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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die englische Lokalverwaltnng

Männer, die in der Liste der durch Grundeigentum qualifizierten Parlaments-
Wähler stehn. Ausgeschlossen vom passiven Wahlrecht sind dafür die aktiv
wahlberechtigten Frauen, die Inhaber einiger städtischer Ämter, die Geistlichen,
die Offiziere und alle Personen, die mittelbar oder unmittelbar, allein oder
als Gesellschafter in einem dauernden Vertrags- oder Dienstverhältnisse zur
Stadt stehn. Gewisse Vertragsverhältnisse sind jedoch von dieser Bestimmung
ausdrücklich ausgenommen, z, B. der Besitz von Aktien eines Gas- oder
Wasserwerks oder eines Versicherungsgeschäfts, mit dem die Gemeinde in Ge¬
schäftsverbindung steht.

Das Stadtparlament i^ormeil ok etre Lorouglr) besteht ans drei Elemente":
den Councillors, den Aldermen und dem Mayor, Die Councillors werdeu
ans Grund des allgemeinen gleichen Wahlrechts von den Gemeindemitgliedern
direkt auf drei Jahre, die Aldermen von den Councillors auf sechs Jahre, der
Mayor wird von den vereinigten Stadträten und Aldermen auf ein Jahr ge¬
wählt. Auf jeden Ward müssen mindestens drei Räte und ein Alderman
fallen. Das kleinste Town Council hat zwölf Councillors, Liverpool hundert¬
zwölf. Die Wahlkostcn fallen der Gemeindekasse zur Last (während bei der
Parlamentswahl der Kandidat für die Kosten auszukommen und zu diesem
Zweck bei Beginn des Wahlverfnhrens eine Summe zu deponieren hat, die
je nach der Zahl der Wähler zwischen 100 und 1000 Pfund schwankt). Die
Regierung hat mit den Wahlen zum Stadtparlamcnt und mit seiner Zusammen¬
setzung nichts zu schaffen, sie hat weder ein Bestütigungs- noch ein Auflösungs¬
recht noch das Recht, die Zahl der Wählenden zu bestimme", deren untere
Grenze durch das Gesetz vorgeschrieben ist. Sollte es einmal vorkommen, daß
das Stadtparlament die gesetzlichen Fristen für die Neuwahlen verstreichen ließe,
ohne solche anzuordnen, so Hütte jeder einzelne Bürger das Recht, beim obersten
Gerichtshofe um ein UM-Z^mus, einen Gerichtsbefehl zu bitten. Will sich eine
Gemeinde schlecht verwalten lassen, so ist das ihre Sache, die Regierung mischt
sich nicht ein. Man vergleiche damit die Willkürwirtschaft in Wien, wo bald
der Gemeinderat aufgelöst wird und ein Regierungskommissar das Stadt¬
regiment führt, bald dem viermal gewühlten Bürgermeister viermal die Be¬
stätigung versagt wird, bald dieser zum fünftenmal gewählte und endlich be¬
stätigte Bürgermeister die Wahltermine nach Belieben oder nach parteipolitischer
Zweckmäßigkeitsrücksichten ansetzt und bekannt macht.) Der Mahor ist nicht
Bürgermeister im Sinne der preußischen oder der österreichischen Städte-
ordnung; er hat mehr nur zu repräsentieren als zu verwalten und bezieht
nicht Gehalt, sondern nur einen Ehrensold als Entschädigung für seine Repräsen¬
tationskosten. Kraft seines Amtes ist er der erste Friedensrichter der Stadt
und behält diese Würde auch noch das folgende Jahr. Auch entsprechen die
Aldermen nicht unsern Stadträten, als einem den Stadtverordneten gegenüber¬
stehenden selbständigen Körper, wofür sie sogar Gneist gehalten hat. Sie sind
kein Ausschuß des Gemeinderath, haben keine andern Befugnisse als dieser,
halten keine gesonderten Sitzungen ab, und alle Ausschüsse werden ans beiden


Die englische Lokalverwaltnng

Männer, die in der Liste der durch Grundeigentum qualifizierten Parlaments-
Wähler stehn. Ausgeschlossen vom passiven Wahlrecht sind dafür die aktiv
wahlberechtigten Frauen, die Inhaber einiger städtischer Ämter, die Geistlichen,
die Offiziere und alle Personen, die mittelbar oder unmittelbar, allein oder
als Gesellschafter in einem dauernden Vertrags- oder Dienstverhältnisse zur
Stadt stehn. Gewisse Vertragsverhältnisse sind jedoch von dieser Bestimmung
ausdrücklich ausgenommen, z, B. der Besitz von Aktien eines Gas- oder
Wasserwerks oder eines Versicherungsgeschäfts, mit dem die Gemeinde in Ge¬
schäftsverbindung steht.

Das Stadtparlament i^ormeil ok etre Lorouglr) besteht ans drei Elemente»:
den Councillors, den Aldermen und dem Mayor, Die Councillors werdeu
ans Grund des allgemeinen gleichen Wahlrechts von den Gemeindemitgliedern
direkt auf drei Jahre, die Aldermen von den Councillors auf sechs Jahre, der
Mayor wird von den vereinigten Stadträten und Aldermen auf ein Jahr ge¬
wählt. Auf jeden Ward müssen mindestens drei Räte und ein Alderman
fallen. Das kleinste Town Council hat zwölf Councillors, Liverpool hundert¬
zwölf. Die Wahlkostcn fallen der Gemeindekasse zur Last (während bei der
Parlamentswahl der Kandidat für die Kosten auszukommen und zu diesem
Zweck bei Beginn des Wahlverfnhrens eine Summe zu deponieren hat, die
je nach der Zahl der Wähler zwischen 100 und 1000 Pfund schwankt). Die
Regierung hat mit den Wahlen zum Stadtparlamcnt und mit seiner Zusammen¬
setzung nichts zu schaffen, sie hat weder ein Bestütigungs- noch ein Auflösungs¬
recht noch das Recht, die Zahl der Wählenden zu bestimme», deren untere
Grenze durch das Gesetz vorgeschrieben ist. Sollte es einmal vorkommen, daß
das Stadtparlament die gesetzlichen Fristen für die Neuwahlen verstreichen ließe,
ohne solche anzuordnen, so Hütte jeder einzelne Bürger das Recht, beim obersten
Gerichtshofe um ein UM-Z^mus, einen Gerichtsbefehl zu bitten. Will sich eine
Gemeinde schlecht verwalten lassen, so ist das ihre Sache, die Regierung mischt
sich nicht ein. Man vergleiche damit die Willkürwirtschaft in Wien, wo bald
der Gemeinderat aufgelöst wird und ein Regierungskommissar das Stadt¬
regiment führt, bald dem viermal gewühlten Bürgermeister viermal die Be¬
stätigung versagt wird, bald dieser zum fünftenmal gewählte und endlich be¬
stätigte Bürgermeister die Wahltermine nach Belieben oder nach parteipolitischer
Zweckmäßigkeitsrücksichten ansetzt und bekannt macht.) Der Mahor ist nicht
Bürgermeister im Sinne der preußischen oder der österreichischen Städte-
ordnung; er hat mehr nur zu repräsentieren als zu verwalten und bezieht
nicht Gehalt, sondern nur einen Ehrensold als Entschädigung für seine Repräsen¬
tationskosten. Kraft seines Amtes ist er der erste Friedensrichter der Stadt
und behält diese Würde auch noch das folgende Jahr. Auch entsprechen die
Aldermen nicht unsern Stadträten, als einem den Stadtverordneten gegenüber¬
stehenden selbständigen Körper, wofür sie sogar Gneist gehalten hat. Sie sind
kein Ausschuß des Gemeinderath, haben keine andern Befugnisse als dieser,
halten keine gesonderten Sitzungen ab, und alle Ausschüsse werden ans beiden


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[0496] Die englische Lokalverwaltnng Männer, die in der Liste der durch Grundeigentum qualifizierten Parlaments- Wähler stehn. Ausgeschlossen vom passiven Wahlrecht sind dafür die aktiv wahlberechtigten Frauen, die Inhaber einiger städtischer Ämter, die Geistlichen, die Offiziere und alle Personen, die mittelbar oder unmittelbar, allein oder als Gesellschafter in einem dauernden Vertrags- oder Dienstverhältnisse zur Stadt stehn. Gewisse Vertragsverhältnisse sind jedoch von dieser Bestimmung ausdrücklich ausgenommen, z, B. der Besitz von Aktien eines Gas- oder Wasserwerks oder eines Versicherungsgeschäfts, mit dem die Gemeinde in Ge¬ schäftsverbindung steht. Das Stadtparlament i^ormeil ok etre Lorouglr) besteht ans drei Elemente»: den Councillors, den Aldermen und dem Mayor, Die Councillors werdeu ans Grund des allgemeinen gleichen Wahlrechts von den Gemeindemitgliedern direkt auf drei Jahre, die Aldermen von den Councillors auf sechs Jahre, der Mayor wird von den vereinigten Stadträten und Aldermen auf ein Jahr ge¬ wählt. Auf jeden Ward müssen mindestens drei Räte und ein Alderman fallen. Das kleinste Town Council hat zwölf Councillors, Liverpool hundert¬ zwölf. Die Wahlkostcn fallen der Gemeindekasse zur Last (während bei der Parlamentswahl der Kandidat für die Kosten auszukommen und zu diesem Zweck bei Beginn des Wahlverfnhrens eine Summe zu deponieren hat, die je nach der Zahl der Wähler zwischen 100 und 1000 Pfund schwankt). Die Regierung hat mit den Wahlen zum Stadtparlamcnt und mit seiner Zusammen¬ setzung nichts zu schaffen, sie hat weder ein Bestütigungs- noch ein Auflösungs¬ recht noch das Recht, die Zahl der Wählenden zu bestimme», deren untere Grenze durch das Gesetz vorgeschrieben ist. Sollte es einmal vorkommen, daß das Stadtparlament die gesetzlichen Fristen für die Neuwahlen verstreichen ließe, ohne solche anzuordnen, so Hütte jeder einzelne Bürger das Recht, beim obersten Gerichtshofe um ein UM-Z^mus, einen Gerichtsbefehl zu bitten. Will sich eine Gemeinde schlecht verwalten lassen, so ist das ihre Sache, die Regierung mischt sich nicht ein. Man vergleiche damit die Willkürwirtschaft in Wien, wo bald der Gemeinderat aufgelöst wird und ein Regierungskommissar das Stadt¬ regiment führt, bald dem viermal gewühlten Bürgermeister viermal die Be¬ stätigung versagt wird, bald dieser zum fünftenmal gewählte und endlich be¬ stätigte Bürgermeister die Wahltermine nach Belieben oder nach parteipolitischer Zweckmäßigkeitsrücksichten ansetzt und bekannt macht.) Der Mahor ist nicht Bürgermeister im Sinne der preußischen oder der österreichischen Städte- ordnung; er hat mehr nur zu repräsentieren als zu verwalten und bezieht nicht Gehalt, sondern nur einen Ehrensold als Entschädigung für seine Repräsen¬ tationskosten. Kraft seines Amtes ist er der erste Friedensrichter der Stadt und behält diese Würde auch noch das folgende Jahr. Auch entsprechen die Aldermen nicht unsern Stadträten, als einem den Stadtverordneten gegenüber¬ stehenden selbständigen Körper, wofür sie sogar Gneist gehalten hat. Sie sind kein Ausschuß des Gemeinderath, haben keine andern Befugnisse als dieser, halten keine gesonderten Sitzungen ab, und alle Ausschüsse werden ans beiden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/496>, abgerufen am 23.05.2024.