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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Der Religionsunterricht an höher" Schulen

sind, in Schlitz nehmen. Ohne Not noch ganz unreife Schiller in kritische
Fragen der Wissenschaft einfuhren, Dinge, die vielleicht noch nicht einmal
wissenschaftlich erwiesen sind, als unbestreitbare Wahrheiten verkünde", oder
gcir in spöttischem Tone über Anschauungen urteilen, die vielleicht den Eltern
der Schüler und deshalb diesen selbst heilig sind, das ist auf alle Fälle ver¬
werflich. Aber unwahrhaftig darf der Lehrer auch uicht werden, und wenn er
durch Fragen wißbegieriger Schüler, in denen irgendwelche Zweifel aufsteigen,
genötigt ist, wird er seine Überzeugung sagen und kurz begründen müssen.
Wenn dies in taktvoller Weise geschieht, und wenn der Lehrer nur sonst von
der Wahrheit des Christentums überzeugt ist, so kann das keinen dauernden
Schaden bringen. Daß es verschiedne Anschauungen auf religiösem Gebiete
giebt, kann auch dem noch unreifen Schüler nicht lange verborgen bleiben.

Von andern wird den Neligionslehrcrn der umgekehrte Vorwurf gemacht,
daß sie ihre Schüler zu wenig in die Ergebnisse der modernen Wissenschaft ein¬
führen. Erst vor kurzem sind in diesem Sinne Anklagen gegen den Religions¬
unterricht auch in den Grenzboten erhoben worden. Nicht ohne Grund. Es
ist thatsächlich häufig genug vorgekommen und kommt Wohl auch jetzt noch
vor, daß der Gymnasiast absichtlich über alle diese Dinge in Unwissenheit
gelassen wird, und daß er dann auf der Universität an allem irre wird und
dem materialistischen Atheismus verfällt. Ein solches Verschweignngssystem,
mag die Absicht auch noch so wohlmeinend sein, ist durchaus falsch. Ju dieser
Beziehung ist die kürzlich erschienene kleine Schrift von Professor Kautzsch:
"Bibelwissenschaft und Religionsunterricht" sehr beachtenswert. Mit dem
Grundgedanken, daß der Religionslehrer die Pflicht habe, seine Schüler
stufenweise in die gesicherten Ergebnisse der modernen Vibelwisscnschaft ein¬
zuführen, und zwar so, daß die sogenannte biblische Kritik niemals Selbstzweck,
sondern immer nur Mittel zum Zweck sei, nämlich zu dem Zweck, das Ver¬
ständnis der Bibel und der Offenbarungsgeschichte zu fördern "ud den Schüler
rechtzeitig gegen spätere Verführung zu schützen, kann man sich nur einver¬
standen erklären. Allerdings ist dabei auch die Forderung Kantzschens, daß
der Lehrer eine durchgebildete christliche Persönlichkeit sei und mit voller Sach¬
kenntnis feinsten Takt verbinde, unerläßlich. Endlich herrscht mich über die
ganze Art und Weise, in der der Religionsunterricht erteilt werden soll,
Meinungsverschiedenheit. Die einen fordern, daß der Religionsmiterricht vor
allem auf Herz und Gemüt einwirke, daß der Religionslehrer vor allem einen
religiös-sittlichen Einfluß aus die Schüler auszuüben suche. Sie beanspruchen
darum, daß der Religionsunterricht in der Art einer Erbauungsstunde mit be¬
geisternder Überzeugungskraft gegeben werde. Andre dagegen fordern, daß der
Religionsunterricht unter den übrigen Fächern keine Sonderstellung einnehme,
daß vielmehr der Religionslehrer seinen Stoff streng wissenschaftlich behandle,
sich nicht an das Gefühl, sondern an das Denkvermögen der Schüler wende
und so den Grund zu einer wissenschaftlich begründeten Weltanschauung lege.
Diesen Weg empfiehlt und erläutert eine von I^le. Hans Vollmer heraus-


Der Religionsunterricht an höher» Schulen

sind, in Schlitz nehmen. Ohne Not noch ganz unreife Schiller in kritische
Fragen der Wissenschaft einfuhren, Dinge, die vielleicht noch nicht einmal
wissenschaftlich erwiesen sind, als unbestreitbare Wahrheiten verkünde», oder
gcir in spöttischem Tone über Anschauungen urteilen, die vielleicht den Eltern
der Schüler und deshalb diesen selbst heilig sind, das ist auf alle Fälle ver¬
werflich. Aber unwahrhaftig darf der Lehrer auch uicht werden, und wenn er
durch Fragen wißbegieriger Schüler, in denen irgendwelche Zweifel aufsteigen,
genötigt ist, wird er seine Überzeugung sagen und kurz begründen müssen.
Wenn dies in taktvoller Weise geschieht, und wenn der Lehrer nur sonst von
der Wahrheit des Christentums überzeugt ist, so kann das keinen dauernden
Schaden bringen. Daß es verschiedne Anschauungen auf religiösem Gebiete
giebt, kann auch dem noch unreifen Schüler nicht lange verborgen bleiben.

Von andern wird den Neligionslehrcrn der umgekehrte Vorwurf gemacht,
daß sie ihre Schüler zu wenig in die Ergebnisse der modernen Wissenschaft ein¬
führen. Erst vor kurzem sind in diesem Sinne Anklagen gegen den Religions¬
unterricht auch in den Grenzboten erhoben worden. Nicht ohne Grund. Es
ist thatsächlich häufig genug vorgekommen und kommt Wohl auch jetzt noch
vor, daß der Gymnasiast absichtlich über alle diese Dinge in Unwissenheit
gelassen wird, und daß er dann auf der Universität an allem irre wird und
dem materialistischen Atheismus verfällt. Ein solches Verschweignngssystem,
mag die Absicht auch noch so wohlmeinend sein, ist durchaus falsch. Ju dieser
Beziehung ist die kürzlich erschienene kleine Schrift von Professor Kautzsch:
„Bibelwissenschaft und Religionsunterricht" sehr beachtenswert. Mit dem
Grundgedanken, daß der Religionslehrer die Pflicht habe, seine Schüler
stufenweise in die gesicherten Ergebnisse der modernen Vibelwisscnschaft ein¬
zuführen, und zwar so, daß die sogenannte biblische Kritik niemals Selbstzweck,
sondern immer nur Mittel zum Zweck sei, nämlich zu dem Zweck, das Ver¬
ständnis der Bibel und der Offenbarungsgeschichte zu fördern »ud den Schüler
rechtzeitig gegen spätere Verführung zu schützen, kann man sich nur einver¬
standen erklären. Allerdings ist dabei auch die Forderung Kantzschens, daß
der Lehrer eine durchgebildete christliche Persönlichkeit sei und mit voller Sach¬
kenntnis feinsten Takt verbinde, unerläßlich. Endlich herrscht mich über die
ganze Art und Weise, in der der Religionsunterricht erteilt werden soll,
Meinungsverschiedenheit. Die einen fordern, daß der Religionsmiterricht vor
allem auf Herz und Gemüt einwirke, daß der Religionslehrer vor allem einen
religiös-sittlichen Einfluß aus die Schüler auszuüben suche. Sie beanspruchen
darum, daß der Religionsunterricht in der Art einer Erbauungsstunde mit be¬
geisternder Überzeugungskraft gegeben werde. Andre dagegen fordern, daß der
Religionsunterricht unter den übrigen Fächern keine Sonderstellung einnehme,
daß vielmehr der Religionslehrer seinen Stoff streng wissenschaftlich behandle,
sich nicht an das Gefühl, sondern an das Denkvermögen der Schüler wende
und so den Grund zu einer wissenschaftlich begründeten Weltanschauung lege.
Diesen Weg empfiehlt und erläutert eine von I^le. Hans Vollmer heraus-


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[0406] Der Religionsunterricht an höher» Schulen sind, in Schlitz nehmen. Ohne Not noch ganz unreife Schiller in kritische Fragen der Wissenschaft einfuhren, Dinge, die vielleicht noch nicht einmal wissenschaftlich erwiesen sind, als unbestreitbare Wahrheiten verkünde», oder gcir in spöttischem Tone über Anschauungen urteilen, die vielleicht den Eltern der Schüler und deshalb diesen selbst heilig sind, das ist auf alle Fälle ver¬ werflich. Aber unwahrhaftig darf der Lehrer auch uicht werden, und wenn er durch Fragen wißbegieriger Schüler, in denen irgendwelche Zweifel aufsteigen, genötigt ist, wird er seine Überzeugung sagen und kurz begründen müssen. Wenn dies in taktvoller Weise geschieht, und wenn der Lehrer nur sonst von der Wahrheit des Christentums überzeugt ist, so kann das keinen dauernden Schaden bringen. Daß es verschiedne Anschauungen auf religiösem Gebiete giebt, kann auch dem noch unreifen Schüler nicht lange verborgen bleiben. Von andern wird den Neligionslehrcrn der umgekehrte Vorwurf gemacht, daß sie ihre Schüler zu wenig in die Ergebnisse der modernen Wissenschaft ein¬ führen. Erst vor kurzem sind in diesem Sinne Anklagen gegen den Religions¬ unterricht auch in den Grenzboten erhoben worden. Nicht ohne Grund. Es ist thatsächlich häufig genug vorgekommen und kommt Wohl auch jetzt noch vor, daß der Gymnasiast absichtlich über alle diese Dinge in Unwissenheit gelassen wird, und daß er dann auf der Universität an allem irre wird und dem materialistischen Atheismus verfällt. Ein solches Verschweignngssystem, mag die Absicht auch noch so wohlmeinend sein, ist durchaus falsch. Ju dieser Beziehung ist die kürzlich erschienene kleine Schrift von Professor Kautzsch: „Bibelwissenschaft und Religionsunterricht" sehr beachtenswert. Mit dem Grundgedanken, daß der Religionslehrer die Pflicht habe, seine Schüler stufenweise in die gesicherten Ergebnisse der modernen Vibelwisscnschaft ein¬ zuführen, und zwar so, daß die sogenannte biblische Kritik niemals Selbstzweck, sondern immer nur Mittel zum Zweck sei, nämlich zu dem Zweck, das Ver¬ ständnis der Bibel und der Offenbarungsgeschichte zu fördern »ud den Schüler rechtzeitig gegen spätere Verführung zu schützen, kann man sich nur einver¬ standen erklären. Allerdings ist dabei auch die Forderung Kantzschens, daß der Lehrer eine durchgebildete christliche Persönlichkeit sei und mit voller Sach¬ kenntnis feinsten Takt verbinde, unerläßlich. Endlich herrscht mich über die ganze Art und Weise, in der der Religionsunterricht erteilt werden soll, Meinungsverschiedenheit. Die einen fordern, daß der Religionsmiterricht vor allem auf Herz und Gemüt einwirke, daß der Religionslehrer vor allem einen religiös-sittlichen Einfluß aus die Schüler auszuüben suche. Sie beanspruchen darum, daß der Religionsunterricht in der Art einer Erbauungsstunde mit be¬ geisternder Überzeugungskraft gegeben werde. Andre dagegen fordern, daß der Religionsunterricht unter den übrigen Fächern keine Sonderstellung einnehme, daß vielmehr der Religionslehrer seinen Stoff streng wissenschaftlich behandle, sich nicht an das Gefühl, sondern an das Denkvermögen der Schüler wende und so den Grund zu einer wissenschaftlich begründeten Weltanschauung lege. Diesen Weg empfiehlt und erläutert eine von I^le. Hans Vollmer heraus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/406>, abgerufen am 17.06.2024.