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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Professorentums, die ähnlich lauten. Es ist die Kehrseite der glänzenden
Leistungen der Fachmänner, daß sie das Recht in Allspruch nehme", allein über
ihre Fachangelegcnheite" zu urteilen. Wo es sich min, wie bei der Erziehung,
um ein allgemeines Interesse umfassendster Art handelt, kommt leicht die All¬
gemeinheit dabei zu kurz. Der Kampf der Nealschulmnnner und der Philologen
"in die Reform des Mittelschulunterrichts in Deutschland zeigt die widerlichsten
Formen des Streits um Zunftgewohnheiten und Zuuftvorrcchte, wobei die
Jugend, die Meuscheu überhaupt, auf die es allem ankommt, über Sachen und
Vorstellungen vergesse" werde". Die große Osse"kunsten, in der in den Ver¬
einigten Staaten von Anfang an alle Erziehungs- und Vildungsfragen ver¬
handelt werden und wurden, ist ein ganz bezeichnender und wichtiger Zug im
transatlantischen Lebe".

Ich höre de" deutsche" Gelehrte" ihr Spezialisteiltum vorrücke". Gewiß
lst nicht jeder el" Entdecker, aber darum auch noch kein Handwerker. Es giebt
auch eine Große der Arbeit im kleinen. Idee" fruchtbar zu machen, gelingt
nur der emsigen Arbeit vieler. Der Engländer Sorby ist der Entdecker der
umwälzenden Methode der Untersuchung dünngeschliffner Gesteinsplättchen mit
dem Mikroskop. Aber nicht in England hat diese Methode ihre Anwendung
gesunde". Die Gesteine der ganzen Erde machen ihre Wege durch die deutsche"
Petrographischeu Institute, und ans diesen erhalten England, Amerika, Indien,
Rußland die Kunde von der Zusammensetzung der Gesteine ihres Bodens. In der
Botanik und in der Zoologie ist trotz genialer Einzelner, wie Hooker und Darwin,
die Abhängigkeit von Deutschland so groß, daß z. B. in der Entwicklungsgeschichte
verwickelte deutsche Wortbildungen wie Viudegewebszelle, Randschlier u. dergl.
ur die englischen Texte herübergenommen werden. Julius Suess ist fast noch
mehr der Vater der neuern englischen und amerikanischen Botanik als der
deutschen. So ist es so ziemlich in allen Teillvissenschnften. Ich höre, daß sich
die Amerikaner jetzt mit mehr Fleiß und Hingebung der gründlichen Sonder¬
und Einzclnrbeit widmen als die Engländer und im Begriff sind, ihre Vettern
besonders in den Natnrlvissenschaften und den philologischen Fächern in den
Schatte" zu stellen. Leider find aber unsre jungen Amerikaner nicht immer stark
lMug, den Wettlauf mit deutschen Strebensgeuossen auf die Dauer durchführe"
zu können. Manche von ihnen Wechsel" bei ihrem Aufenthalt in Europa regel¬
mäßig zwischen dein Hörsaal und der Kaltwasserheilanstalt ab. Andern fehlt
der Antrieb, der den deutschen Privatdozenten die Überzeugung erteilt, daß nur
Leistungen ihnen zu einer Professur verhelfen werden; in Amerika glaubt man,
diese Einrichtung würde die Universitäten den Besitzenden in die Hand geben.
Seltsam; während man sonst drüben überall das Heil nur vom freien Spiel
der Kräfte erwartet, hemmt man es gerade da, wo es, wie Deutschland zeigt,
treffliche Früchte bringt.

In einer von den Dresdner Fremdenpensionen, wo man sicher ist, dem
halben europareisendeu Amerika zu begegnen, traf ich kurz nach diesen Ge¬
sprächen mit einem Geschichtsprofessor einer nicht u"bedeute"de" amerikanischen


Professorentums, die ähnlich lauten. Es ist die Kehrseite der glänzenden
Leistungen der Fachmänner, daß sie das Recht in Allspruch nehme», allein über
ihre Fachangelegcnheite» zu urteilen. Wo es sich min, wie bei der Erziehung,
um ein allgemeines Interesse umfassendster Art handelt, kommt leicht die All¬
gemeinheit dabei zu kurz. Der Kampf der Nealschulmnnner und der Philologen
»in die Reform des Mittelschulunterrichts in Deutschland zeigt die widerlichsten
Formen des Streits um Zunftgewohnheiten und Zuuftvorrcchte, wobei die
Jugend, die Meuscheu überhaupt, auf die es allem ankommt, über Sachen und
Vorstellungen vergesse» werde». Die große Osse»kunsten, in der in den Ver¬
einigten Staaten von Anfang an alle Erziehungs- und Vildungsfragen ver¬
handelt werden und wurden, ist ein ganz bezeichnender und wichtiger Zug im
transatlantischen Lebe».

Ich höre de» deutsche» Gelehrte» ihr Spezialisteiltum vorrücke». Gewiß
lst nicht jeder el» Entdecker, aber darum auch noch kein Handwerker. Es giebt
auch eine Große der Arbeit im kleinen. Idee» fruchtbar zu machen, gelingt
nur der emsigen Arbeit vieler. Der Engländer Sorby ist der Entdecker der
umwälzenden Methode der Untersuchung dünngeschliffner Gesteinsplättchen mit
dem Mikroskop. Aber nicht in England hat diese Methode ihre Anwendung
gesunde». Die Gesteine der ganzen Erde machen ihre Wege durch die deutsche»
Petrographischeu Institute, und ans diesen erhalten England, Amerika, Indien,
Rußland die Kunde von der Zusammensetzung der Gesteine ihres Bodens. In der
Botanik und in der Zoologie ist trotz genialer Einzelner, wie Hooker und Darwin,
die Abhängigkeit von Deutschland so groß, daß z. B. in der Entwicklungsgeschichte
verwickelte deutsche Wortbildungen wie Viudegewebszelle, Randschlier u. dergl.
ur die englischen Texte herübergenommen werden. Julius Suess ist fast noch
mehr der Vater der neuern englischen und amerikanischen Botanik als der
deutschen. So ist es so ziemlich in allen Teillvissenschnften. Ich höre, daß sich
die Amerikaner jetzt mit mehr Fleiß und Hingebung der gründlichen Sonder¬
und Einzclnrbeit widmen als die Engländer und im Begriff sind, ihre Vettern
besonders in den Natnrlvissenschaften und den philologischen Fächern in den
Schatte» zu stellen. Leider find aber unsre jungen Amerikaner nicht immer stark
lMug, den Wettlauf mit deutschen Strebensgeuossen auf die Dauer durchführe»
zu können. Manche von ihnen Wechsel» bei ihrem Aufenthalt in Europa regel¬
mäßig zwischen dein Hörsaal und der Kaltwasserheilanstalt ab. Andern fehlt
der Antrieb, der den deutschen Privatdozenten die Überzeugung erteilt, daß nur
Leistungen ihnen zu einer Professur verhelfen werden; in Amerika glaubt man,
diese Einrichtung würde die Universitäten den Besitzenden in die Hand geben.
Seltsam; während man sonst drüben überall das Heil nur vom freien Spiel
der Kräfte erwartet, hemmt man es gerade da, wo es, wie Deutschland zeigt,
treffliche Früchte bringt.

In einer von den Dresdner Fremdenpensionen, wo man sicher ist, dem
halben europareisendeu Amerika zu begegnen, traf ich kurz nach diesen Ge¬
sprächen mit einem Geschichtsprofessor einer nicht u»bedeute»de» amerikanischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/615>, abgerufen am 16.06.2024.