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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und der Goethebund

Leute würden in ihren: Goetheverständnis sehr gefördert werden, wenn sie ver¬
suchten, einmal irgend eine Neigung zu Gunsten einer hohem Idee zu über-
winden, Sie würden dann auch merken, daß Goethe nicht ein Mensch war, der
jedes Gelüst bei den Haaren ergriff, sondern ein Meister in der Selbst¬
beherrschung, zu deren Studium ihm seine Stellung als Theaterleiter die beste
Gelegenheit gab.

"Ein Kampfbund" soll nach dem Ausspruch eines seiner Führer der Goethe-
buud sein. Das wäre um wieder nichts für Goethe, den Feind alles Regierens
und Opponicrens. Das Kämpfen gegen äußere Gewalten war ihm verhaßt,
was ihm die deutschen Patrioten des Jahres 1813 schwer verdacht haben.
"Wer für die Welt etwas thun will, muß sich nicht mit ihr einlassen." Er
fand, jeder solle in seinem Beruf, in seinem Wirkungskreis das Beste zu leisten,
seine Persönlichkeit zu steigern suchen, mit sich kämpfen, nicht gegen andre.
In seinem großen oder kleinen Wirkungskreis, sei es als Kaiser, sei es als
Steinklopfer, Positives schaffen, nicht über das Wirken andrer, selbst wenn
es tadelnswert ist, schimpfen. Die Politik als das Gebiet, wo man am
meisten über Dinge räsonniert, ans die man keinen Einfluß hat, war ihm be¬
sonders zuwider; man solle das Regieren denen überlassen, die es gelernt
haben und deren Geschäft es ist. Es war eine seiner Lieblingsidcen, der er
auch im Ansturm der konstitutionellen Forderungen des neunzehnten Jahr¬
hunderts treu blieb, "daß jeder nur darum bekümmert sein solle, in seiner
spezialen Sphäre, groß oder klein, recht treu und mit Liebe fortzuwirken, so
werde der allgemeine Segen auch unter keiner Regierungsform ausbleiben . . .
nicht von außen herein durch Regierungsformen käme das Heil, sondern von
innen heraus durch weise Beschränkung und bescheidne Thätigkeit eines jeden
in seinem Kreise." Nach Goethes Weltanschauung wird auch für die Allgemein-
heit am meiste,: erreicht, wenn der Einzelne die ihm nun einmal zu teil ge-
wordne Stellung nach besten Kräften ausfüllt; daß diese Stelle die ist, an der
er geeignet ist zu wirken, und an der er seine Persönlichkeit entwickeln kann,
das war Goethes Überzeugung, ja man kann ruhig sagen sein religiöser Glaube.
Kurz, Goethe war ein Bild dessen, was man im Gocthebund einen "Reak¬
tionär" nennt.

Einer der Stacheln des Gvethebnndes scheint gegen die katholische Kirche
gerichtet zu sein. Auch in diesem Punkte hatte Goethe einen schlechten Goethc-
bündler abgegeben. Abgesehen davon, daß er jede öffentliche Verunglimpfung
einer Religion verabscheute, hat er, etwa von der mittlern Zeit ub, dein Katho¬
lizismus immer mehr abgewonnen. In der Italienischen Reise ist diese Wand¬
lung zu beobachten, zu der das Studium der italienischen Kunst sicherlich viel
beigetragen hat. "Mit Abneigung" ließ er auf der Hinreise das Grab des
heiligen Franziskus links liegen; den aufmerksamen Lesern der Italienischen
Reise kann es aber nicht verborgen bleiben, daß, wenn Goethe sein Weg auf
der Rückreise durch Assisi geführt hätte, er an jener Stätte nicht vorübergegangen
wäre. Aus dem Jahre 1805 berichtet uns Heinrich Voß: "Bei der Gelegen-


Goethe und der Goethebund

Leute würden in ihren: Goetheverständnis sehr gefördert werden, wenn sie ver¬
suchten, einmal irgend eine Neigung zu Gunsten einer hohem Idee zu über-
winden, Sie würden dann auch merken, daß Goethe nicht ein Mensch war, der
jedes Gelüst bei den Haaren ergriff, sondern ein Meister in der Selbst¬
beherrschung, zu deren Studium ihm seine Stellung als Theaterleiter die beste
Gelegenheit gab.

„Ein Kampfbund" soll nach dem Ausspruch eines seiner Führer der Goethe-
buud sein. Das wäre um wieder nichts für Goethe, den Feind alles Regierens
und Opponicrens. Das Kämpfen gegen äußere Gewalten war ihm verhaßt,
was ihm die deutschen Patrioten des Jahres 1813 schwer verdacht haben.
„Wer für die Welt etwas thun will, muß sich nicht mit ihr einlassen." Er
fand, jeder solle in seinem Beruf, in seinem Wirkungskreis das Beste zu leisten,
seine Persönlichkeit zu steigern suchen, mit sich kämpfen, nicht gegen andre.
In seinem großen oder kleinen Wirkungskreis, sei es als Kaiser, sei es als
Steinklopfer, Positives schaffen, nicht über das Wirken andrer, selbst wenn
es tadelnswert ist, schimpfen. Die Politik als das Gebiet, wo man am
meisten über Dinge räsonniert, ans die man keinen Einfluß hat, war ihm be¬
sonders zuwider; man solle das Regieren denen überlassen, die es gelernt
haben und deren Geschäft es ist. Es war eine seiner Lieblingsidcen, der er
auch im Ansturm der konstitutionellen Forderungen des neunzehnten Jahr¬
hunderts treu blieb, „daß jeder nur darum bekümmert sein solle, in seiner
spezialen Sphäre, groß oder klein, recht treu und mit Liebe fortzuwirken, so
werde der allgemeine Segen auch unter keiner Regierungsform ausbleiben . . .
nicht von außen herein durch Regierungsformen käme das Heil, sondern von
innen heraus durch weise Beschränkung und bescheidne Thätigkeit eines jeden
in seinem Kreise." Nach Goethes Weltanschauung wird auch für die Allgemein-
heit am meiste,: erreicht, wenn der Einzelne die ihm nun einmal zu teil ge-
wordne Stellung nach besten Kräften ausfüllt; daß diese Stelle die ist, an der
er geeignet ist zu wirken, und an der er seine Persönlichkeit entwickeln kann,
das war Goethes Überzeugung, ja man kann ruhig sagen sein religiöser Glaube.
Kurz, Goethe war ein Bild dessen, was man im Gocthebund einen „Reak¬
tionär" nennt.

Einer der Stacheln des Gvethebnndes scheint gegen die katholische Kirche
gerichtet zu sein. Auch in diesem Punkte hatte Goethe einen schlechten Goethc-
bündler abgegeben. Abgesehen davon, daß er jede öffentliche Verunglimpfung
einer Religion verabscheute, hat er, etwa von der mittlern Zeit ub, dein Katho¬
lizismus immer mehr abgewonnen. In der Italienischen Reise ist diese Wand¬
lung zu beobachten, zu der das Studium der italienischen Kunst sicherlich viel
beigetragen hat. „Mit Abneigung" ließ er auf der Hinreise das Grab des
heiligen Franziskus links liegen; den aufmerksamen Lesern der Italienischen
Reise kann es aber nicht verborgen bleiben, daß, wenn Goethe sein Weg auf
der Rückreise durch Assisi geführt hätte, er an jener Stätte nicht vorübergegangen
wäre. Aus dem Jahre 1805 berichtet uns Heinrich Voß: „Bei der Gelegen-


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[0032] Goethe und der Goethebund Leute würden in ihren: Goetheverständnis sehr gefördert werden, wenn sie ver¬ suchten, einmal irgend eine Neigung zu Gunsten einer hohem Idee zu über- winden, Sie würden dann auch merken, daß Goethe nicht ein Mensch war, der jedes Gelüst bei den Haaren ergriff, sondern ein Meister in der Selbst¬ beherrschung, zu deren Studium ihm seine Stellung als Theaterleiter die beste Gelegenheit gab. „Ein Kampfbund" soll nach dem Ausspruch eines seiner Führer der Goethe- buud sein. Das wäre um wieder nichts für Goethe, den Feind alles Regierens und Opponicrens. Das Kämpfen gegen äußere Gewalten war ihm verhaßt, was ihm die deutschen Patrioten des Jahres 1813 schwer verdacht haben. „Wer für die Welt etwas thun will, muß sich nicht mit ihr einlassen." Er fand, jeder solle in seinem Beruf, in seinem Wirkungskreis das Beste zu leisten, seine Persönlichkeit zu steigern suchen, mit sich kämpfen, nicht gegen andre. In seinem großen oder kleinen Wirkungskreis, sei es als Kaiser, sei es als Steinklopfer, Positives schaffen, nicht über das Wirken andrer, selbst wenn es tadelnswert ist, schimpfen. Die Politik als das Gebiet, wo man am meisten über Dinge räsonniert, ans die man keinen Einfluß hat, war ihm be¬ sonders zuwider; man solle das Regieren denen überlassen, die es gelernt haben und deren Geschäft es ist. Es war eine seiner Lieblingsidcen, der er auch im Ansturm der konstitutionellen Forderungen des neunzehnten Jahr¬ hunderts treu blieb, „daß jeder nur darum bekümmert sein solle, in seiner spezialen Sphäre, groß oder klein, recht treu und mit Liebe fortzuwirken, so werde der allgemeine Segen auch unter keiner Regierungsform ausbleiben . . . nicht von außen herein durch Regierungsformen käme das Heil, sondern von innen heraus durch weise Beschränkung und bescheidne Thätigkeit eines jeden in seinem Kreise." Nach Goethes Weltanschauung wird auch für die Allgemein- heit am meiste,: erreicht, wenn der Einzelne die ihm nun einmal zu teil ge- wordne Stellung nach besten Kräften ausfüllt; daß diese Stelle die ist, an der er geeignet ist zu wirken, und an der er seine Persönlichkeit entwickeln kann, das war Goethes Überzeugung, ja man kann ruhig sagen sein religiöser Glaube. Kurz, Goethe war ein Bild dessen, was man im Gocthebund einen „Reak¬ tionär" nennt. Einer der Stacheln des Gvethebnndes scheint gegen die katholische Kirche gerichtet zu sein. Auch in diesem Punkte hatte Goethe einen schlechten Goethc- bündler abgegeben. Abgesehen davon, daß er jede öffentliche Verunglimpfung einer Religion verabscheute, hat er, etwa von der mittlern Zeit ub, dein Katho¬ lizismus immer mehr abgewonnen. In der Italienischen Reise ist diese Wand¬ lung zu beobachten, zu der das Studium der italienischen Kunst sicherlich viel beigetragen hat. „Mit Abneigung" ließ er auf der Hinreise das Grab des heiligen Franziskus links liegen; den aufmerksamen Lesern der Italienischen Reise kann es aber nicht verborgen bleiben, daß, wenn Goethe sein Weg auf der Rückreise durch Assisi geführt hätte, er an jener Stätte nicht vorübergegangen wäre. Aus dem Jahre 1805 berichtet uns Heinrich Voß: „Bei der Gelegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_291076/32>, abgerufen am 16.06.2024.