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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und der Goethebund

gedacht Hütte. Wir wollen ihn einfach reden lassen und dabei natürlich außer
den Gesprächen auch sein Leben, seine Werke, seine Briefe und autobio¬
graphischen Äuszeruugen berücksichtigen. Ob Goethes Anschmumgen richtig
waren, ist eine andre Frage; jedenfalls verdienen sie, in dieser Sache gehört
zu werden.

Daß er im allgemeinen nicht der Ansicht war, es könnte durch derartige
Verbindungen viel erreicht werden, ist bekannt. Als ihm in seiner Jugend
Shakespeares Größe aufging, und er sich auflehnte gegen die Regeln des fran¬
zösischen Klassizismus, gründete er uicht einen Shakespearebund, sondern schrieb
Götz von Berlichingen. Als sich ihm später Calderons Zauberwelt erschloß,
gründete er nicht einen Calderonverein, sondern suchte Calderon auf der
deutscheu Bühne einheimisch zu machen und besprach sich mit ausgesuchten
Personen über die Welt des spanischen Dichters, in die er ans jede Weise ein¬
zudringen suchte. Überhaupt hat er, wenn ihn eine neue große Idee erfaßte,
mit geeigneten Freunden die Sache besprochen lind gesucht, im Verein mit
ihnen der neuen Idee zu praktischer Geltung zu verhelfen. Sich zu solchen
Zwecken mit beliebigen Leuten zu vereinigen, hat ihm immer fern gelegen.
Und nicht nur für seine Person, auch an andern war ihm jedes derartige
tumultuarische Beginnen zuwider; er wußte, daß eine unverstandne oder halb-
vcrstandne Sache nicht dadurch verständlich wird, daß viele zusammenkommen,
die sie uicht verstehn. "Die andern habe ich schwatzen lassen, und ich habe
gethan, was ich für gut fand. Ich übersah meine Sache und wußte, wohin
ich wollte. Hatte ich als einzelner einen Fehler begangen, so konnte ich ihn
wieder gut machen, Hütte ich ihn aber zu dreien und mehreren begangen, so
wäre ein Gntmachcn unmöglich gewesen, denn nnter vielen ist zu vielerlei
Meinung." Hätte Goethe aber gar unser Zeitalter des Verkehrten erlebt, mit
seiner gesteigerten Öffentlichkeit, die oft nichts ist als verminderte Innerlich¬
keit, so hätte er manches nicht salonfähige Beiwort auf die gewohnheitsmäßigen
Vereinsmitglieder angewandt.

Ferner war Goethe ein "Todfeind von Wortschällen." Er würde in
unsern Tagen wohl Sympathie für Vereine haben, die sich ein greifbares Ziel
ans dem Gebiete der Volkserziehung setzen. Auch der Vorschlag von Ferdinand
Avenarius, von Staats wegen gute Bücher billig zu verbreiten, hätte ihm ver¬
mutlich gefallen. Hingegen ein Verein, der sich, ursprünglich aus negativen
Tendenzen entstanden, auf vage Allgemeinbegriffe wie "geistige Freiheit"
gründet, unter denen sich alle Mitglieder etwas verschiednes, gelegentlich auch
gar nichts denken, wäre ihm ein Greuel gewesen.

Auch hatte Goethe über Freiheit so seine Gedanken. Er, der abgesagte
Feind aller demagogischen Umtriebe, suchte sie weniger in den äußern Ver¬
hältnissen, in der Freiheit von Gesetzen und Polizeiverordnungen, als in der
Fähigkeit zur SelbstbeherrschlMg, zur individuellen Bethätigung unter den nun
einmal gegebnen äußern Umständen. Wie es bei manchen Goethebüudlern
bestellt ist, die die Freiheit nach ihren Begriffen suchen, weiß man. Solche


Goethe und der Goethebund

gedacht Hütte. Wir wollen ihn einfach reden lassen und dabei natürlich außer
den Gesprächen auch sein Leben, seine Werke, seine Briefe und autobio¬
graphischen Äuszeruugen berücksichtigen. Ob Goethes Anschmumgen richtig
waren, ist eine andre Frage; jedenfalls verdienen sie, in dieser Sache gehört
zu werden.

Daß er im allgemeinen nicht der Ansicht war, es könnte durch derartige
Verbindungen viel erreicht werden, ist bekannt. Als ihm in seiner Jugend
Shakespeares Größe aufging, und er sich auflehnte gegen die Regeln des fran¬
zösischen Klassizismus, gründete er uicht einen Shakespearebund, sondern schrieb
Götz von Berlichingen. Als sich ihm später Calderons Zauberwelt erschloß,
gründete er nicht einen Calderonverein, sondern suchte Calderon auf der
deutscheu Bühne einheimisch zu machen und besprach sich mit ausgesuchten
Personen über die Welt des spanischen Dichters, in die er ans jede Weise ein¬
zudringen suchte. Überhaupt hat er, wenn ihn eine neue große Idee erfaßte,
mit geeigneten Freunden die Sache besprochen lind gesucht, im Verein mit
ihnen der neuen Idee zu praktischer Geltung zu verhelfen. Sich zu solchen
Zwecken mit beliebigen Leuten zu vereinigen, hat ihm immer fern gelegen.
Und nicht nur für seine Person, auch an andern war ihm jedes derartige
tumultuarische Beginnen zuwider; er wußte, daß eine unverstandne oder halb-
vcrstandne Sache nicht dadurch verständlich wird, daß viele zusammenkommen,
die sie uicht verstehn. „Die andern habe ich schwatzen lassen, und ich habe
gethan, was ich für gut fand. Ich übersah meine Sache und wußte, wohin
ich wollte. Hatte ich als einzelner einen Fehler begangen, so konnte ich ihn
wieder gut machen, Hütte ich ihn aber zu dreien und mehreren begangen, so
wäre ein Gntmachcn unmöglich gewesen, denn nnter vielen ist zu vielerlei
Meinung." Hätte Goethe aber gar unser Zeitalter des Verkehrten erlebt, mit
seiner gesteigerten Öffentlichkeit, die oft nichts ist als verminderte Innerlich¬
keit, so hätte er manches nicht salonfähige Beiwort auf die gewohnheitsmäßigen
Vereinsmitglieder angewandt.

Ferner war Goethe ein „Todfeind von Wortschällen." Er würde in
unsern Tagen wohl Sympathie für Vereine haben, die sich ein greifbares Ziel
ans dem Gebiete der Volkserziehung setzen. Auch der Vorschlag von Ferdinand
Avenarius, von Staats wegen gute Bücher billig zu verbreiten, hätte ihm ver¬
mutlich gefallen. Hingegen ein Verein, der sich, ursprünglich aus negativen
Tendenzen entstanden, auf vage Allgemeinbegriffe wie „geistige Freiheit"
gründet, unter denen sich alle Mitglieder etwas verschiednes, gelegentlich auch
gar nichts denken, wäre ihm ein Greuel gewesen.

Auch hatte Goethe über Freiheit so seine Gedanken. Er, der abgesagte
Feind aller demagogischen Umtriebe, suchte sie weniger in den äußern Ver¬
hältnissen, in der Freiheit von Gesetzen und Polizeiverordnungen, als in der
Fähigkeit zur SelbstbeherrschlMg, zur individuellen Bethätigung unter den nun
einmal gegebnen äußern Umständen. Wie es bei manchen Goethebüudlern
bestellt ist, die die Freiheit nach ihren Begriffen suchen, weiß man. Solche


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[0031] Goethe und der Goethebund gedacht Hütte. Wir wollen ihn einfach reden lassen und dabei natürlich außer den Gesprächen auch sein Leben, seine Werke, seine Briefe und autobio¬ graphischen Äuszeruugen berücksichtigen. Ob Goethes Anschmumgen richtig waren, ist eine andre Frage; jedenfalls verdienen sie, in dieser Sache gehört zu werden. Daß er im allgemeinen nicht der Ansicht war, es könnte durch derartige Verbindungen viel erreicht werden, ist bekannt. Als ihm in seiner Jugend Shakespeares Größe aufging, und er sich auflehnte gegen die Regeln des fran¬ zösischen Klassizismus, gründete er uicht einen Shakespearebund, sondern schrieb Götz von Berlichingen. Als sich ihm später Calderons Zauberwelt erschloß, gründete er nicht einen Calderonverein, sondern suchte Calderon auf der deutscheu Bühne einheimisch zu machen und besprach sich mit ausgesuchten Personen über die Welt des spanischen Dichters, in die er ans jede Weise ein¬ zudringen suchte. Überhaupt hat er, wenn ihn eine neue große Idee erfaßte, mit geeigneten Freunden die Sache besprochen lind gesucht, im Verein mit ihnen der neuen Idee zu praktischer Geltung zu verhelfen. Sich zu solchen Zwecken mit beliebigen Leuten zu vereinigen, hat ihm immer fern gelegen. Und nicht nur für seine Person, auch an andern war ihm jedes derartige tumultuarische Beginnen zuwider; er wußte, daß eine unverstandne oder halb- vcrstandne Sache nicht dadurch verständlich wird, daß viele zusammenkommen, die sie uicht verstehn. „Die andern habe ich schwatzen lassen, und ich habe gethan, was ich für gut fand. Ich übersah meine Sache und wußte, wohin ich wollte. Hatte ich als einzelner einen Fehler begangen, so konnte ich ihn wieder gut machen, Hütte ich ihn aber zu dreien und mehreren begangen, so wäre ein Gntmachcn unmöglich gewesen, denn nnter vielen ist zu vielerlei Meinung." Hätte Goethe aber gar unser Zeitalter des Verkehrten erlebt, mit seiner gesteigerten Öffentlichkeit, die oft nichts ist als verminderte Innerlich¬ keit, so hätte er manches nicht salonfähige Beiwort auf die gewohnheitsmäßigen Vereinsmitglieder angewandt. Ferner war Goethe ein „Todfeind von Wortschällen." Er würde in unsern Tagen wohl Sympathie für Vereine haben, die sich ein greifbares Ziel ans dem Gebiete der Volkserziehung setzen. Auch der Vorschlag von Ferdinand Avenarius, von Staats wegen gute Bücher billig zu verbreiten, hätte ihm ver¬ mutlich gefallen. Hingegen ein Verein, der sich, ursprünglich aus negativen Tendenzen entstanden, auf vage Allgemeinbegriffe wie „geistige Freiheit" gründet, unter denen sich alle Mitglieder etwas verschiednes, gelegentlich auch gar nichts denken, wäre ihm ein Greuel gewesen. Auch hatte Goethe über Freiheit so seine Gedanken. Er, der abgesagte Feind aller demagogischen Umtriebe, suchte sie weniger in den äußern Ver¬ hältnissen, in der Freiheit von Gesetzen und Polizeiverordnungen, als in der Fähigkeit zur SelbstbeherrschlMg, zur individuellen Bethätigung unter den nun einmal gegebnen äußern Umständen. Wie es bei manchen Goethebüudlern bestellt ist, die die Freiheit nach ihren Begriffen suchen, weiß man. Solche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/31>, abgerufen am 16.06.2024.