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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Italien und die albanesische Frage

stoßen und die wichtigsten Häfen am Eingänge des Adriatischen Meeres einer
slawischen Macht (thatsächlich Rußland) überliefern, wäre also für Österreich
und Italien gleich unannehmbar. Demselben Widerstande würde eine Aus¬
breitung Griechenlands bis zum Sememi begegnen, denn die Möglichkeit läge
vor, daß es einmal ans die jenen beiden Großmächten feindliche Seite (nämlich
Rußlands) trete. Die einzige Lösung, die alle diese Gefahren vermeiden würde,
ist also nach Guicciardini die Errichtung eines autonomen albanesischen Staats
unter der Oberhoheit des Sultans mit Abtretung des südlichen Epirus bis
zum Kalmnas an Griechenland, Allerdings will Guicciardini diese Lösung
keineswegs überstürze", er sagt vielmehr: "Man achte wie in Tripolis den
ZlÄtus ano, so lange er sich halten kann; aber da der status ezuo wenig
Bürgschaften der Dauer hat, so bereite man mit klaren Vorsätzen und einer
vorsichtigen und konsequenten Aktion und mit den entsprechenden Mitteln eine
diplomatische Lage vor, von der eine Ordnung der albanesischen Dinge aus¬
gehn kann, die den italienischen Interessen entspricht," nämlich den autonomen
albanesischen Staat, Er weiß die friedlichen Erklärungen der italienischen und
der österreichischen Minister über diese Frage Wohl zu würdigen, aber er be¬
merkt sehr richtig: "Die Ereignisse sind oft stärker als die Vorsätze, und wenn
die politischen Situationen reifen, dann fühlen sich die Regierungen niemals
an die abgegebnen Erklärungen gebunden, und sie Verfahren gemäß den Inter¬
essen ihres eignen Landes," Noch viel rückhaltloser äußerte sich der radikale
Abgeordnete de Mcirinis in derselben Debatte: Italien müsse sich die Erneue¬
rung des Dreibunds zweimal überlegen, denn es gehe um Albaniens willen
einem Konflikte mit Österreich entgegen, Albanien den Albanesen! Dieses
Programm müsse Italien durchführen, und es müsse nötigenfalls alle Mittel
anwenden, die ihm zu Gebote stehn. Das alles unter dem stürmischen Beifall
des Hauses!

Nun, die Herren, die so geredet und geschrieben haben, sind vorläufig
nur Abgeordnete, keine Minister, und die Erklärungen vom Ministertische her
haben an der Absicht des römischen Kabinetts, den Dreibund zu erneuern,
keinen Zweifel gelassen. Aber in Italien wechseln die Ministerien rasch, und
das Parlament hat dort auf die auswärtige Politik mehr Einfluß als bei uns.
Das hat seine sehr dunkeln Schattenseiten, aber anch die Lichtseite, daß es das
Verantwortlichkeitsbewußtsein bei den Abgeordneten schärft und den einen oder
den andern antreibt, eine wichtige Frage an Ort und Stelle zu studieren, wie
es Guicciardini soeben in Albanien gethan hat. Ein bloßes Drauflosreden
ins Blaue hinein mit einer durch keine Sachkenntnis getrübten Objektivität aus
der Redaktionsstube oder vom Schreibtische aus fällt dann von selbst weg, und
als der Zweck des Parlaments erscheint dann nicht nur die unverantwortliche
Kritik an den Handlungen der Regierung, sondern auch die sehr verantwort¬
liche Aufgabe, unter Umständen eine im Gegensatze zu dem augenblicklichen
Ministerium stehende politische Richtung mit neuen Männern durchzuführen.
Und deshalb ist es doch sehr bemerkenswert, daß das römische Abgeordneten-


Italien und die albanesische Frage

stoßen und die wichtigsten Häfen am Eingänge des Adriatischen Meeres einer
slawischen Macht (thatsächlich Rußland) überliefern, wäre also für Österreich
und Italien gleich unannehmbar. Demselben Widerstande würde eine Aus¬
breitung Griechenlands bis zum Sememi begegnen, denn die Möglichkeit läge
vor, daß es einmal ans die jenen beiden Großmächten feindliche Seite (nämlich
Rußlands) trete. Die einzige Lösung, die alle diese Gefahren vermeiden würde,
ist also nach Guicciardini die Errichtung eines autonomen albanesischen Staats
unter der Oberhoheit des Sultans mit Abtretung des südlichen Epirus bis
zum Kalmnas an Griechenland, Allerdings will Guicciardini diese Lösung
keineswegs überstürze», er sagt vielmehr: „Man achte wie in Tripolis den
ZlÄtus ano, so lange er sich halten kann; aber da der status ezuo wenig
Bürgschaften der Dauer hat, so bereite man mit klaren Vorsätzen und einer
vorsichtigen und konsequenten Aktion und mit den entsprechenden Mitteln eine
diplomatische Lage vor, von der eine Ordnung der albanesischen Dinge aus¬
gehn kann, die den italienischen Interessen entspricht," nämlich den autonomen
albanesischen Staat, Er weiß die friedlichen Erklärungen der italienischen und
der österreichischen Minister über diese Frage Wohl zu würdigen, aber er be¬
merkt sehr richtig: „Die Ereignisse sind oft stärker als die Vorsätze, und wenn
die politischen Situationen reifen, dann fühlen sich die Regierungen niemals
an die abgegebnen Erklärungen gebunden, und sie Verfahren gemäß den Inter¬
essen ihres eignen Landes," Noch viel rückhaltloser äußerte sich der radikale
Abgeordnete de Mcirinis in derselben Debatte: Italien müsse sich die Erneue¬
rung des Dreibunds zweimal überlegen, denn es gehe um Albaniens willen
einem Konflikte mit Österreich entgegen, Albanien den Albanesen! Dieses
Programm müsse Italien durchführen, und es müsse nötigenfalls alle Mittel
anwenden, die ihm zu Gebote stehn. Das alles unter dem stürmischen Beifall
des Hauses!

Nun, die Herren, die so geredet und geschrieben haben, sind vorläufig
nur Abgeordnete, keine Minister, und die Erklärungen vom Ministertische her
haben an der Absicht des römischen Kabinetts, den Dreibund zu erneuern,
keinen Zweifel gelassen. Aber in Italien wechseln die Ministerien rasch, und
das Parlament hat dort auf die auswärtige Politik mehr Einfluß als bei uns.
Das hat seine sehr dunkeln Schattenseiten, aber anch die Lichtseite, daß es das
Verantwortlichkeitsbewußtsein bei den Abgeordneten schärft und den einen oder
den andern antreibt, eine wichtige Frage an Ort und Stelle zu studieren, wie
es Guicciardini soeben in Albanien gethan hat. Ein bloßes Drauflosreden
ins Blaue hinein mit einer durch keine Sachkenntnis getrübten Objektivität aus
der Redaktionsstube oder vom Schreibtische aus fällt dann von selbst weg, und
als der Zweck des Parlaments erscheint dann nicht nur die unverantwortliche
Kritik an den Handlungen der Regierung, sondern auch die sehr verantwort¬
liche Aufgabe, unter Umständen eine im Gegensatze zu dem augenblicklichen
Ministerium stehende politische Richtung mit neuen Männern durchzuführen.
Und deshalb ist es doch sehr bemerkenswert, daß das römische Abgeordneten-


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[0302] Italien und die albanesische Frage stoßen und die wichtigsten Häfen am Eingänge des Adriatischen Meeres einer slawischen Macht (thatsächlich Rußland) überliefern, wäre also für Österreich und Italien gleich unannehmbar. Demselben Widerstande würde eine Aus¬ breitung Griechenlands bis zum Sememi begegnen, denn die Möglichkeit läge vor, daß es einmal ans die jenen beiden Großmächten feindliche Seite (nämlich Rußlands) trete. Die einzige Lösung, die alle diese Gefahren vermeiden würde, ist also nach Guicciardini die Errichtung eines autonomen albanesischen Staats unter der Oberhoheit des Sultans mit Abtretung des südlichen Epirus bis zum Kalmnas an Griechenland, Allerdings will Guicciardini diese Lösung keineswegs überstürze», er sagt vielmehr: „Man achte wie in Tripolis den ZlÄtus ano, so lange er sich halten kann; aber da der status ezuo wenig Bürgschaften der Dauer hat, so bereite man mit klaren Vorsätzen und einer vorsichtigen und konsequenten Aktion und mit den entsprechenden Mitteln eine diplomatische Lage vor, von der eine Ordnung der albanesischen Dinge aus¬ gehn kann, die den italienischen Interessen entspricht," nämlich den autonomen albanesischen Staat, Er weiß die friedlichen Erklärungen der italienischen und der österreichischen Minister über diese Frage Wohl zu würdigen, aber er be¬ merkt sehr richtig: „Die Ereignisse sind oft stärker als die Vorsätze, und wenn die politischen Situationen reifen, dann fühlen sich die Regierungen niemals an die abgegebnen Erklärungen gebunden, und sie Verfahren gemäß den Inter¬ essen ihres eignen Landes," Noch viel rückhaltloser äußerte sich der radikale Abgeordnete de Mcirinis in derselben Debatte: Italien müsse sich die Erneue¬ rung des Dreibunds zweimal überlegen, denn es gehe um Albaniens willen einem Konflikte mit Österreich entgegen, Albanien den Albanesen! Dieses Programm müsse Italien durchführen, und es müsse nötigenfalls alle Mittel anwenden, die ihm zu Gebote stehn. Das alles unter dem stürmischen Beifall des Hauses! Nun, die Herren, die so geredet und geschrieben haben, sind vorläufig nur Abgeordnete, keine Minister, und die Erklärungen vom Ministertische her haben an der Absicht des römischen Kabinetts, den Dreibund zu erneuern, keinen Zweifel gelassen. Aber in Italien wechseln die Ministerien rasch, und das Parlament hat dort auf die auswärtige Politik mehr Einfluß als bei uns. Das hat seine sehr dunkeln Schattenseiten, aber anch die Lichtseite, daß es das Verantwortlichkeitsbewußtsein bei den Abgeordneten schärft und den einen oder den andern antreibt, eine wichtige Frage an Ort und Stelle zu studieren, wie es Guicciardini soeben in Albanien gethan hat. Ein bloßes Drauflosreden ins Blaue hinein mit einer durch keine Sachkenntnis getrübten Objektivität aus der Redaktionsstube oder vom Schreibtische aus fällt dann von selbst weg, und als der Zweck des Parlaments erscheint dann nicht nur die unverantwortliche Kritik an den Handlungen der Regierung, sondern auch die sehr verantwort¬ liche Aufgabe, unter Umständen eine im Gegensatze zu dem augenblicklichen Ministerium stehende politische Richtung mit neuen Männern durchzuführen. Und deshalb ist es doch sehr bemerkenswert, daß das römische Abgeordneten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/302>, abgerufen am 24.05.2024.