Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.Die Handelspolitik im Jahre So beurteilt Conrad die Sache vom Standpunkt der landwirtschaftlichen (Fortsetzung folgt) Die Handelspolitik im Jahre So beurteilt Conrad die Sache vom Standpunkt der landwirtschaftlichen (Fortsetzung folgt) <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0026" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/233906"/> <fw type="header" place="top"> Die Handelspolitik im Jahre</fw><lb/> <p xml:id="ID_41"> So beurteilt Conrad die Sache vom Standpunkt der landwirtschaftlichen<lb/> Interessen aus. Dazu kommt nun aber noch die selbstverständlich von ihm<lb/> scharf betonte Rücksicht auf die Interessen von Industrie und Handel, deren<lb/> ungeheure Bedeutung für unser Wirtschafts- und Staatsleben doch nur Narren<lb/> oder Lügner bestreiten können. Vor allem weist Conrad die aller gesunden<lb/> Vernunft Hohn sprechende, aber trotzdem weit zur Anerkennung gebrachte Be¬<lb/> hauptung als absurd uach, daß die Kornzölle der Masse des Volks das Brot<lb/> nicht vertenre, oder daß Rücksichtslosigkeit gegen die Konsumenten überhaupt<lb/> nichts zu sagen habe. Schließlich betont er, daß die Erhöhung der Kornzölle<lb/> in hohem Grade unsre industrielle Ausfuhr zu lahmen drohe, was namentlich<lb/> Rußland gegenüber verhängnisvoll ins Gewicht fallen werde. Es kann hier<lb/> auf die ausführliche Begründung, die er seinem Urteil giebt, nicht näher ein¬<lb/> gegangen werden. Das mag und das soll jeder gebildete Mann, dem das<lb/> Gesamtwohl am Herzen liegt, selbst studieren. Auch werden die Grenzboten<lb/> wohl noch darauf zurückkommen, denn totschweigen können die Parteiagraricr<lb/> diese Abfertigung ihrer Ansprüche nicht, und Conrad selbst stellt eine noch<lb/> ausführlichere Behandlung des Gegenstands in Aussicht. Übrigens giebt er<lb/> sich wegen der unmittelbaren Wirkung seiner Warnungen keinen Illusionen<lb/> mehr hin. Was von den Anschauungen der verschleimen politischen Parteien<lb/> in die Öffentlichkeit gedrungen sei, zwinge, mit der Getreidezollerhöhung als<lb/> unabwendbarem Verhängnis zu rechnen. Er hat darin nur zu sehr Recht.<lb/> Aber um so mehr gilt es jetzt, die Landwirte zur Bescheidenheit und Mäßigung<lb/> zu mahnen, und das ist die große und sehr ernste praktische Bedeutung<lb/> des Conradschen Aufsatzes. Nur die äußerste Vorsicht bei der Bemessung der<lb/> Getrcidezollerhöhungeu kann uus bei den bevorstehenden handelspolitischen<lb/> Aktionen vor schweren Konflikten und materiellem Schaden bewahren. Ohne<lb/> sie wird die Kontinuität der Handelsvertragspolitik, ja diese überhaupt kaum<lb/> aufrecht erhalten werden können. Das ist ja freilich der Herzenswunsch der<lb/> gedankenlosen, frivolen Agrardcmngogie. Aber unsre Landwirte sollen sich<lb/> hüten, sich zum weitem Überspannen des Bogens verleiten zu lassen. Er muß<lb/> brechen, und er wird brechen, wenn die agrarischen Einflüsse das Zustandekommen<lb/> von Handelsverträgen, wie sie unser Ausfuhrhandel braucht, verhindern. Die<lb/> Vorentscheidung, die im Jahre 1901 vom Reichstag getroffen werden muß, wird<lb/> zeigen, ob sich die landwirtschaftliche Bevölkerung noch den konservativen Sinn<lb/> bewahrt hat, der Maß zu halten und sich zu bescheiden weiß, wo das Gesamt¬<lb/> wohl in Betracht kommt. Ohne ihn wird ihre politische Rolle bald zu<lb/> Ende sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_42"> (Fortsetzung folgt)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
Die Handelspolitik im Jahre
So beurteilt Conrad die Sache vom Standpunkt der landwirtschaftlichen
Interessen aus. Dazu kommt nun aber noch die selbstverständlich von ihm
scharf betonte Rücksicht auf die Interessen von Industrie und Handel, deren
ungeheure Bedeutung für unser Wirtschafts- und Staatsleben doch nur Narren
oder Lügner bestreiten können. Vor allem weist Conrad die aller gesunden
Vernunft Hohn sprechende, aber trotzdem weit zur Anerkennung gebrachte Be¬
hauptung als absurd uach, daß die Kornzölle der Masse des Volks das Brot
nicht vertenre, oder daß Rücksichtslosigkeit gegen die Konsumenten überhaupt
nichts zu sagen habe. Schließlich betont er, daß die Erhöhung der Kornzölle
in hohem Grade unsre industrielle Ausfuhr zu lahmen drohe, was namentlich
Rußland gegenüber verhängnisvoll ins Gewicht fallen werde. Es kann hier
auf die ausführliche Begründung, die er seinem Urteil giebt, nicht näher ein¬
gegangen werden. Das mag und das soll jeder gebildete Mann, dem das
Gesamtwohl am Herzen liegt, selbst studieren. Auch werden die Grenzboten
wohl noch darauf zurückkommen, denn totschweigen können die Parteiagraricr
diese Abfertigung ihrer Ansprüche nicht, und Conrad selbst stellt eine noch
ausführlichere Behandlung des Gegenstands in Aussicht. Übrigens giebt er
sich wegen der unmittelbaren Wirkung seiner Warnungen keinen Illusionen
mehr hin. Was von den Anschauungen der verschleimen politischen Parteien
in die Öffentlichkeit gedrungen sei, zwinge, mit der Getreidezollerhöhung als
unabwendbarem Verhängnis zu rechnen. Er hat darin nur zu sehr Recht.
Aber um so mehr gilt es jetzt, die Landwirte zur Bescheidenheit und Mäßigung
zu mahnen, und das ist die große und sehr ernste praktische Bedeutung
des Conradschen Aufsatzes. Nur die äußerste Vorsicht bei der Bemessung der
Getrcidezollerhöhungeu kann uus bei den bevorstehenden handelspolitischen
Aktionen vor schweren Konflikten und materiellem Schaden bewahren. Ohne
sie wird die Kontinuität der Handelsvertragspolitik, ja diese überhaupt kaum
aufrecht erhalten werden können. Das ist ja freilich der Herzenswunsch der
gedankenlosen, frivolen Agrardcmngogie. Aber unsre Landwirte sollen sich
hüten, sich zum weitem Überspannen des Bogens verleiten zu lassen. Er muß
brechen, und er wird brechen, wenn die agrarischen Einflüsse das Zustandekommen
von Handelsverträgen, wie sie unser Ausfuhrhandel braucht, verhindern. Die
Vorentscheidung, die im Jahre 1901 vom Reichstag getroffen werden muß, wird
zeigen, ob sich die landwirtschaftliche Bevölkerung noch den konservativen Sinn
bewahrt hat, der Maß zu halten und sich zu bescheiden weiß, wo das Gesamt¬
wohl in Betracht kommt. Ohne ihn wird ihre politische Rolle bald zu
Ende sein.
(Fortsetzung folgt)
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