen
der Regierung im Landtage anknüpfen; ans dem Gebiete der Schulverwaltung
kann man höchstens von der Wiederaufnahme einer ältern Praxis reden, die
aus Opportunitätsgründen zeitweise außer Übung gekommen war.

Zu einer irrtümlichen, dem wahren Zusammenhange der Dinge wider¬
sprechenden Auffassung des Gcschehnen hat leider die norddeutsche Allgemeine
Zeitung durch eine Erklärung beigetragen, in der sie in etwas unklarer Weise
die Maßregel der Posener Negierung als eine Folge der Eingemeindung von
drei Landgemeinden, Jersitz, Se. Lazarus und Wilda, in das Gebiet der Stadt
Posen hinstellte. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den beiden Ereig-


Der Posener Schulstreit

Sachkenntnis verfolgt but, dein wird es nicht entgangen sein, daß seit einer
Reihe von Jahren die deutsche Sprache in der polnischen Schule nicht mehr
an Raum gewonnen hat, und man wird in der Annahme kaum fehl gehn,
daß die Bezirksrcgierungeu von oben her einen Wink erhalten haben, von der
ihnen durch die Bestimmungen vom 27. Oktober 1873 erteilten Befugnis bis
auf weiteres keinen Gebrauch zu machen. Trifft diese in den Thatsachen be¬
gründete Annahme zu, daun bedürfte die Regierung in Posen im vorliegenden
Falle in der That der Genehmigung des Ministers, und man hat keinen Grund,
dahinter noch besondre böse Absichten zu vermuten.

Daß die Posener Verfügung sachlich gerechtfertigt ist, wird kein Sach¬
verständiger bezweifeln, der die Verhältnisse in der Stadt Posen näher kennt.
Nachdem in den Volksschulen das Deutsche sechsundzwanzig Jahre lang nicht
nur als Unterrichtsgegenstand, sondern auch als Unterrichtsmittel in Übung
gewesen, und nachdem neben den polnischen Neligionsabteilnngen ebenso lange
deutscher Religionsunterricht für die Kinder deutscher Zunge erteilt worden ist,
kann es von vornherein auch ohne weitere Prüfung keinem Zweifel unter¬
liegen, daß anch die Kinder polnischer Abstammung, die ja zudem ans der
Straße täglich deutsch zu hören und zu sprechen Gelegenheit haben, nach zwci-
bis dreijährigem Schulbesuche beim Eintritt in die Mittelstufe die deutsche
Sprache so genügend beherrschen, daß sie dem deutsch erteilten Religionsunter¬
richte mit dein Verständnis folgen können, das die Kirche für diese Unter¬
weisung verlangt. Diese Voraussetzung für die Einführung der deutscheu
Unterrichtssprache war für die Schulen der Stadt Posen ohne Zweifel schon
lange gegeben. Wenn die Regierung damit bis jetzt gezögert hat, so lag der
Grund dieser Zurückhaltung jedenfalls in dem seit Jahren bekundeten Streben,
die polnische Empfindlichkeit zu schonen. Nachdem aber die Staatsregierung
schon während der letzten Tagung des Abgeordnetenhauses den polnischen An¬
zapfungen gegenüber wieder eine feste Haltung gezeigt und durch mündliche
Erklärungen und schriftliche Weisungen an die Staatsbeamten den Entschluß
bekundet hat, den polnischen Umtrieben mit Kraft und Entschiedenheit entgegen
zu treten, da war es ganz selbstverständlich, daß diese Zurückhaltung auf dem
Gebiete der Schulverwnltung fallen gelassen und das früher beobachtete Ver¬
fahren wieder aufgenommen werden mußte. Will man von dem Beginn einer
neuen Ära in der Polenpolitik sprechen, so möge man sie an diese Erklärungen
der Regierung im Landtage anknüpfen; ans dem Gebiete der Schulverwaltung
kann man höchstens von der Wiederaufnahme einer ältern Praxis reden, die
aus Opportunitätsgründen zeitweise außer Übung gekommen war.

Zu einer irrtümlichen, dem wahren Zusammenhange der Dinge wider¬
sprechenden Auffassung des Gcschehnen hat leider die norddeutsche Allgemeine
Zeitung durch eine Erklärung beigetragen, in der sie in etwas unklarer Weise
die Maßregel der Posener Negierung als eine Folge der Eingemeindung von
drei Landgemeinden, Jersitz, Se. Lazarus und Wilda, in das Gebiet der Stadt
Posen hinstellte. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den beiden Ereig-


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[0021] Der Posener Schulstreit Sachkenntnis verfolgt but, dein wird es nicht entgangen sein, daß seit einer Reihe von Jahren die deutsche Sprache in der polnischen Schule nicht mehr an Raum gewonnen hat, und man wird in der Annahme kaum fehl gehn, daß die Bezirksrcgierungeu von oben her einen Wink erhalten haben, von der ihnen durch die Bestimmungen vom 27. Oktober 1873 erteilten Befugnis bis auf weiteres keinen Gebrauch zu machen. Trifft diese in den Thatsachen be¬ gründete Annahme zu, daun bedürfte die Regierung in Posen im vorliegenden Falle in der That der Genehmigung des Ministers, und man hat keinen Grund, dahinter noch besondre böse Absichten zu vermuten. Daß die Posener Verfügung sachlich gerechtfertigt ist, wird kein Sach¬ verständiger bezweifeln, der die Verhältnisse in der Stadt Posen näher kennt. Nachdem in den Volksschulen das Deutsche sechsundzwanzig Jahre lang nicht nur als Unterrichtsgegenstand, sondern auch als Unterrichtsmittel in Übung gewesen, und nachdem neben den polnischen Neligionsabteilnngen ebenso lange deutscher Religionsunterricht für die Kinder deutscher Zunge erteilt worden ist, kann es von vornherein auch ohne weitere Prüfung keinem Zweifel unter¬ liegen, daß anch die Kinder polnischer Abstammung, die ja zudem ans der Straße täglich deutsch zu hören und zu sprechen Gelegenheit haben, nach zwci- bis dreijährigem Schulbesuche beim Eintritt in die Mittelstufe die deutsche Sprache so genügend beherrschen, daß sie dem deutsch erteilten Religionsunter¬ richte mit dein Verständnis folgen können, das die Kirche für diese Unter¬ weisung verlangt. Diese Voraussetzung für die Einführung der deutscheu Unterrichtssprache war für die Schulen der Stadt Posen ohne Zweifel schon lange gegeben. Wenn die Regierung damit bis jetzt gezögert hat, so lag der Grund dieser Zurückhaltung jedenfalls in dem seit Jahren bekundeten Streben, die polnische Empfindlichkeit zu schonen. Nachdem aber die Staatsregierung schon während der letzten Tagung des Abgeordnetenhauses den polnischen An¬ zapfungen gegenüber wieder eine feste Haltung gezeigt und durch mündliche Erklärungen und schriftliche Weisungen an die Staatsbeamten den Entschluß bekundet hat, den polnischen Umtrieben mit Kraft und Entschiedenheit entgegen zu treten, da war es ganz selbstverständlich, daß diese Zurückhaltung auf dem Gebiete der Schulverwnltung fallen gelassen und das früher beobachtete Ver¬ fahren wieder aufgenommen werden mußte. Will man von dem Beginn einer neuen Ära in der Polenpolitik sprechen, so möge man sie an diese Erklärungen der Regierung im Landtage anknüpfen; ans dem Gebiete der Schulverwaltung kann man höchstens von der Wiederaufnahme einer ältern Praxis reden, die aus Opportunitätsgründen zeitweise außer Übung gekommen war. Zu einer irrtümlichen, dem wahren Zusammenhange der Dinge wider¬ sprechenden Auffassung des Gcschehnen hat leider die norddeutsche Allgemeine Zeitung durch eine Erklärung beigetragen, in der sie in etwas unklarer Weise die Maßregel der Posener Negierung als eine Folge der Eingemeindung von drei Landgemeinden, Jersitz, Se. Lazarus und Wilda, in das Gebiet der Stadt Posen hinstellte. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den beiden Ereig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/21>, abgerufen am 16.06.2024.