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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Paul heyse

Werden müßten/' so lehnte sie einmal die Aufforderung zu einer Tischrede ab),
deren geistig-sinnliche Anlage sich ans den Sohn vererbte, von dem gewissen¬
haften, fleißigen Vater, der mit allen seinen Charaktereigenschaften ihm ein
wirksames Vorbild war, von den hvchgestiegnen jüdischen Verwandten mütter¬
licherseits, die es ganz vergessen hatten, daß sie von einem Vater abstammten,
den der Hofmarschall in Geschäftsbriefen mit "Lieber Jude" anzureden pflegte,
von Theodor Heyse, dem allen Nomfahrern bekannten "Onkel Catull," von den
Schülerjahren auf dem Friedrich Wilhelms-Gymnasium, wo sehr viel Latein
und Griechisch gelernt werden mußte, ohne daß es dem jungen Dichter um Leib
und Seele schadete, während in der Mathematik der freundliche alte Schell¬
bach der unbezwinglichen Unfähigkeit eines übrigens musterhaften Schülers
gegenüber ein Auge oder eigentlich wohl alle beide zudrücken durfte. Die Lehrer
hätten zu jener Zeit noch gewußt, daß nicht ullen Bäumen die gleiche Rinde
gewachsen sei, sie hätten auch bei den Prüfungen noch mehr als die Leistungen
in den einzelnen Fächern das berücksichtigen können, was ein Schüler im
ganzen wert gewesen sei, und daß man sein Gedächtnis damals noch nicht mit
einem Übermaß halbverstandner naturwissenschaftlicher Kenntnisse zu belasten
brauchte, habe später keinem leid gethan. In diese Zeit sällt eine Primaner¬
liebe zu einem jungen Freifräulein von Stein, einer Urenkelin der Freundin
Goethes, und bald, auf einer Schweizerreise, sollte den jungen Studenten ein
noch ernsteres Begegnis treffen, das mit einem schmerzlichen Verzicht abge¬
schlossen werden mußte. Dichtern wird es immer leichter werden als andern
Sterblichen, solche Bekenntnisse zu veröffentlichen, für Paul Heyse aber hat
dieses Gebiet seine besondre Wichtigkeit, mit seinem Herzen schließt er uns zu¬
gleich seine Kunst auf. "Denn schon als Knabe hatte ich die Macht der Schön¬
heit empfunden, und es war eine sehr persönliche Konfession, die ich in der
Braut von Cypern aussprach: O heilig Wunder usw. Was Cimone dort
erfuhr, wie gut kannte ich es, wie oft hatte ich es als schüchterner Juvenil
selbst erfahren, in Gesellschaften, wo ich einer reizvollen Müdchengestalt be¬
gegnete, im Theater, wenn ich eine schöne Frau in ihre Loge treten oder sie
auf der Straße an mir vorübergehn sah. Ich empfand dann leibhaftig jenen
Schlag auf das Herz, der Atem stockte mir, ja, wie es schon die große les¬
bische Dichterin an sich erlebt, ein leiser Schweiß trat mir ans die Stirn,
wenn das zauberhafte Wesen mich anredete. Diese Schwäche meiner jungen
Jahre ist mir noch lange nachgegangen, und wenn ich als Dichter oft eines
überschwenglichen Schönheitskultus gezichn wordeu bin, obwohl mir soviel
tiefere geistige und sittliche Probleme zeitlebens zu schaffen machten, kann ich
mich nur damit entschuldigen, daß es sich dabei um einen Naturfehler handle,
der sich mit keinem noch so guten Willen hätte ausrotten lassen. Daß ich
aber dennoch in der Schule der Frauen lauge gesessen, ohne allzuschweres
Lehrgeld zu zahlen, und vor zerrüttenden Herzensstürmen bewahrt geblieben
bin, verdanke ich dem seltnen Glück, daß mein Herz früh in festen Handen
war, und daß ich zweimal eine Ehe geführt habe, wie sie harmonischer, Seele


Paul heyse

Werden müßten/' so lehnte sie einmal die Aufforderung zu einer Tischrede ab),
deren geistig-sinnliche Anlage sich ans den Sohn vererbte, von dem gewissen¬
haften, fleißigen Vater, der mit allen seinen Charaktereigenschaften ihm ein
wirksames Vorbild war, von den hvchgestiegnen jüdischen Verwandten mütter¬
licherseits, die es ganz vergessen hatten, daß sie von einem Vater abstammten,
den der Hofmarschall in Geschäftsbriefen mit „Lieber Jude" anzureden pflegte,
von Theodor Heyse, dem allen Nomfahrern bekannten „Onkel Catull," von den
Schülerjahren auf dem Friedrich Wilhelms-Gymnasium, wo sehr viel Latein
und Griechisch gelernt werden mußte, ohne daß es dem jungen Dichter um Leib
und Seele schadete, während in der Mathematik der freundliche alte Schell¬
bach der unbezwinglichen Unfähigkeit eines übrigens musterhaften Schülers
gegenüber ein Auge oder eigentlich wohl alle beide zudrücken durfte. Die Lehrer
hätten zu jener Zeit noch gewußt, daß nicht ullen Bäumen die gleiche Rinde
gewachsen sei, sie hätten auch bei den Prüfungen noch mehr als die Leistungen
in den einzelnen Fächern das berücksichtigen können, was ein Schüler im
ganzen wert gewesen sei, und daß man sein Gedächtnis damals noch nicht mit
einem Übermaß halbverstandner naturwissenschaftlicher Kenntnisse zu belasten
brauchte, habe später keinem leid gethan. In diese Zeit sällt eine Primaner¬
liebe zu einem jungen Freifräulein von Stein, einer Urenkelin der Freundin
Goethes, und bald, auf einer Schweizerreise, sollte den jungen Studenten ein
noch ernsteres Begegnis treffen, das mit einem schmerzlichen Verzicht abge¬
schlossen werden mußte. Dichtern wird es immer leichter werden als andern
Sterblichen, solche Bekenntnisse zu veröffentlichen, für Paul Heyse aber hat
dieses Gebiet seine besondre Wichtigkeit, mit seinem Herzen schließt er uns zu¬
gleich seine Kunst auf. „Denn schon als Knabe hatte ich die Macht der Schön¬
heit empfunden, und es war eine sehr persönliche Konfession, die ich in der
Braut von Cypern aussprach: O heilig Wunder usw. Was Cimone dort
erfuhr, wie gut kannte ich es, wie oft hatte ich es als schüchterner Juvenil
selbst erfahren, in Gesellschaften, wo ich einer reizvollen Müdchengestalt be¬
gegnete, im Theater, wenn ich eine schöne Frau in ihre Loge treten oder sie
auf der Straße an mir vorübergehn sah. Ich empfand dann leibhaftig jenen
Schlag auf das Herz, der Atem stockte mir, ja, wie es schon die große les¬
bische Dichterin an sich erlebt, ein leiser Schweiß trat mir ans die Stirn,
wenn das zauberhafte Wesen mich anredete. Diese Schwäche meiner jungen
Jahre ist mir noch lange nachgegangen, und wenn ich als Dichter oft eines
überschwenglichen Schönheitskultus gezichn wordeu bin, obwohl mir soviel
tiefere geistige und sittliche Probleme zeitlebens zu schaffen machten, kann ich
mich nur damit entschuldigen, daß es sich dabei um einen Naturfehler handle,
der sich mit keinem noch so guten Willen hätte ausrotten lassen. Daß ich
aber dennoch in der Schule der Frauen lauge gesessen, ohne allzuschweres
Lehrgeld zu zahlen, und vor zerrüttenden Herzensstürmen bewahrt geblieben
bin, verdanke ich dem seltnen Glück, daß mein Herz früh in festen Handen
war, und daß ich zweimal eine Ehe geführt habe, wie sie harmonischer, Seele


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/37>, abgerufen am 15.05.2024.