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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Stendhal

das macht ihr Studium so anziehend, und ich begreife, daß Comelius und die
andern deutschen Maler in Rom sie zum Vorbild genommen haben." Diese
Schätzung der Frührenaissance, die hente Gemeingut ist, hatten damals nur
wenige, wie Rumohr, aber der war bloß gelehrter Forscher, während bei
Stendhal alles aktuell ist. In Bezug auf Raffael, den er über alle andern
stellt, und Correggio, den er mit Mozart vergleicht, hat er die Brüder Schlegel
zu Vorgängern, aber seine Beobachtungen dringen viel tiefer. Die Magie der
Fernen, die die feinsten Kräfte der Phantasie lockt und anzieht, ist für das
Auge die Hauptursache der Überlegenheit der Malerei über die Skulptur; da¬
durch nähert sie sich der Musik und veranlaßt die Phantasie, ihre Bilder fertig
zu machen. Wenn uns beim ersten Anblick die Figuren des Vordergrunds
mehr auffallen, so sind es doch die Gegenstände, deren Einzelheiten durch die
Luft halb versteckt sind, deren wir uns später mit den: meisten Entzücken er¬
inner"; sie haben in unsern Gedanken eine liberirdische Färbung bekommen. Unsre
Seele glaubt sich in edle Fernen entrückt und dort das Glück zu finden, das
uns in der Wirklichkeit ausweicht. Aus dieser Empfindung hat Correggio
seine Schönheiten geschöpft, was sich nicht von Raffael sagen läßt. Correggio
hat das nicht mit der Zeichnung zu erreichen versucht, sei es, weil die Zeich¬
nung weniger eigentliche Malerei ist als das Helldunkel, indem die snnftern.
leisem Leidenschaften nicht durch Muskclbewcgnngen sichtbar werden, sei es,
weil er, an der Brust der zauberhaften Lombardei aufgewachsen, erst spät die
römischen Statuen keimen lernte. Seine Kunst war es, sogar die Bordcr-
grnndfignren wie in der Ferne zu male". Von zwanzig Personen, die von
seine" Gestalten entzückt werden, ist vielleicht nicht eine, die sie sieht, und nicht
zwei, die sich ihrer auf ein und dieselbe Weise erinnern. Das ist Musik, das
ist keine Plastik. Raffael, den Stendhal übrigens auf das höchste bewundert,
steht für ihn in der Behandlung der Farbe und des Lichts nicht nur tief
"meer Correggio, sondern sogar unter Guercino. Lionnrdo aber sei in keinem
Fache der größte, weil er sich nicht habe entschließen können, einem einzigen
sein ganzes Leben zu widmen.

Zu der Plastik hat Stendhal kein so nahes Verhältnis wie zur Malerei.
Die griechische Kunst stößt ihn beinahe ab, weil sie die neuern Künstler nur
verführen könne, wie er an vielerlei Beispielen zu zeigen sucht. An den Bild¬
hauern der italienischen Frührenaissance, deren Herbheit erst in unsrer Zeit
verstanden worden ist, geht er vorüber. Sie werden für ihn wie für die
meisten andern verdeckt durch den eine,: Michelangelo, den er nach Gebühr
würdigt, und von dem ans er den Gang der Plastik weiter verfolgt. Bernini
und den ganzen französischen Barock findet er abscheulich, und Canovn erscheint
UM wie vielen andern als ein Erlöser, aber vor Berninis widerlichsten Mach¬
et, der heiligen Therese, nach deren Brust ein Engel mit dem Pfeil der
inllgc" zielt, verzeiht er dem Künstler alles Unrecht, was er sonst ge-
)"n: kein griechischer Meißel hätte so etwas von Leben und Natur hervor-
Sebracht. Er lächelt über den erklärenden Mönch, der die Annäherung der


Stendhal

das macht ihr Studium so anziehend, und ich begreife, daß Comelius und die
andern deutschen Maler in Rom sie zum Vorbild genommen haben." Diese
Schätzung der Frührenaissance, die hente Gemeingut ist, hatten damals nur
wenige, wie Rumohr, aber der war bloß gelehrter Forscher, während bei
Stendhal alles aktuell ist. In Bezug auf Raffael, den er über alle andern
stellt, und Correggio, den er mit Mozart vergleicht, hat er die Brüder Schlegel
zu Vorgängern, aber seine Beobachtungen dringen viel tiefer. Die Magie der
Fernen, die die feinsten Kräfte der Phantasie lockt und anzieht, ist für das
Auge die Hauptursache der Überlegenheit der Malerei über die Skulptur; da¬
durch nähert sie sich der Musik und veranlaßt die Phantasie, ihre Bilder fertig
zu machen. Wenn uns beim ersten Anblick die Figuren des Vordergrunds
mehr auffallen, so sind es doch die Gegenstände, deren Einzelheiten durch die
Luft halb versteckt sind, deren wir uns später mit den: meisten Entzücken er¬
inner»; sie haben in unsern Gedanken eine liberirdische Färbung bekommen. Unsre
Seele glaubt sich in edle Fernen entrückt und dort das Glück zu finden, das
uns in der Wirklichkeit ausweicht. Aus dieser Empfindung hat Correggio
seine Schönheiten geschöpft, was sich nicht von Raffael sagen läßt. Correggio
hat das nicht mit der Zeichnung zu erreichen versucht, sei es, weil die Zeich¬
nung weniger eigentliche Malerei ist als das Helldunkel, indem die snnftern.
leisem Leidenschaften nicht durch Muskclbewcgnngen sichtbar werden, sei es,
weil er, an der Brust der zauberhaften Lombardei aufgewachsen, erst spät die
römischen Statuen keimen lernte. Seine Kunst war es, sogar die Bordcr-
grnndfignren wie in der Ferne zu male». Von zwanzig Personen, die von
seine» Gestalten entzückt werden, ist vielleicht nicht eine, die sie sieht, und nicht
zwei, die sich ihrer auf ein und dieselbe Weise erinnern. Das ist Musik, das
ist keine Plastik. Raffael, den Stendhal übrigens auf das höchste bewundert,
steht für ihn in der Behandlung der Farbe und des Lichts nicht nur tief
»meer Correggio, sondern sogar unter Guercino. Lionnrdo aber sei in keinem
Fache der größte, weil er sich nicht habe entschließen können, einem einzigen
sein ganzes Leben zu widmen.

Zu der Plastik hat Stendhal kein so nahes Verhältnis wie zur Malerei.
Die griechische Kunst stößt ihn beinahe ab, weil sie die neuern Künstler nur
verführen könne, wie er an vielerlei Beispielen zu zeigen sucht. An den Bild¬
hauern der italienischen Frührenaissance, deren Herbheit erst in unsrer Zeit
verstanden worden ist, geht er vorüber. Sie werden für ihn wie für die
meisten andern verdeckt durch den eine,: Michelangelo, den er nach Gebühr
würdigt, und von dem ans er den Gang der Plastik weiter verfolgt. Bernini
und den ganzen französischen Barock findet er abscheulich, und Canovn erscheint
UM wie vielen andern als ein Erlöser, aber vor Berninis widerlichsten Mach¬
et, der heiligen Therese, nach deren Brust ein Engel mit dem Pfeil der
inllgc» zielt, verzeiht er dem Künstler alles Unrecht, was er sonst ge-
)"n: kein griechischer Meißel hätte so etwas von Leben und Natur hervor-
Sebracht. Er lächelt über den erklärenden Mönch, der die Annäherung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/283>, abgerufen am 06.06.2024.