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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Der Religionsunterricht an höhern Schulen

er Religionslehrer an einer höhern Schule hat in unsrer Zeit
keinen leichten Stand. Daß überhaupt Religionsunterricht an
niedern oder höhern Schulen notwendig sei, wird von vielen be¬
stritten. Es giebt Gebildete und Ungebildete, die den Religions¬
unterricht für etwas zum mindesten höchst Überflüssiges betrachten.
Mir passierte eS selbst einmal, als ich irgend jemand als Religionslehrer
vorgestellt wurde, daß der Vorstellende gewissermaßen als Entschuldigung hinzu-
fügte: "Er giebt aber auch deutschen Unterricht." Andrerseits werden von
denen, die den Religionsunterricht als etwas Notwendiges und Wichtiges an¬
sehen, den Vertretern dieses Fachs heftige Vorwürfe gemacht. Oft genug ist
es dn der Fall, daß von einzelne" Erfahrungen ans sofort über den ganzen
Stand abgeurteilt wird. Alls meiner Studentenzeit erinnere ich mich, daß es
ein Verstoß gegen den Komment, d. h. gegen den studentischen Anstand war,
wenn einer gegen eine ganze Fakultät loszog. Diese gute Regel wird manchmal
später wieder vergessen. Daß es unter den Religionslchrern auch solche giebt,
die lieber einen andern Beruf hätten ergreifen sollen, wird niemand in Abrede
stellen, aber deshalb gleich den ganzen Stand zu verurteilen ist nicht gerecht.
Daß gerade der Religionsunterricht häufig auch von solchen, die ein ernstes
Interesse an der Sache haben, angegriffen wird, erklärt sich leicht aus der
Sache selbst. Religion ist für den, der ihre Bedeutung kennt, eine für das
Mize Leben sehr wichtige, schließlich wohl die nllerwichtigste Sache, die es
giebt. Jeder Vater, jede Mutter, die dieser Überzeugung sind, werden wünschen,
daß ihre Kinder möglichst guten Religionsunterricht empfangen. Religion ist
aber auch eine Sache, die jeder zu kennen glaubt, über die zu urteilen sich
jeder berechtigt fühlt, sodaß man sich eine Vorstellung von einem Religions¬
unterricht, wie er sein sollte, bildet. Nun sind aber die Meinungen auf diesem
Gebiete bekanntlich sehr verschieden. Es müßte darum geradezu mit Wundern
^ugehn, wenn ein Religionslehrer es mit seinem Religionsunterricht allen recht
wachte. Da giebt es strengglänbige Eltern, die bei jeder freiern Auffassung,
bei den geringsten Zugeständnissen an die moderne Wissenschaft in Angst ge¬
lten, daß ihre Kinder in ihrem Glauben beirrt werden könnten. Sie halten
^ für ihre Pflicht, nicht bloß dem Lehrer entgegenzuarbeiten, sondern drohn
"und mit Beschwerden um die vorgesetzten Behörden. Hierbei will ich durchaus
uicht Taktlosigkeiten, die schon vom pädagogischen Standpunkt aus verwerflich




Der Religionsunterricht an höhern Schulen

er Religionslehrer an einer höhern Schule hat in unsrer Zeit
keinen leichten Stand. Daß überhaupt Religionsunterricht an
niedern oder höhern Schulen notwendig sei, wird von vielen be¬
stritten. Es giebt Gebildete und Ungebildete, die den Religions¬
unterricht für etwas zum mindesten höchst Überflüssiges betrachten.
Mir passierte eS selbst einmal, als ich irgend jemand als Religionslehrer
vorgestellt wurde, daß der Vorstellende gewissermaßen als Entschuldigung hinzu-
fügte: „Er giebt aber auch deutschen Unterricht." Andrerseits werden von
denen, die den Religionsunterricht als etwas Notwendiges und Wichtiges an¬
sehen, den Vertretern dieses Fachs heftige Vorwürfe gemacht. Oft genug ist
es dn der Fall, daß von einzelne» Erfahrungen ans sofort über den ganzen
Stand abgeurteilt wird. Alls meiner Studentenzeit erinnere ich mich, daß es
ein Verstoß gegen den Komment, d. h. gegen den studentischen Anstand war,
wenn einer gegen eine ganze Fakultät loszog. Diese gute Regel wird manchmal
später wieder vergessen. Daß es unter den Religionslchrern auch solche giebt,
die lieber einen andern Beruf hätten ergreifen sollen, wird niemand in Abrede
stellen, aber deshalb gleich den ganzen Stand zu verurteilen ist nicht gerecht.
Daß gerade der Religionsunterricht häufig auch von solchen, die ein ernstes
Interesse an der Sache haben, angegriffen wird, erklärt sich leicht aus der
Sache selbst. Religion ist für den, der ihre Bedeutung kennt, eine für das
Mize Leben sehr wichtige, schließlich wohl die nllerwichtigste Sache, die es
giebt. Jeder Vater, jede Mutter, die dieser Überzeugung sind, werden wünschen,
daß ihre Kinder möglichst guten Religionsunterricht empfangen. Religion ist
aber auch eine Sache, die jeder zu kennen glaubt, über die zu urteilen sich
jeder berechtigt fühlt, sodaß man sich eine Vorstellung von einem Religions¬
unterricht, wie er sein sollte, bildet. Nun sind aber die Meinungen auf diesem
Gebiete bekanntlich sehr verschieden. Es müßte darum geradezu mit Wundern
^ugehn, wenn ein Religionslehrer es mit seinem Religionsunterricht allen recht
wachte. Da giebt es strengglänbige Eltern, die bei jeder freiern Auffassung,
bei den geringsten Zugeständnissen an die moderne Wissenschaft in Angst ge¬
lten, daß ihre Kinder in ihrem Glauben beirrt werden könnten. Sie halten
^ für ihre Pflicht, nicht bloß dem Lehrer entgegenzuarbeiten, sondern drohn
"und mit Beschwerden um die vorgesetzten Behörden. Hierbei will ich durchaus
uicht Taktlosigkeiten, die schon vom pädagogischen Standpunkt aus verwerflich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/405>, abgerufen am 17.06.2024.