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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Der Wahlkampf in Österreich

is Ministerpräsident Körber vor der tschechischen Obstruktion die
Segel strich und den Reichsrat auflöste, wußte niemand, warum er
die nach dein Zerfall der slawisch-feudal-klerikalen Rechten mit großer
Mühe zustande gebrachte Arbeitsmajorität kampflos preisgegeben habe,
und worauf er die Hoffnung stütze, durch Neuwahlen ein arbeits¬
fähigeres Parlament zu erreichen, Hat er damals, wie man an¬
nehmen mußte, einen geheimen Plan gehabt, so kann sich bis jetzt noch niemand
seiner Enthüllung erfreuen oder rühmen. Sollte er aber den Tschechen nur für das
Versprechen, nach der Neuwahl die Obstruktion auszugeben, den sollen Preis der
Auflösung gezahlt haben, der die Tschechen zu Siegern zu machen scheint, so hat
er alle Ursache, seine Vertrauensseligkeit, um nicht zu sagen Leichtgläubigkeit, bitter
zu bereuen. Denn trotz der schweren Bedenken, die in den denkenden Kreisen des
tschechischen Volks über die Zweckmäßigkeit der jnngtschechischcn Taktik im Reichs¬
rate aufgestiegen und schon sehr laut geäußert worden sind, scheint die politische
Leidenschaft noch immer bei der Forderung zu beharren, die stnntsrechtlichen und
nationalen Ansprüche dnrch Fortsetzung der Obstruktion zu erzwingen. Das deut¬
lichste Anzeichen hierfür ist der Entschluß des bisherige" Obmanns des Jnng-
tschechenklnbs Dr, Engel, kein Mandat mehr anzunehmen. Er hatte sich auch früher
nnr der vbstruktionslnstigen Mehrheit seiner Klnbgenossen gefügt, sieht aber nun,
daß er auch bei der neuen Tagung mit seiner gemäßigter" Anschcinnng nicht durch-
dringen wird. Die Möglichkeit, im Sinne einer solchen zu handeln, haben sich
allerdings sust alle Kandidaten vorsichtigerweise offen gelassen, und von hervor¬
ragenden Persönlichkeiten unter ihnen ist es sehr entschieden hervorgehoben worden,
daß es die größte Unklugheit wäre, den künftigen Abgeordneten von vornherein eine
bestimmte parlamentarische Taktik vorschreiben zu wollen. Das bietet aber weder
dem Ministerium noch den Freunden der bestehenden Verfassung die Gewähr einer
ungestörten Thätigkeit der Volksvertretung,

Ministerpräsident Körber hatte die Hoffnung gehegt, wenigstens den Jndustriellen-
tag, als die Vertretung eines Standes, der zuerst von dem Daniederliegen der
wirtschaftlichen Verhältnisse betroffen wird, zu einer feierlichen Verurteilung der
Obstruktion zu bestimmen. Aber auch in dieser zwar national gemischten, aber doch
vorwiegend deutschen Gesellschaft von Männern des Erwerbslebens war das Gefühl
der Gemeinbürgschaft stark genug, die Berechtigung der letzten Waffe zur Abwehr
von Vergewaltigungen nicht von sich zu Weisen Seitdem hat das Kabinett sorg¬
fältig vermieden, in dem nun schon lebhaft entbrannten Wahlkampf irgendwie Farbe
zu bekennen.

Auch die Erkenntnis, daß ein in der bisherigen Weise zusammengesetzter Reichs¬
tag ebenso wenig eine fruchtbringende Thätigkeit erwarten lasse, wie sein Vorgänger,
hat die Parteien nicht dazu vermocht, von ihren alten Schlagworten abzulassen.
Allerdings hat sich aber in manchen Wählerkreisen ein Umschwung der Meinungen
vollzogen, der zu fühlbaren Verschiebungen im Besitzstande der Parlamentsgruppen
führen muß.




Der Wahlkampf in Österreich

is Ministerpräsident Körber vor der tschechischen Obstruktion die
Segel strich und den Reichsrat auflöste, wußte niemand, warum er
die nach dein Zerfall der slawisch-feudal-klerikalen Rechten mit großer
Mühe zustande gebrachte Arbeitsmajorität kampflos preisgegeben habe,
und worauf er die Hoffnung stütze, durch Neuwahlen ein arbeits¬
fähigeres Parlament zu erreichen, Hat er damals, wie man an¬
nehmen mußte, einen geheimen Plan gehabt, so kann sich bis jetzt noch niemand
seiner Enthüllung erfreuen oder rühmen. Sollte er aber den Tschechen nur für das
Versprechen, nach der Neuwahl die Obstruktion auszugeben, den sollen Preis der
Auflösung gezahlt haben, der die Tschechen zu Siegern zu machen scheint, so hat
er alle Ursache, seine Vertrauensseligkeit, um nicht zu sagen Leichtgläubigkeit, bitter
zu bereuen. Denn trotz der schweren Bedenken, die in den denkenden Kreisen des
tschechischen Volks über die Zweckmäßigkeit der jnngtschechischcn Taktik im Reichs¬
rate aufgestiegen und schon sehr laut geäußert worden sind, scheint die politische
Leidenschaft noch immer bei der Forderung zu beharren, die stnntsrechtlichen und
nationalen Ansprüche dnrch Fortsetzung der Obstruktion zu erzwingen. Das deut¬
lichste Anzeichen hierfür ist der Entschluß des bisherige» Obmanns des Jnng-
tschechenklnbs Dr, Engel, kein Mandat mehr anzunehmen. Er hatte sich auch früher
nnr der vbstruktionslnstigen Mehrheit seiner Klnbgenossen gefügt, sieht aber nun,
daß er auch bei der neuen Tagung mit seiner gemäßigter« Anschcinnng nicht durch-
dringen wird. Die Möglichkeit, im Sinne einer solchen zu handeln, haben sich
allerdings sust alle Kandidaten vorsichtigerweise offen gelassen, und von hervor¬
ragenden Persönlichkeiten unter ihnen ist es sehr entschieden hervorgehoben worden,
daß es die größte Unklugheit wäre, den künftigen Abgeordneten von vornherein eine
bestimmte parlamentarische Taktik vorschreiben zu wollen. Das bietet aber weder
dem Ministerium noch den Freunden der bestehenden Verfassung die Gewähr einer
ungestörten Thätigkeit der Volksvertretung,

Ministerpräsident Körber hatte die Hoffnung gehegt, wenigstens den Jndustriellen-
tag, als die Vertretung eines Standes, der zuerst von dem Daniederliegen der
wirtschaftlichen Verhältnisse betroffen wird, zu einer feierlichen Verurteilung der
Obstruktion zu bestimmen. Aber auch in dieser zwar national gemischten, aber doch
vorwiegend deutschen Gesellschaft von Männern des Erwerbslebens war das Gefühl
der Gemeinbürgschaft stark genug, die Berechtigung der letzten Waffe zur Abwehr
von Vergewaltigungen nicht von sich zu Weisen Seitdem hat das Kabinett sorg¬
fältig vermieden, in dem nun schon lebhaft entbrannten Wahlkampf irgendwie Farbe
zu bekennen.

Auch die Erkenntnis, daß ein in der bisherigen Weise zusammengesetzter Reichs¬
tag ebenso wenig eine fruchtbringende Thätigkeit erwarten lasse, wie sein Vorgänger,
hat die Parteien nicht dazu vermocht, von ihren alten Schlagworten abzulassen.
Allerdings hat sich aber in manchen Wählerkreisen ein Umschwung der Meinungen
vollzogen, der zu fühlbaren Verschiebungen im Besitzstande der Parlamentsgruppen
führen muß.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/43>, abgerufen am 15.05.2024.