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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Der wildfang

Als Wir zum Speierer Thor hinausgetreten wnreu, hörte das Getümmel auf.
Auch die Glocke war verstunnut. Hinter uns lag die Stadt im Schatten eiuer
düstern Wolke, aber auf uns brannte die Sonne. Es war ein langer heißer Weg
durch die Weingärten. Ich sah, wie Valentin unsicher wurde; er stolperte und
wankte und ließ den Kopf sinken. Dn redete Kunigunde still auf thu ein. Ich trat
näher, um zu hören, was sie sagte: es waren die Worte des einuudueuuzigsten
Psalms.

Als wir an dem Galgenstein angelangt waren, hatte die Glocke wieder zu
läuten begonnen. Sie fielen einander "in den Hals und hielten sich lange um-
schlungen. Endlich rissen sie sich voneinander los.

Schau nicht zurück! bat er sie.

O, ewig, ewig! erwiderte Kunigunde.

Noch einmal Aug in Auge. Daun wandte" sie sich zu gleicher Zeit um. Er
stieg die Treppe hinnus, und sie ging, von Margarete begleitet, nach der Stadt
zurück.

Er stand auf dem Hochgericht, hielt die Hand über die Augen und schaute
ihr nach. Als sie hinter einer Hecke verschwunden war, und er sie nicht mehr sehen
konnte, zog er den Wams ans, hob ihn in die Höhe und rief: Ist der Manu da,
der mir seinen Wams geliehn hat? Er wartete eine Weile. Als keine Antwort
kam, warf er den Wams in die Menge hinunter und rief: Gebt ihn dem Mann
"ut sagt ihm meine" Dank!

Dann suchten seine Augen mich.

Als sie mich gefunden hatten, rief er: Herzbrnder! Grüße deu Meister und
deine Margarete! Grüße mein Weib! Grüße sein Grab!

Herzbruder! rief ich hinaus.

Valentin kniete jetzt nieder neben dem Pfarrer und hörte aus dessen Gebet.
Dann stand er auf und reichte dem Geistlichen und dem Henker die Hand. Seine
Augen grüßten mich noch einmal. Darauf kniete er nieder und legte den Kopf auf
den Block.

Der Henker ließ sein Schwert im Sonnenschein funkeln. Das Eisen war so
lauter und blank wie damals, als Kunigunde und Valentin es miteinander geputzt
hatten. Der Henker besah die Bilder auf der Breite des Schwertes, und mit lauter
Stimme las er die Geschrift:


Wenn ich das Schwert thu ausheben,
Dann schenke dir Gott das ewige Leben!

Amen! rief eine Stimme aus der Meuge.

Der Meister hob das Schwert hoch in beiden Händen -- ein Blitz zuckte her¬
unter -- ich schloß die Augen . . .




So erzählte der Ratsherr und Schwcrtfegcrmeister aus dem Bnrgweg zu Heidel¬
berg seinem Stubenherrn hoch oben auf dem Turmaltan der Heiliggeistkirche. Sie
saßen nebeneinander ans dem Bänkleiu, dem herunterrauschenden Neckar zugekehrt.
Das weiße Haar des alten Mannes und die dunkelblonden Locken des Jünglings
leuchteten im Sonnenschein. Die Schwalben flogen über Ihnen hin und her,
und von Viertelstunde zu Viertelstunde rasselte es im Uhrwerk und dröhnte der
Glockenschlag.

Johannes hatte seine Erzählung beendet. Jodokns schaute ihn an mit feuchte"
Augen und griff nach seiner Hand. Da aber der Alte seine Augen geschlossen hatte,


Der wildfang

Als Wir zum Speierer Thor hinausgetreten wnreu, hörte das Getümmel auf.
Auch die Glocke war verstunnut. Hinter uns lag die Stadt im Schatten eiuer
düstern Wolke, aber auf uns brannte die Sonne. Es war ein langer heißer Weg
durch die Weingärten. Ich sah, wie Valentin unsicher wurde; er stolperte und
wankte und ließ den Kopf sinken. Dn redete Kunigunde still auf thu ein. Ich trat
näher, um zu hören, was sie sagte: es waren die Worte des einuudueuuzigsten
Psalms.

Als wir an dem Galgenstein angelangt waren, hatte die Glocke wieder zu
läuten begonnen. Sie fielen einander »in den Hals und hielten sich lange um-
schlungen. Endlich rissen sie sich voneinander los.

Schau nicht zurück! bat er sie.

O, ewig, ewig! erwiderte Kunigunde.

Noch einmal Aug in Auge. Daun wandte» sie sich zu gleicher Zeit um. Er
stieg die Treppe hinnus, und sie ging, von Margarete begleitet, nach der Stadt
zurück.

Er stand auf dem Hochgericht, hielt die Hand über die Augen und schaute
ihr nach. Als sie hinter einer Hecke verschwunden war, und er sie nicht mehr sehen
konnte, zog er den Wams ans, hob ihn in die Höhe und rief: Ist der Manu da,
der mir seinen Wams geliehn hat? Er wartete eine Weile. Als keine Antwort
kam, warf er den Wams in die Menge hinunter und rief: Gebt ihn dem Mann
"ut sagt ihm meine» Dank!

Dann suchten seine Augen mich.

Als sie mich gefunden hatten, rief er: Herzbrnder! Grüße deu Meister und
deine Margarete! Grüße mein Weib! Grüße sein Grab!

Herzbruder! rief ich hinaus.

Valentin kniete jetzt nieder neben dem Pfarrer und hörte aus dessen Gebet.
Dann stand er auf und reichte dem Geistlichen und dem Henker die Hand. Seine
Augen grüßten mich noch einmal. Darauf kniete er nieder und legte den Kopf auf
den Block.

Der Henker ließ sein Schwert im Sonnenschein funkeln. Das Eisen war so
lauter und blank wie damals, als Kunigunde und Valentin es miteinander geputzt
hatten. Der Henker besah die Bilder auf der Breite des Schwertes, und mit lauter
Stimme las er die Geschrift:


Wenn ich das Schwert thu ausheben,
Dann schenke dir Gott das ewige Leben!

Amen! rief eine Stimme aus der Meuge.

Der Meister hob das Schwert hoch in beiden Händen — ein Blitz zuckte her¬
unter — ich schloß die Augen . . .




So erzählte der Ratsherr und Schwcrtfegcrmeister aus dem Bnrgweg zu Heidel¬
berg seinem Stubenherrn hoch oben auf dem Turmaltan der Heiliggeistkirche. Sie
saßen nebeneinander ans dem Bänkleiu, dem herunterrauschenden Neckar zugekehrt.
Das weiße Haar des alten Mannes und die dunkelblonden Locken des Jünglings
leuchteten im Sonnenschein. Die Schwalben flogen über Ihnen hin und her,
und von Viertelstunde zu Viertelstunde rasselte es im Uhrwerk und dröhnte der
Glockenschlag.

Johannes hatte seine Erzählung beendet. Jodokns schaute ihn an mit feuchte»
Augen und griff nach seiner Hand. Da aber der Alte seine Augen geschlossen hatte,


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[0291] Der wildfang Als Wir zum Speierer Thor hinausgetreten wnreu, hörte das Getümmel auf. Auch die Glocke war verstunnut. Hinter uns lag die Stadt im Schatten eiuer düstern Wolke, aber auf uns brannte die Sonne. Es war ein langer heißer Weg durch die Weingärten. Ich sah, wie Valentin unsicher wurde; er stolperte und wankte und ließ den Kopf sinken. Dn redete Kunigunde still auf thu ein. Ich trat näher, um zu hören, was sie sagte: es waren die Worte des einuudueuuzigsten Psalms. Als wir an dem Galgenstein angelangt waren, hatte die Glocke wieder zu läuten begonnen. Sie fielen einander »in den Hals und hielten sich lange um- schlungen. Endlich rissen sie sich voneinander los. Schau nicht zurück! bat er sie. O, ewig, ewig! erwiderte Kunigunde. Noch einmal Aug in Auge. Daun wandte» sie sich zu gleicher Zeit um. Er stieg die Treppe hinnus, und sie ging, von Margarete begleitet, nach der Stadt zurück. Er stand auf dem Hochgericht, hielt die Hand über die Augen und schaute ihr nach. Als sie hinter einer Hecke verschwunden war, und er sie nicht mehr sehen konnte, zog er den Wams ans, hob ihn in die Höhe und rief: Ist der Manu da, der mir seinen Wams geliehn hat? Er wartete eine Weile. Als keine Antwort kam, warf er den Wams in die Menge hinunter und rief: Gebt ihn dem Mann "ut sagt ihm meine» Dank! Dann suchten seine Augen mich. Als sie mich gefunden hatten, rief er: Herzbrnder! Grüße deu Meister und deine Margarete! Grüße mein Weib! Grüße sein Grab! Herzbruder! rief ich hinaus. Valentin kniete jetzt nieder neben dem Pfarrer und hörte aus dessen Gebet. Dann stand er auf und reichte dem Geistlichen und dem Henker die Hand. Seine Augen grüßten mich noch einmal. Darauf kniete er nieder und legte den Kopf auf den Block. Der Henker ließ sein Schwert im Sonnenschein funkeln. Das Eisen war so lauter und blank wie damals, als Kunigunde und Valentin es miteinander geputzt hatten. Der Henker besah die Bilder auf der Breite des Schwertes, und mit lauter Stimme las er die Geschrift: Wenn ich das Schwert thu ausheben, Dann schenke dir Gott das ewige Leben! Amen! rief eine Stimme aus der Meuge. Der Meister hob das Schwert hoch in beiden Händen — ein Blitz zuckte her¬ unter — ich schloß die Augen . . . So erzählte der Ratsherr und Schwcrtfegcrmeister aus dem Bnrgweg zu Heidel¬ berg seinem Stubenherrn hoch oben auf dem Turmaltan der Heiliggeistkirche. Sie saßen nebeneinander ans dem Bänkleiu, dem herunterrauschenden Neckar zugekehrt. Das weiße Haar des alten Mannes und die dunkelblonden Locken des Jünglings leuchteten im Sonnenschein. Die Schwalben flogen über Ihnen hin und her, und von Viertelstunde zu Viertelstunde rasselte es im Uhrwerk und dröhnte der Glockenschlag. Johannes hatte seine Erzählung beendet. Jodokns schaute ihn an mit feuchte» Augen und griff nach seiner Hand. Da aber der Alte seine Augen geschlossen hatte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/291>, abgerufen am 26.05.2024.