Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Verminderung und verbilligung der Prozesse

Revision, also der Aburteilung durch das Reichsgericht zugänglich ist; und der
Fiskus, der reichste Manu im Lande, der doch sonst nicht prozeßsüchtig ist, hat
mit denen, die auf Grund des Armenrechts prozessieren, das gemein, daß er
in Prozessen um Stempel und Steuern unter allen Umständen alle drei Nechts-
züge durchmacht, also immer das Reichsgericht anruft. So muß denn der
Mann, der das Unglück hat, mit dem Fiskus wegen derartiger Ansprüche in
Streit zu kommen, die Gefahr auf sich nehmen, immer die Kosten dreier Rechts¬
züge zu tragen, und das ist geeignet, den Privaten vom Widerstände gegen
Ansprüche des Fiskus abzuschrecken, Und überdies beruhigt sich der Fiskus
durchaus nicht dabei, daß in einem Fall das Reichsgericht zu seinen Ungunsten
entschieden hat; dieselbe Stempel- und Stenerfrage wird vielmehr immer von
neuem zum Austrag gebracht; erst der ständigen Rechtsprechung des Reichs¬
gerichts beugt sich der Fiskus, Gegen dieses Verfahren ist vom fiskalischen
Standpunkt gewiß nichts zu erinnern; da entsteht aber doch die Frage, warum
derartige Stempel- und Steuerprozesse nicht gleich im ersten Rechtszuge von
einem Senat des Reichsgerichts entschieden werden, wie ja doch ein Senat des
Reichsgerichts für Hochverrat und Landesverrat gegen Kaiser und Reich in
erster und letzter Instanz zuständig ist. So würde der fiskalische Anspruch in
einem Termin mit geringen Kosten erledigt, und diese Begünstigung ist dem
Manne, der mit dem Fiskus in derartigen Streit zu geraten das Unglück hat,
wohl zu gönnen, weil von ihm dieser Streit niemals verschuldet ist. Er wird
verursacht durch Zweifel, die sich aus der Auslegung des Gesetzes ergeben,
und diese Zweifel werden bei Stempel- und Steuergesctzen vom Fiskus im
fiskalischen Interesse aufgerollt. Es giebt ja noch andre Prozesse, in denen
von den Beteiligten mit Rücksicht auf die Wichtigkeit des Streitgegenstandes,
also grundsätzlich die Revision an das Reichsgericht eingelegt wird; bei keiner
Art der Prozesse ist das aber in dem Maße und so nusnahmlvs der Fall
wie bei den vorgedachten fiskalischen Stempel- und Steuerprozesseu, Entschlösse
man sich, für diese das Reichsgericht in erster und letzter Instanz als zuständig
zu erklären, so würde hierdurch eine wesentliche Verbilligung und Beschleunigung
der Rechtspflege erreicht. Beachtenswerte Gründe steh" dem nicht entgegen,
und für das Ansehen der Landgerichte und OberlaudeSgerichtc ist der gegen-
wärtige Rechtszustand, wonach diese Gerichte nur eine fiskalische "Prvbeinstanz"
darstellen, keineswegs förderlich.

In einer ähnlich unglücklichen Lage wie der Mann, der mit dem Fiskus
in einen Stempel- oder Steuerprvzeß verwickelt wird, ist auch der, der mit
dem Verhinderer wegen Auszahlung der Versicherungssumme in Streit gerät.
Der Verhinderer ist ausnahmlos eine Anstalt, ein Verein, gewöhnlich eine
Aktiengesellschaft, und die Versicherung erfolgt nicht auf Grund der gesetzlichen
Bestimmungen, auch uicht auf Grund jedesmaliger vertragsmäßiger Festsetzung,
sondern auf Grund der ein für allemal feststehenden Satzungen der Gesellschaft.
Diese enthalte" im wesentlichen bei alle" Gesellschaften dieselben Grundsätze,
die ans eine einseitige Bevorzugung der Interessen der Gesellschaft zugeschnitten


Verminderung und verbilligung der Prozesse

Revision, also der Aburteilung durch das Reichsgericht zugänglich ist; und der
Fiskus, der reichste Manu im Lande, der doch sonst nicht prozeßsüchtig ist, hat
mit denen, die auf Grund des Armenrechts prozessieren, das gemein, daß er
in Prozessen um Stempel und Steuern unter allen Umständen alle drei Nechts-
züge durchmacht, also immer das Reichsgericht anruft. So muß denn der
Mann, der das Unglück hat, mit dem Fiskus wegen derartiger Ansprüche in
Streit zu kommen, die Gefahr auf sich nehmen, immer die Kosten dreier Rechts¬
züge zu tragen, und das ist geeignet, den Privaten vom Widerstände gegen
Ansprüche des Fiskus abzuschrecken, Und überdies beruhigt sich der Fiskus
durchaus nicht dabei, daß in einem Fall das Reichsgericht zu seinen Ungunsten
entschieden hat; dieselbe Stempel- und Stenerfrage wird vielmehr immer von
neuem zum Austrag gebracht; erst der ständigen Rechtsprechung des Reichs¬
gerichts beugt sich der Fiskus, Gegen dieses Verfahren ist vom fiskalischen
Standpunkt gewiß nichts zu erinnern; da entsteht aber doch die Frage, warum
derartige Stempel- und Steuerprozesse nicht gleich im ersten Rechtszuge von
einem Senat des Reichsgerichts entschieden werden, wie ja doch ein Senat des
Reichsgerichts für Hochverrat und Landesverrat gegen Kaiser und Reich in
erster und letzter Instanz zuständig ist. So würde der fiskalische Anspruch in
einem Termin mit geringen Kosten erledigt, und diese Begünstigung ist dem
Manne, der mit dem Fiskus in derartigen Streit zu geraten das Unglück hat,
wohl zu gönnen, weil von ihm dieser Streit niemals verschuldet ist. Er wird
verursacht durch Zweifel, die sich aus der Auslegung des Gesetzes ergeben,
und diese Zweifel werden bei Stempel- und Steuergesctzen vom Fiskus im
fiskalischen Interesse aufgerollt. Es giebt ja noch andre Prozesse, in denen
von den Beteiligten mit Rücksicht auf die Wichtigkeit des Streitgegenstandes,
also grundsätzlich die Revision an das Reichsgericht eingelegt wird; bei keiner
Art der Prozesse ist das aber in dem Maße und so nusnahmlvs der Fall
wie bei den vorgedachten fiskalischen Stempel- und Steuerprozesseu, Entschlösse
man sich, für diese das Reichsgericht in erster und letzter Instanz als zuständig
zu erklären, so würde hierdurch eine wesentliche Verbilligung und Beschleunigung
der Rechtspflege erreicht. Beachtenswerte Gründe steh» dem nicht entgegen,
und für das Ansehen der Landgerichte und OberlaudeSgerichtc ist der gegen-
wärtige Rechtszustand, wonach diese Gerichte nur eine fiskalische „Prvbeinstanz"
darstellen, keineswegs förderlich.

In einer ähnlich unglücklichen Lage wie der Mann, der mit dem Fiskus
in einen Stempel- oder Steuerprvzeß verwickelt wird, ist auch der, der mit
dem Verhinderer wegen Auszahlung der Versicherungssumme in Streit gerät.
Der Verhinderer ist ausnahmlos eine Anstalt, ein Verein, gewöhnlich eine
Aktiengesellschaft, und die Versicherung erfolgt nicht auf Grund der gesetzlichen
Bestimmungen, auch uicht auf Grund jedesmaliger vertragsmäßiger Festsetzung,
sondern auf Grund der ein für allemal feststehenden Satzungen der Gesellschaft.
Diese enthalte» im wesentlichen bei alle» Gesellschaften dieselben Grundsätze,
die ans eine einseitige Bevorzugung der Interessen der Gesellschaft zugeschnitten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235406"/>
          <fw type="header" place="top"> Verminderung und verbilligung der Prozesse</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1031" prev="#ID_1030"> Revision, also der Aburteilung durch das Reichsgericht zugänglich ist; und der<lb/>
Fiskus, der reichste Manu im Lande, der doch sonst nicht prozeßsüchtig ist, hat<lb/>
mit denen, die auf Grund des Armenrechts prozessieren, das gemein, daß er<lb/>
in Prozessen um Stempel und Steuern unter allen Umständen alle drei Nechts-<lb/>
züge durchmacht, also immer das Reichsgericht anruft. So muß denn der<lb/>
Mann, der das Unglück hat, mit dem Fiskus wegen derartiger Ansprüche in<lb/>
Streit zu kommen, die Gefahr auf sich nehmen, immer die Kosten dreier Rechts¬<lb/>
züge zu tragen, und das ist geeignet, den Privaten vom Widerstände gegen<lb/>
Ansprüche des Fiskus abzuschrecken, Und überdies beruhigt sich der Fiskus<lb/>
durchaus nicht dabei, daß in einem Fall das Reichsgericht zu seinen Ungunsten<lb/>
entschieden hat; dieselbe Stempel- und Stenerfrage wird vielmehr immer von<lb/>
neuem zum Austrag gebracht; erst der ständigen Rechtsprechung des Reichs¬<lb/>
gerichts beugt sich der Fiskus, Gegen dieses Verfahren ist vom fiskalischen<lb/>
Standpunkt gewiß nichts zu erinnern; da entsteht aber doch die Frage, warum<lb/>
derartige Stempel- und Steuerprozesse nicht gleich im ersten Rechtszuge von<lb/>
einem Senat des Reichsgerichts entschieden werden, wie ja doch ein Senat des<lb/>
Reichsgerichts für Hochverrat und Landesverrat gegen Kaiser und Reich in<lb/>
erster und letzter Instanz zuständig ist. So würde der fiskalische Anspruch in<lb/>
einem Termin mit geringen Kosten erledigt, und diese Begünstigung ist dem<lb/>
Manne, der mit dem Fiskus in derartigen Streit zu geraten das Unglück hat,<lb/>
wohl zu gönnen, weil von ihm dieser Streit niemals verschuldet ist. Er wird<lb/>
verursacht durch Zweifel, die sich aus der Auslegung des Gesetzes ergeben,<lb/>
und diese Zweifel werden bei Stempel- und Steuergesctzen vom Fiskus im<lb/>
fiskalischen Interesse aufgerollt. Es giebt ja noch andre Prozesse, in denen<lb/>
von den Beteiligten mit Rücksicht auf die Wichtigkeit des Streitgegenstandes,<lb/>
also grundsätzlich die Revision an das Reichsgericht eingelegt wird; bei keiner<lb/>
Art der Prozesse ist das aber in dem Maße und so nusnahmlvs der Fall<lb/>
wie bei den vorgedachten fiskalischen Stempel- und Steuerprozesseu, Entschlösse<lb/>
man sich, für diese das Reichsgericht in erster und letzter Instanz als zuständig<lb/>
zu erklären, so würde hierdurch eine wesentliche Verbilligung und Beschleunigung<lb/>
der Rechtspflege erreicht. Beachtenswerte Gründe steh» dem nicht entgegen,<lb/>
und für das Ansehen der Landgerichte und OberlaudeSgerichtc ist der gegen-<lb/>
wärtige Rechtszustand, wonach diese Gerichte nur eine fiskalische &#x201E;Prvbeinstanz"<lb/>
darstellen, keineswegs förderlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1032" next="#ID_1033"> In einer ähnlich unglücklichen Lage wie der Mann, der mit dem Fiskus<lb/>
in einen Stempel- oder Steuerprvzeß verwickelt wird, ist auch der, der mit<lb/>
dem Verhinderer wegen Auszahlung der Versicherungssumme in Streit gerät.<lb/>
Der Verhinderer ist ausnahmlos eine Anstalt, ein Verein, gewöhnlich eine<lb/>
Aktiengesellschaft, und die Versicherung erfolgt nicht auf Grund der gesetzlichen<lb/>
Bestimmungen, auch uicht auf Grund jedesmaliger vertragsmäßiger Festsetzung,<lb/>
sondern auf Grund der ein für allemal feststehenden Satzungen der Gesellschaft.<lb/>
Diese enthalte» im wesentlichen bei alle» Gesellschaften dieselben Grundsätze,<lb/>
die ans eine einseitige Bevorzugung der Interessen der Gesellschaft zugeschnitten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0234] Verminderung und verbilligung der Prozesse Revision, also der Aburteilung durch das Reichsgericht zugänglich ist; und der Fiskus, der reichste Manu im Lande, der doch sonst nicht prozeßsüchtig ist, hat mit denen, die auf Grund des Armenrechts prozessieren, das gemein, daß er in Prozessen um Stempel und Steuern unter allen Umständen alle drei Nechts- züge durchmacht, also immer das Reichsgericht anruft. So muß denn der Mann, der das Unglück hat, mit dem Fiskus wegen derartiger Ansprüche in Streit zu kommen, die Gefahr auf sich nehmen, immer die Kosten dreier Rechts¬ züge zu tragen, und das ist geeignet, den Privaten vom Widerstände gegen Ansprüche des Fiskus abzuschrecken, Und überdies beruhigt sich der Fiskus durchaus nicht dabei, daß in einem Fall das Reichsgericht zu seinen Ungunsten entschieden hat; dieselbe Stempel- und Stenerfrage wird vielmehr immer von neuem zum Austrag gebracht; erst der ständigen Rechtsprechung des Reichs¬ gerichts beugt sich der Fiskus, Gegen dieses Verfahren ist vom fiskalischen Standpunkt gewiß nichts zu erinnern; da entsteht aber doch die Frage, warum derartige Stempel- und Steuerprozesse nicht gleich im ersten Rechtszuge von einem Senat des Reichsgerichts entschieden werden, wie ja doch ein Senat des Reichsgerichts für Hochverrat und Landesverrat gegen Kaiser und Reich in erster und letzter Instanz zuständig ist. So würde der fiskalische Anspruch in einem Termin mit geringen Kosten erledigt, und diese Begünstigung ist dem Manne, der mit dem Fiskus in derartigen Streit zu geraten das Unglück hat, wohl zu gönnen, weil von ihm dieser Streit niemals verschuldet ist. Er wird verursacht durch Zweifel, die sich aus der Auslegung des Gesetzes ergeben, und diese Zweifel werden bei Stempel- und Steuergesctzen vom Fiskus im fiskalischen Interesse aufgerollt. Es giebt ja noch andre Prozesse, in denen von den Beteiligten mit Rücksicht auf die Wichtigkeit des Streitgegenstandes, also grundsätzlich die Revision an das Reichsgericht eingelegt wird; bei keiner Art der Prozesse ist das aber in dem Maße und so nusnahmlvs der Fall wie bei den vorgedachten fiskalischen Stempel- und Steuerprozesseu, Entschlösse man sich, für diese das Reichsgericht in erster und letzter Instanz als zuständig zu erklären, so würde hierdurch eine wesentliche Verbilligung und Beschleunigung der Rechtspflege erreicht. Beachtenswerte Gründe steh» dem nicht entgegen, und für das Ansehen der Landgerichte und OberlaudeSgerichtc ist der gegen- wärtige Rechtszustand, wonach diese Gerichte nur eine fiskalische „Prvbeinstanz" darstellen, keineswegs förderlich. In einer ähnlich unglücklichen Lage wie der Mann, der mit dem Fiskus in einen Stempel- oder Steuerprvzeß verwickelt wird, ist auch der, der mit dem Verhinderer wegen Auszahlung der Versicherungssumme in Streit gerät. Der Verhinderer ist ausnahmlos eine Anstalt, ein Verein, gewöhnlich eine Aktiengesellschaft, und die Versicherung erfolgt nicht auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen, auch uicht auf Grund jedesmaliger vertragsmäßiger Festsetzung, sondern auf Grund der ein für allemal feststehenden Satzungen der Gesellschaft. Diese enthalte» im wesentlichen bei alle» Gesellschaften dieselben Grundsätze, die ans eine einseitige Bevorzugung der Interessen der Gesellschaft zugeschnitten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/234
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/234>, abgerufen am 23.05.2024.