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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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die Ehe wurden mit zunehmendem Alter immer strenger. Über Preßfreiheit
dachte er derart, daß selbst der ihm so ergebne Kanzler von Müller nach einem
Gespräch in sein Tagebuch schreibt: "Es ist mit Goethe hierüber in der That
nicht zu streiten, da er viel zu einseitig und despotisch sich ausspricht,"

Es scheint nun auch, daß eine Anzahl Leute, die sich sonst begeistert um
Goethes Fahne scharen, dein Goethebund fern bleiben. Ich stelle mir vor,
daß diese Leute etwa so denken: Es ist uns widerwärtig, daß Goethes Name
als Aushängeschild für eine Sache gebraucht wird, die so wenig im Sinne des
Meisters ist. Es ist uns widerwärtig, daß dies zum Teil durch Leute geschieht,
die Goethe nicht kennen, zum Teil durch solche, die ihn nicht verstehn, ja zum
Teil durch solche, die Goethen ein Greuel gewesen wären. Man soll ihn weg¬
lassen aus dem politischen Gezänk, dem Tageslärm, ihn nicht als Sturmbock
benutzen, sondern als Erzieher, wozu erforderlich ist, daß man ihn studiert.

Ihn studieren -- wieviel Mitglieder des Goethebnndes das wohl gethan
haben? Um Goethes Persönlichkeit zu erkennen, muß man seine Gespräche
lesen; manche Seiten von ihr sind aus den Werken allein nicht zu erkennen.
Es ist meine heilige Überzeugung, daß von hundert Mitgliedern des Goethe-
bnnds uicht einer die Goethischen Gespräche gelesen hat. Mit der Kenntnis
der Goethischen Werke, Tagebücher und Briefe dürfte es so bestellt sein wie
bei den Mitgliedern des Giordano-Bruno-Bundes mit der Kenntnis der
Giordano Bruuoschen Schriften und bei den Gästen des Cafe Schiller mit der
Kenntnis der Schillerschen.

Bei einzelnen Mitgliedern des Goethebundes ist die Goethekenntnis und
die edle Absicht über allen Zweifel erhaben. Solche Mitglieder dürften jedoch
in einem holden Wahn über viele ihrer Vereinsbruder sein. Überhaupt
möchte ich den Mitgliedern raten, nicht zuviel zusammen zu sprechen, und wenn
sie zu einer Konversation genötigt sind, sich über das Wetter zu unterhalten, da
sie sonst einander an die Köpfe geraten werden. Auch empfiehlt sich bei Vcr-
sammlungsreden möglichste Allgemeinheit, da sich sonst bald herausstellen
würde, daß es kaum irgend einen wichtigen Gegenstand giebt, worin die ver¬
schiedenartigen Elemente übereinstimmen, und daß sich viele Mitglieder gegen¬
seitig einfach ein Ekel sind. Von Heyse, der dem Münchner Goethebund bei-
getreten ist, wissen wir, daß er Goethe liebt und kennt, von Hans Thoma,
der Sympathien für den Bund gezeigt hat, daß er ein echter Künstler ist.
Von andern Mitgliedern wissen wir aber, daß sie Goethe nicht kennen, und
daß sie Pseudokünstler sind, eben solche Schädlinge, wie die Lex Heinze sie
bekämpfen wollte, daß sie also in dieser Sache, in der sie die Angeklagten
sind, nicht zugleich Richter sein können, und daß sie nicht befähigt sind, die
Angemessenheit des Namens "Gocthebnnd" zu beurteilen. Die wirklichen Gocthe-
kenuer würden sich bei näherer Bekanntschaft mit ihren Bnndesbrüderu vor¬
kommen wie Götz von Berlichingen unter seinen Mordbrennern.

In seinen Gesprächen hat sich Goethe so umfassend und allseitig ausge¬
sprochen, daß es nicht zweifelhaft bleiben kann, wie er über den Goethebund


die Ehe wurden mit zunehmendem Alter immer strenger. Über Preßfreiheit
dachte er derart, daß selbst der ihm so ergebne Kanzler von Müller nach einem
Gespräch in sein Tagebuch schreibt: „Es ist mit Goethe hierüber in der That
nicht zu streiten, da er viel zu einseitig und despotisch sich ausspricht,"

Es scheint nun auch, daß eine Anzahl Leute, die sich sonst begeistert um
Goethes Fahne scharen, dein Goethebund fern bleiben. Ich stelle mir vor,
daß diese Leute etwa so denken: Es ist uns widerwärtig, daß Goethes Name
als Aushängeschild für eine Sache gebraucht wird, die so wenig im Sinne des
Meisters ist. Es ist uns widerwärtig, daß dies zum Teil durch Leute geschieht,
die Goethe nicht kennen, zum Teil durch solche, die ihn nicht verstehn, ja zum
Teil durch solche, die Goethen ein Greuel gewesen wären. Man soll ihn weg¬
lassen aus dem politischen Gezänk, dem Tageslärm, ihn nicht als Sturmbock
benutzen, sondern als Erzieher, wozu erforderlich ist, daß man ihn studiert.

Ihn studieren — wieviel Mitglieder des Goethebnndes das wohl gethan
haben? Um Goethes Persönlichkeit zu erkennen, muß man seine Gespräche
lesen; manche Seiten von ihr sind aus den Werken allein nicht zu erkennen.
Es ist meine heilige Überzeugung, daß von hundert Mitgliedern des Goethe-
bnnds uicht einer die Goethischen Gespräche gelesen hat. Mit der Kenntnis
der Goethischen Werke, Tagebücher und Briefe dürfte es so bestellt sein wie
bei den Mitgliedern des Giordano-Bruno-Bundes mit der Kenntnis der
Giordano Bruuoschen Schriften und bei den Gästen des Cafe Schiller mit der
Kenntnis der Schillerschen.

Bei einzelnen Mitgliedern des Goethebundes ist die Goethekenntnis und
die edle Absicht über allen Zweifel erhaben. Solche Mitglieder dürften jedoch
in einem holden Wahn über viele ihrer Vereinsbruder sein. Überhaupt
möchte ich den Mitgliedern raten, nicht zuviel zusammen zu sprechen, und wenn
sie zu einer Konversation genötigt sind, sich über das Wetter zu unterhalten, da
sie sonst einander an die Köpfe geraten werden. Auch empfiehlt sich bei Vcr-
sammlungsreden möglichste Allgemeinheit, da sich sonst bald herausstellen
würde, daß es kaum irgend einen wichtigen Gegenstand giebt, worin die ver¬
schiedenartigen Elemente übereinstimmen, und daß sich viele Mitglieder gegen¬
seitig einfach ein Ekel sind. Von Heyse, der dem Münchner Goethebund bei-
getreten ist, wissen wir, daß er Goethe liebt und kennt, von Hans Thoma,
der Sympathien für den Bund gezeigt hat, daß er ein echter Künstler ist.
Von andern Mitgliedern wissen wir aber, daß sie Goethe nicht kennen, und
daß sie Pseudokünstler sind, eben solche Schädlinge, wie die Lex Heinze sie
bekämpfen wollte, daß sie also in dieser Sache, in der sie die Angeklagten
sind, nicht zugleich Richter sein können, und daß sie nicht befähigt sind, die
Angemessenheit des Namens „Gocthebnnd" zu beurteilen. Die wirklichen Gocthe-
kenuer würden sich bei näherer Bekanntschaft mit ihren Bnndesbrüderu vor¬
kommen wie Götz von Berlichingen unter seinen Mordbrennern.

In seinen Gesprächen hat sich Goethe so umfassend und allseitig ausge¬
sprochen, daß es nicht zweifelhaft bleiben kann, wie er über den Goethebund


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/30>, abgerufen am 16.06.2024.