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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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vermiiidenmg und Verbilligimg der Prozesse

diesen hervorgerufnen Notlage sind, durch die ihnen die Rechtsverfolgung er¬
schwert wird.

Daß der Gesetzgeber durch günz einfache und naheliegende Vorschriften
viel zur Verminderung und Berbilligung der Prozesse, also zu einer zweck¬
mäßige!, Rechtspflege beitragen kaun, zeigt sich an einzelnen Bestimmungen
des Bürgerlichen Gesetzbuchs, namentlich aber des Reichsgesetzes über die frei¬
willige Gerichtsbarkeit. So mußten nach früheren gemeinem Recht Miterben,
die sich über den Nachlaß nicht in Güte auseinander setzen konnten, im ordent¬
lichen Rechtswege auf Teilung des Nachlasses gegen einander klagen. Die
Auseinandersetzung erfolgte also dnrch Urteil mit alle" Förmlichkeiten und
Weitläufigkeiten unsers Zivilprozesses; dagegen hat das eben gedachte Reichs¬
gesetz ein Verfahren eingeführt, worin der Nachlaßrichtcr, also das Amtsgericht,
auf Antrag eines Miterben das zur Auseinandersetzung erforderliche im Wege
der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch eine die Interessen sämtlicher Beteiligten
berücksichtigende, schlichtende und vermittelnde Thätigkeit besorgen muß. Ein
solches Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bestand allerdings auch in
Preußen; wofern aber ein Miterbe in diesem Verfahren ausblieb, mußte seine
Zustimmung zu deu Vereinbnrnngen der Miterben nach preußischem Recht
durch Klage im ordentliche" Rechtswege ergänzt werden. Das neue Ncichs-
gcsetz läßt dagegen die Zustimmung des ausbleibenden durch einfache Verfügung
des Nachlaßrichters ergänzen, erspart also den nichtsänmigcn Erben die Um¬
ständlichkeiten und Kosten eines Prozesses. So mußte nach früheren Recht das
Kind, dem die Eltern die Einwilligung zur Eheschließung oder die Gewährung
des Unterhalts verweigerten, den nmstündlichen und teuern Weg der Klage vor
dem ordentlichen Gericht beschreiben, während das Bürgerliche Gesetzbuch die
Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung dem Vormundschaftsgericht,
also dem Amtsgericht, überträgt. So mußte nach früheren Recht ein Gesell¬
schafter, der die Bestellung oder Abberufung von Liquidatoren gegen den
Willen seiner Mitgesellschafter bei Gericht beantragte, dieserhalb gegen sie Klage
beim ordentlichen Gericht erheben. Ebenso mußte der Kommanditist oder stille
Gesellschafter auf Mitteilung einer Zwischeubilcmz oder sonstiger Aufklärungen
gegen den persönlich haftenden Gesellschafter oder den Inhaber des Handels¬
geschäfts beim ordentlichen Gericht klagen, und derselbe Weg war sogar ge¬
boten, wenn die frühern Gesellschafter sich nicht darüber einigen konnten, in
welcher Weise die Aufbewahrung der Handelsbücher nach Auflösung der Ge¬
sellschaft erfolgen sollte.

Dagegen überträgt das Reichsgesetz über freiwillige Gerichtsbarkeit die
Entscheidung aller derartigen Streitigkeiten einfach dem Negistergericht, also
dem Amtsgericht. Das Verfahren des Vormnndschaftsgerichts und des Register¬
gerichts in den gedachten Fällen erfolgt als Verfahren der freiwilligen Gerichts¬
barkeit ganz nach Bedürfnis und Lage des Einzelfalls. Die Parteien können
mündlich oder auch ohne jeden Termin bloß schriftlich verhört werden; soweit
Termine stattfinden, können zu diesen zugleich die Zeugen geladen werden;


vermiiidenmg und Verbilligimg der Prozesse

diesen hervorgerufnen Notlage sind, durch die ihnen die Rechtsverfolgung er¬
schwert wird.

Daß der Gesetzgeber durch günz einfache und naheliegende Vorschriften
viel zur Verminderung und Berbilligung der Prozesse, also zu einer zweck¬
mäßige!, Rechtspflege beitragen kaun, zeigt sich an einzelnen Bestimmungen
des Bürgerlichen Gesetzbuchs, namentlich aber des Reichsgesetzes über die frei¬
willige Gerichtsbarkeit. So mußten nach früheren gemeinem Recht Miterben,
die sich über den Nachlaß nicht in Güte auseinander setzen konnten, im ordent¬
lichen Rechtswege auf Teilung des Nachlasses gegen einander klagen. Die
Auseinandersetzung erfolgte also dnrch Urteil mit alle» Förmlichkeiten und
Weitläufigkeiten unsers Zivilprozesses; dagegen hat das eben gedachte Reichs¬
gesetz ein Verfahren eingeführt, worin der Nachlaßrichtcr, also das Amtsgericht,
auf Antrag eines Miterben das zur Auseinandersetzung erforderliche im Wege
der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch eine die Interessen sämtlicher Beteiligten
berücksichtigende, schlichtende und vermittelnde Thätigkeit besorgen muß. Ein
solches Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bestand allerdings auch in
Preußen; wofern aber ein Miterbe in diesem Verfahren ausblieb, mußte seine
Zustimmung zu deu Vereinbnrnngen der Miterben nach preußischem Recht
durch Klage im ordentliche» Rechtswege ergänzt werden. Das neue Ncichs-
gcsetz läßt dagegen die Zustimmung des ausbleibenden durch einfache Verfügung
des Nachlaßrichters ergänzen, erspart also den nichtsänmigcn Erben die Um¬
ständlichkeiten und Kosten eines Prozesses. So mußte nach früheren Recht das
Kind, dem die Eltern die Einwilligung zur Eheschließung oder die Gewährung
des Unterhalts verweigerten, den nmstündlichen und teuern Weg der Klage vor
dem ordentlichen Gericht beschreiben, während das Bürgerliche Gesetzbuch die
Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung dem Vormundschaftsgericht,
also dem Amtsgericht, überträgt. So mußte nach früheren Recht ein Gesell¬
schafter, der die Bestellung oder Abberufung von Liquidatoren gegen den
Willen seiner Mitgesellschafter bei Gericht beantragte, dieserhalb gegen sie Klage
beim ordentlichen Gericht erheben. Ebenso mußte der Kommanditist oder stille
Gesellschafter auf Mitteilung einer Zwischeubilcmz oder sonstiger Aufklärungen
gegen den persönlich haftenden Gesellschafter oder den Inhaber des Handels¬
geschäfts beim ordentlichen Gericht klagen, und derselbe Weg war sogar ge¬
boten, wenn die frühern Gesellschafter sich nicht darüber einigen konnten, in
welcher Weise die Aufbewahrung der Handelsbücher nach Auflösung der Ge¬
sellschaft erfolgen sollte.

Dagegen überträgt das Reichsgesetz über freiwillige Gerichtsbarkeit die
Entscheidung aller derartigen Streitigkeiten einfach dem Negistergericht, also
dem Amtsgericht. Das Verfahren des Vormnndschaftsgerichts und des Register¬
gerichts in den gedachten Fällen erfolgt als Verfahren der freiwilligen Gerichts¬
barkeit ganz nach Bedürfnis und Lage des Einzelfalls. Die Parteien können
mündlich oder auch ohne jeden Termin bloß schriftlich verhört werden; soweit
Termine stattfinden, können zu diesen zugleich die Zeugen geladen werden;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/236>, abgerufen am 23.05.2024.