Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das britische Parlament

ein Haus in London und ein andres oder auch mehr auf dein Lande, und
für alle siud sie am betreffenden Orte berechtigt. Mitgliedern der Universi¬
täten, d, h. den Graduierten, steht ferner anch noch eine Stimme für die Ver¬
tretung ihrer u-Ilus. rücke-r zu. Ju England haben die Universitäten Oxford,
Cambridge, London jede ihren eignen Abgeordneten, in Irland hat Dublin
diesen Vorzug, nud in Schottland werden zwei Vertreter gewählt, der eine von
Edinburgh und Se. Andrews, der andre von Glasgow und Aberdeen.

Wenn die Wahlen im ganzen Lande an einem Tage stattfinden müßten,
wurde die Ausübung eines mehrfachen Stimmrechts schwierig, obwohl nicht
unmöglich sein. Wie das britische Wahlgesetz die Dinge anordnet, wird ihr
aller mögliche Vorschub gethan, und die Begünstigten machen von ihrem Rechte
ergiebigen Gebrauch. Ju den Bnrgfleckcn darf die Ernennung der Bewerber
nicht früher als nach dem zweiten und nicht später als nach dem vierten Tage
nach Eingang des Wahlansschreibens geschehn, für das Land sind die Grenzen
der dritte und der neunte Tag. Finden sich an dem festgesetzten Tage mehr
Bewerber als Sitze, so hat der Vorsteher eine Abstimmung anzuordnen, die in
deu Bnrgfleckcn längstens nach drei Tagen, in Landbezirken nach sechs Tagen
stattfinden muß. Für die Orkneh- und Shetlandinseln ist die Frist weiter aus¬
gedehnt. Sonntage und Feiertage werden nicht gerechnet.

Diese Ordnung läßt der Wahltaktik einen ziemlich weiten Spielraum, und
da der Tag der Abstimmung innerhalb der gegebnen Grenzen ganz in dem
persönlichen Belieben jedes einzelnen Wahlvorstehers liegt, so hat er es ganz
in der Hand, einen für die Arbeitermassen günstigen oder ungünstigen Tag
anzusetzen. Ein liberaler Vorsteher wird einen Sonnabend wählen, ein konser¬
vativer ihn vermeiden. An und für sich kann schon die Regierung in den
Burgflecken eine Sonnabendwahl unmöglich machen. Sie hat bloß, wie sie
1900 auch that, die Wahl an einem Dienstag auszuschreiben. Dann ist die
amtliche Nachricht am Mittwoch in den Händen des Vorstehers, der frühestens
am Sonnabend die Ernennung der Bewerber annehmen kann. Er darf die
etwa nötig werdende Abstimmung auf den folgenden Mittwoch ansetzen, aber
in keinem Falle länger als Freitag hinausschieben. Die Abstimmung ist jetzt
überall geheim mit der einen Ausnahme, ohne die mau in Großbritannien nicht
auskommen zu können scheint. Die Wahlen der Universitäten geschehn münd¬
lich oder durch offne Stimmzettel und erstrecken sich über fünf Tage, während
sonst die Wahlhandlung eines Kreises auf einen Tag beschränkt ist. Es muß
doch irgend ein Zopf bleiben als Erinnerung an die gute alte Zeit.

Zopfig mutet es auch an, daß ein einmal gewähltes Mitglied des Unter¬
hauses nicht offen zurücktreten, sondern nur durch eine Hinterthür verschwinden
kann. Nach altem Brauche muß eine Neuwahl stattfinden, wenn ein Mitglied
ein Amt von der Krone annimmt. Will sich nun ein Abgeordneter zurück-
ziehn, so läßt er sich mit dem Amte eines Verwalters der Chiltern Hundert¬
schaft oder dergleichen bekleiden. Es giebt mehrere solcher wesenlosen Ämter,
die von parlamentsmüden Leuten begehrt nud ihnen mit ernster Miene ver-


Das britische Parlament

ein Haus in London und ein andres oder auch mehr auf dein Lande, und
für alle siud sie am betreffenden Orte berechtigt. Mitgliedern der Universi¬
täten, d, h. den Graduierten, steht ferner anch noch eine Stimme für die Ver¬
tretung ihrer u-Ilus. rücke-r zu. Ju England haben die Universitäten Oxford,
Cambridge, London jede ihren eignen Abgeordneten, in Irland hat Dublin
diesen Vorzug, nud in Schottland werden zwei Vertreter gewählt, der eine von
Edinburgh und Se. Andrews, der andre von Glasgow und Aberdeen.

Wenn die Wahlen im ganzen Lande an einem Tage stattfinden müßten,
wurde die Ausübung eines mehrfachen Stimmrechts schwierig, obwohl nicht
unmöglich sein. Wie das britische Wahlgesetz die Dinge anordnet, wird ihr
aller mögliche Vorschub gethan, und die Begünstigten machen von ihrem Rechte
ergiebigen Gebrauch. Ju den Bnrgfleckcn darf die Ernennung der Bewerber
nicht früher als nach dem zweiten und nicht später als nach dem vierten Tage
nach Eingang des Wahlansschreibens geschehn, für das Land sind die Grenzen
der dritte und der neunte Tag. Finden sich an dem festgesetzten Tage mehr
Bewerber als Sitze, so hat der Vorsteher eine Abstimmung anzuordnen, die in
deu Bnrgfleckcn längstens nach drei Tagen, in Landbezirken nach sechs Tagen
stattfinden muß. Für die Orkneh- und Shetlandinseln ist die Frist weiter aus¬
gedehnt. Sonntage und Feiertage werden nicht gerechnet.

Diese Ordnung läßt der Wahltaktik einen ziemlich weiten Spielraum, und
da der Tag der Abstimmung innerhalb der gegebnen Grenzen ganz in dem
persönlichen Belieben jedes einzelnen Wahlvorstehers liegt, so hat er es ganz
in der Hand, einen für die Arbeitermassen günstigen oder ungünstigen Tag
anzusetzen. Ein liberaler Vorsteher wird einen Sonnabend wählen, ein konser¬
vativer ihn vermeiden. An und für sich kann schon die Regierung in den
Burgflecken eine Sonnabendwahl unmöglich machen. Sie hat bloß, wie sie
1900 auch that, die Wahl an einem Dienstag auszuschreiben. Dann ist die
amtliche Nachricht am Mittwoch in den Händen des Vorstehers, der frühestens
am Sonnabend die Ernennung der Bewerber annehmen kann. Er darf die
etwa nötig werdende Abstimmung auf den folgenden Mittwoch ansetzen, aber
in keinem Falle länger als Freitag hinausschieben. Die Abstimmung ist jetzt
überall geheim mit der einen Ausnahme, ohne die mau in Großbritannien nicht
auskommen zu können scheint. Die Wahlen der Universitäten geschehn münd¬
lich oder durch offne Stimmzettel und erstrecken sich über fünf Tage, während
sonst die Wahlhandlung eines Kreises auf einen Tag beschränkt ist. Es muß
doch irgend ein Zopf bleiben als Erinnerung an die gute alte Zeit.

Zopfig mutet es auch an, daß ein einmal gewähltes Mitglied des Unter¬
hauses nicht offen zurücktreten, sondern nur durch eine Hinterthür verschwinden
kann. Nach altem Brauche muß eine Neuwahl stattfinden, wenn ein Mitglied
ein Amt von der Krone annimmt. Will sich nun ein Abgeordneter zurück-
ziehn, so läßt er sich mit dem Amte eines Verwalters der Chiltern Hundert¬
schaft oder dergleichen bekleiden. Es giebt mehrere solcher wesenlosen Ämter,
die von parlamentsmüden Leuten begehrt nud ihnen mit ernster Miene ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0070" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235242"/>
          <fw type="header" place="top"> Das britische Parlament</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_255" prev="#ID_254"> ein Haus in London und ein andres oder auch mehr auf dein Lande, und<lb/>
für alle siud sie am betreffenden Orte berechtigt. Mitgliedern der Universi¬<lb/>
täten, d, h. den Graduierten, steht ferner anch noch eine Stimme für die Ver¬<lb/>
tretung ihrer u-Ilus. rücke-r zu. Ju England haben die Universitäten Oxford,<lb/>
Cambridge, London jede ihren eignen Abgeordneten, in Irland hat Dublin<lb/>
diesen Vorzug, nud in Schottland werden zwei Vertreter gewählt, der eine von<lb/>
Edinburgh und Se. Andrews, der andre von Glasgow und Aberdeen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_256"> Wenn die Wahlen im ganzen Lande an einem Tage stattfinden müßten,<lb/>
wurde die Ausübung eines mehrfachen Stimmrechts schwierig, obwohl nicht<lb/>
unmöglich sein. Wie das britische Wahlgesetz die Dinge anordnet, wird ihr<lb/>
aller mögliche Vorschub gethan, und die Begünstigten machen von ihrem Rechte<lb/>
ergiebigen Gebrauch. Ju den Bnrgfleckcn darf die Ernennung der Bewerber<lb/>
nicht früher als nach dem zweiten und nicht später als nach dem vierten Tage<lb/>
nach Eingang des Wahlansschreibens geschehn, für das Land sind die Grenzen<lb/>
der dritte und der neunte Tag. Finden sich an dem festgesetzten Tage mehr<lb/>
Bewerber als Sitze, so hat der Vorsteher eine Abstimmung anzuordnen, die in<lb/>
deu Bnrgfleckcn längstens nach drei Tagen, in Landbezirken nach sechs Tagen<lb/>
stattfinden muß. Für die Orkneh- und Shetlandinseln ist die Frist weiter aus¬<lb/>
gedehnt.  Sonntage und Feiertage werden nicht gerechnet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_257"> Diese Ordnung läßt der Wahltaktik einen ziemlich weiten Spielraum, und<lb/>
da der Tag der Abstimmung innerhalb der gegebnen Grenzen ganz in dem<lb/>
persönlichen Belieben jedes einzelnen Wahlvorstehers liegt, so hat er es ganz<lb/>
in der Hand, einen für die Arbeitermassen günstigen oder ungünstigen Tag<lb/>
anzusetzen. Ein liberaler Vorsteher wird einen Sonnabend wählen, ein konser¬<lb/>
vativer ihn vermeiden. An und für sich kann schon die Regierung in den<lb/>
Burgflecken eine Sonnabendwahl unmöglich machen. Sie hat bloß, wie sie<lb/>
1900 auch that, die Wahl an einem Dienstag auszuschreiben. Dann ist die<lb/>
amtliche Nachricht am Mittwoch in den Händen des Vorstehers, der frühestens<lb/>
am Sonnabend die Ernennung der Bewerber annehmen kann. Er darf die<lb/>
etwa nötig werdende Abstimmung auf den folgenden Mittwoch ansetzen, aber<lb/>
in keinem Falle länger als Freitag hinausschieben. Die Abstimmung ist jetzt<lb/>
überall geheim mit der einen Ausnahme, ohne die mau in Großbritannien nicht<lb/>
auskommen zu können scheint. Die Wahlen der Universitäten geschehn münd¬<lb/>
lich oder durch offne Stimmzettel und erstrecken sich über fünf Tage, während<lb/>
sonst die Wahlhandlung eines Kreises auf einen Tag beschränkt ist. Es muß<lb/>
doch irgend ein Zopf bleiben als Erinnerung an die gute alte Zeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_258" next="#ID_259"> Zopfig mutet es auch an, daß ein einmal gewähltes Mitglied des Unter¬<lb/>
hauses nicht offen zurücktreten, sondern nur durch eine Hinterthür verschwinden<lb/>
kann. Nach altem Brauche muß eine Neuwahl stattfinden, wenn ein Mitglied<lb/>
ein Amt von der Krone annimmt. Will sich nun ein Abgeordneter zurück-<lb/>
ziehn, so läßt er sich mit dem Amte eines Verwalters der Chiltern Hundert¬<lb/>
schaft oder dergleichen bekleiden. Es giebt mehrere solcher wesenlosen Ämter,<lb/>
die von parlamentsmüden Leuten begehrt nud ihnen mit ernster Miene ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0070] Das britische Parlament ein Haus in London und ein andres oder auch mehr auf dein Lande, und für alle siud sie am betreffenden Orte berechtigt. Mitgliedern der Universi¬ täten, d, h. den Graduierten, steht ferner anch noch eine Stimme für die Ver¬ tretung ihrer u-Ilus. rücke-r zu. Ju England haben die Universitäten Oxford, Cambridge, London jede ihren eignen Abgeordneten, in Irland hat Dublin diesen Vorzug, nud in Schottland werden zwei Vertreter gewählt, der eine von Edinburgh und Se. Andrews, der andre von Glasgow und Aberdeen. Wenn die Wahlen im ganzen Lande an einem Tage stattfinden müßten, wurde die Ausübung eines mehrfachen Stimmrechts schwierig, obwohl nicht unmöglich sein. Wie das britische Wahlgesetz die Dinge anordnet, wird ihr aller mögliche Vorschub gethan, und die Begünstigten machen von ihrem Rechte ergiebigen Gebrauch. Ju den Bnrgfleckcn darf die Ernennung der Bewerber nicht früher als nach dem zweiten und nicht später als nach dem vierten Tage nach Eingang des Wahlansschreibens geschehn, für das Land sind die Grenzen der dritte und der neunte Tag. Finden sich an dem festgesetzten Tage mehr Bewerber als Sitze, so hat der Vorsteher eine Abstimmung anzuordnen, die in deu Bnrgfleckcn längstens nach drei Tagen, in Landbezirken nach sechs Tagen stattfinden muß. Für die Orkneh- und Shetlandinseln ist die Frist weiter aus¬ gedehnt. Sonntage und Feiertage werden nicht gerechnet. Diese Ordnung läßt der Wahltaktik einen ziemlich weiten Spielraum, und da der Tag der Abstimmung innerhalb der gegebnen Grenzen ganz in dem persönlichen Belieben jedes einzelnen Wahlvorstehers liegt, so hat er es ganz in der Hand, einen für die Arbeitermassen günstigen oder ungünstigen Tag anzusetzen. Ein liberaler Vorsteher wird einen Sonnabend wählen, ein konser¬ vativer ihn vermeiden. An und für sich kann schon die Regierung in den Burgflecken eine Sonnabendwahl unmöglich machen. Sie hat bloß, wie sie 1900 auch that, die Wahl an einem Dienstag auszuschreiben. Dann ist die amtliche Nachricht am Mittwoch in den Händen des Vorstehers, der frühestens am Sonnabend die Ernennung der Bewerber annehmen kann. Er darf die etwa nötig werdende Abstimmung auf den folgenden Mittwoch ansetzen, aber in keinem Falle länger als Freitag hinausschieben. Die Abstimmung ist jetzt überall geheim mit der einen Ausnahme, ohne die mau in Großbritannien nicht auskommen zu können scheint. Die Wahlen der Universitäten geschehn münd¬ lich oder durch offne Stimmzettel und erstrecken sich über fünf Tage, während sonst die Wahlhandlung eines Kreises auf einen Tag beschränkt ist. Es muß doch irgend ein Zopf bleiben als Erinnerung an die gute alte Zeit. Zopfig mutet es auch an, daß ein einmal gewähltes Mitglied des Unter¬ hauses nicht offen zurücktreten, sondern nur durch eine Hinterthür verschwinden kann. Nach altem Brauche muß eine Neuwahl stattfinden, wenn ein Mitglied ein Amt von der Krone annimmt. Will sich nun ein Abgeordneter zurück- ziehn, so läßt er sich mit dem Amte eines Verwalters der Chiltern Hundert¬ schaft oder dergleichen bekleiden. Es giebt mehrere solcher wesenlosen Ämter, die von parlamentsmüden Leuten begehrt nud ihnen mit ernster Miene ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/70
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/70>, abgerufen am 23.05.2024.