Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Kymistsagen

sich dieses störende Rand'enwerk leicht wegschneiden läßt, und dann bleiben
immer noch Züge übrig, die allerdings Kennzeichen echter Sage sind, ja eine
wichtige Tradition zu bergen scheinen.

Während Fischer den Namen der Kaisertochter, deren Gemahl Adalbert
sei, nicht nennt, wird sie von spätern Bearbeiter" der Sage allgemein als
Margarete, Tochter des Hohenstaufen Friedrichs II,, bezeichnet. Diese Angaben
Passen nur auf eine" Adalbert von Thüringen, den zweiten seines Namens,
den die Geschichte als den Unartiger oder Entarteten kennt. Jedes Familien¬
sinns bar, bereitete er den Seinen schweres Leid, um eines Hoffräuleins
seiner Gattin willen sagte er sich von Frau und Kindern los, und Margarete
war genötigt, im Jahre 1270 von der Wartburg, wo sie ihres Lebens nicht
mehr sicher zu sein glnnbte, zu fliehen und in Frankfurt a. M. eine Zuflucht
zu suchen. Hier starb sie wenig Wochen nach der Flucht. Schließlich ent¬
erbte der unnatürliche Vater seine in rechtmäßiger Ehe gebornen Kinder, und
Friedrich der Freidige und Diezmaun, Margaretens Söhne, führten gegen
Albrecht einen erbitterten Krieg.

Bisher ist es den Bearbeitern der Kynastsage noch gar nicht aufgefallen,
daß der böse Geist in dieser Familientragödie eine Kunigunde ist, die Kurre
oder Kühne von Eisenberg, mit der, wie sich der alte thüringische Chronist
Rivander ausdrückt, "der Landgraf in der Unehe saß." Mag die Herrin des
Khnasts kaum Ähnlichkeit mit dieser thüringischen Kunigunde haben, die Über¬
einstimmung dreier Namen ist doch zu groß, als daß sie sich nicht aufdrängen
sollte, und da sich jene Ereignisse in Thüringen gerade in der Zeit abspielten,
wo eine stärkere Einwaudrung Deutscher in Schlesien stattfand, so liegt die Ver¬
mutung nicht zu fern, daß unsre Vorfahren eine allerdings sehr verblaßte Er¬
innerung an diese fürstliche Familientragödie in die neue Heimat mitgebracht
haben können. Die breite Kluft, die zwischen der Sage und dem wirklichen
Verlauf der Dinge gähnt, ist zudem nicht völlig unüberbrückbar. Albrecht der
Entartete hatte keinen direkt schlechten Charakter, sondern war ein haltloser
Mensch, und es ist wohl denkbar, daß ihn die Reue über das Unwürdige seiner
Handlung oft gepackt, daß er in solchen Stimmungen die Netze des Kebsweibs
zu zerreißen und der Gattin die Treue zu halten gesucht hat. Eine von diesen
dielleicht häufigen Episoden, wo sich der Landgraf von Kurre abwandte, konnte
sich also in unsrer heimischen Sage wiederspiegeln, und diese wäre dann ein
Glied in der Kette von Überlieferungen und kleinen Zügen, die uns teilweise
unen Ersatz bieten für die Dürftigkeit, mit der die geschriebnen Quellen der
nationalen Großthat unsrer Vorfahren gedenken.

Karl Weinhold, unser schlesischer Lnndsmann, hat in seinem Buche über
die Besiedlung Schlesiens einen überzeugenden Beweis erbracht für die ur¬
sprüngliche Heimat und den Weg der deutschen Eiuwcmdrer. Wenn sich der
seltne Name Kauffung(en) bei Kassel, bei Meißen und im obern Katzbachthale
bei dem schlesischen Schönem findet, so kann das kein Spiel des Zufalls,
sondern nur so zu erklären sein, daß die Auswandrer pietätvoll an dem Orts-


Die Kymistsagen

sich dieses störende Rand'enwerk leicht wegschneiden läßt, und dann bleiben
immer noch Züge übrig, die allerdings Kennzeichen echter Sage sind, ja eine
wichtige Tradition zu bergen scheinen.

Während Fischer den Namen der Kaisertochter, deren Gemahl Adalbert
sei, nicht nennt, wird sie von spätern Bearbeiter» der Sage allgemein als
Margarete, Tochter des Hohenstaufen Friedrichs II,, bezeichnet. Diese Angaben
Passen nur auf eine» Adalbert von Thüringen, den zweiten seines Namens,
den die Geschichte als den Unartiger oder Entarteten kennt. Jedes Familien¬
sinns bar, bereitete er den Seinen schweres Leid, um eines Hoffräuleins
seiner Gattin willen sagte er sich von Frau und Kindern los, und Margarete
war genötigt, im Jahre 1270 von der Wartburg, wo sie ihres Lebens nicht
mehr sicher zu sein glnnbte, zu fliehen und in Frankfurt a. M. eine Zuflucht
zu suchen. Hier starb sie wenig Wochen nach der Flucht. Schließlich ent¬
erbte der unnatürliche Vater seine in rechtmäßiger Ehe gebornen Kinder, und
Friedrich der Freidige und Diezmaun, Margaretens Söhne, führten gegen
Albrecht einen erbitterten Krieg.

Bisher ist es den Bearbeitern der Kynastsage noch gar nicht aufgefallen,
daß der böse Geist in dieser Familientragödie eine Kunigunde ist, die Kurre
oder Kühne von Eisenberg, mit der, wie sich der alte thüringische Chronist
Rivander ausdrückt, „der Landgraf in der Unehe saß." Mag die Herrin des
Khnasts kaum Ähnlichkeit mit dieser thüringischen Kunigunde haben, die Über¬
einstimmung dreier Namen ist doch zu groß, als daß sie sich nicht aufdrängen
sollte, und da sich jene Ereignisse in Thüringen gerade in der Zeit abspielten,
wo eine stärkere Einwaudrung Deutscher in Schlesien stattfand, so liegt die Ver¬
mutung nicht zu fern, daß unsre Vorfahren eine allerdings sehr verblaßte Er¬
innerung an diese fürstliche Familientragödie in die neue Heimat mitgebracht
haben können. Die breite Kluft, die zwischen der Sage und dem wirklichen
Verlauf der Dinge gähnt, ist zudem nicht völlig unüberbrückbar. Albrecht der
Entartete hatte keinen direkt schlechten Charakter, sondern war ein haltloser
Mensch, und es ist wohl denkbar, daß ihn die Reue über das Unwürdige seiner
Handlung oft gepackt, daß er in solchen Stimmungen die Netze des Kebsweibs
zu zerreißen und der Gattin die Treue zu halten gesucht hat. Eine von diesen
dielleicht häufigen Episoden, wo sich der Landgraf von Kurre abwandte, konnte
sich also in unsrer heimischen Sage wiederspiegeln, und diese wäre dann ein
Glied in der Kette von Überlieferungen und kleinen Zügen, die uns teilweise
unen Ersatz bieten für die Dürftigkeit, mit der die geschriebnen Quellen der
nationalen Großthat unsrer Vorfahren gedenken.

Karl Weinhold, unser schlesischer Lnndsmann, hat in seinem Buche über
die Besiedlung Schlesiens einen überzeugenden Beweis erbracht für die ur¬
sprüngliche Heimat und den Weg der deutschen Eiuwcmdrer. Wenn sich der
seltne Name Kauffung(en) bei Kassel, bei Meißen und im obern Katzbachthale
bei dem schlesischen Schönem findet, so kann das kein Spiel des Zufalls,
sondern nur so zu erklären sein, daß die Auswandrer pietätvoll an dem Orts-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0085" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235257"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Kymistsagen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_297" prev="#ID_296"> sich dieses störende Rand'enwerk leicht wegschneiden läßt, und dann bleiben<lb/>
immer noch Züge übrig, die allerdings Kennzeichen echter Sage sind, ja eine<lb/>
wichtige Tradition zu bergen scheinen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_298"> Während Fischer den Namen der Kaisertochter, deren Gemahl Adalbert<lb/>
sei, nicht nennt, wird sie von spätern Bearbeiter» der Sage allgemein als<lb/>
Margarete, Tochter des Hohenstaufen Friedrichs II,, bezeichnet. Diese Angaben<lb/>
Passen nur auf eine» Adalbert von Thüringen, den zweiten seines Namens,<lb/>
den die Geschichte als den Unartiger oder Entarteten kennt. Jedes Familien¬<lb/>
sinns bar, bereitete er den Seinen schweres Leid, um eines Hoffräuleins<lb/>
seiner Gattin willen sagte er sich von Frau und Kindern los, und Margarete<lb/>
war genötigt, im Jahre 1270 von der Wartburg, wo sie ihres Lebens nicht<lb/>
mehr sicher zu sein glnnbte, zu fliehen und in Frankfurt a. M. eine Zuflucht<lb/>
zu suchen. Hier starb sie wenig Wochen nach der Flucht. Schließlich ent¬<lb/>
erbte der unnatürliche Vater seine in rechtmäßiger Ehe gebornen Kinder, und<lb/>
Friedrich der Freidige und Diezmaun, Margaretens Söhne, führten gegen<lb/>
Albrecht einen erbitterten Krieg.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_299"> Bisher ist es den Bearbeitern der Kynastsage noch gar nicht aufgefallen,<lb/>
daß der böse Geist in dieser Familientragödie eine Kunigunde ist, die Kurre<lb/>
oder Kühne von Eisenberg, mit der, wie sich der alte thüringische Chronist<lb/>
Rivander ausdrückt, &#x201E;der Landgraf in der Unehe saß." Mag die Herrin des<lb/>
Khnasts kaum Ähnlichkeit mit dieser thüringischen Kunigunde haben, die Über¬<lb/>
einstimmung dreier Namen ist doch zu groß, als daß sie sich nicht aufdrängen<lb/>
sollte, und da sich jene Ereignisse in Thüringen gerade in der Zeit abspielten,<lb/>
wo eine stärkere Einwaudrung Deutscher in Schlesien stattfand, so liegt die Ver¬<lb/>
mutung nicht zu fern, daß unsre Vorfahren eine allerdings sehr verblaßte Er¬<lb/>
innerung an diese fürstliche Familientragödie in die neue Heimat mitgebracht<lb/>
haben können. Die breite Kluft, die zwischen der Sage und dem wirklichen<lb/>
Verlauf der Dinge gähnt, ist zudem nicht völlig unüberbrückbar. Albrecht der<lb/>
Entartete hatte keinen direkt schlechten Charakter, sondern war ein haltloser<lb/>
Mensch, und es ist wohl denkbar, daß ihn die Reue über das Unwürdige seiner<lb/>
Handlung oft gepackt, daß er in solchen Stimmungen die Netze des Kebsweibs<lb/>
zu zerreißen und der Gattin die Treue zu halten gesucht hat. Eine von diesen<lb/>
dielleicht häufigen Episoden, wo sich der Landgraf von Kurre abwandte, konnte<lb/>
sich also in unsrer heimischen Sage wiederspiegeln, und diese wäre dann ein<lb/>
Glied in der Kette von Überlieferungen und kleinen Zügen, die uns teilweise<lb/>
unen Ersatz bieten für die Dürftigkeit, mit der die geschriebnen Quellen der<lb/>
nationalen Großthat unsrer Vorfahren gedenken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_300" next="#ID_301"> Karl Weinhold, unser schlesischer Lnndsmann, hat in seinem Buche über<lb/>
die Besiedlung Schlesiens einen überzeugenden Beweis erbracht für die ur¬<lb/>
sprüngliche Heimat und den Weg der deutschen Eiuwcmdrer. Wenn sich der<lb/>
seltne Name Kauffung(en) bei Kassel, bei Meißen und im obern Katzbachthale<lb/>
bei dem schlesischen Schönem findet, so kann das kein Spiel des Zufalls,<lb/>
sondern nur so zu erklären sein, daß die Auswandrer pietätvoll an dem Orts-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0085] Die Kymistsagen sich dieses störende Rand'enwerk leicht wegschneiden läßt, und dann bleiben immer noch Züge übrig, die allerdings Kennzeichen echter Sage sind, ja eine wichtige Tradition zu bergen scheinen. Während Fischer den Namen der Kaisertochter, deren Gemahl Adalbert sei, nicht nennt, wird sie von spätern Bearbeiter» der Sage allgemein als Margarete, Tochter des Hohenstaufen Friedrichs II,, bezeichnet. Diese Angaben Passen nur auf eine» Adalbert von Thüringen, den zweiten seines Namens, den die Geschichte als den Unartiger oder Entarteten kennt. Jedes Familien¬ sinns bar, bereitete er den Seinen schweres Leid, um eines Hoffräuleins seiner Gattin willen sagte er sich von Frau und Kindern los, und Margarete war genötigt, im Jahre 1270 von der Wartburg, wo sie ihres Lebens nicht mehr sicher zu sein glnnbte, zu fliehen und in Frankfurt a. M. eine Zuflucht zu suchen. Hier starb sie wenig Wochen nach der Flucht. Schließlich ent¬ erbte der unnatürliche Vater seine in rechtmäßiger Ehe gebornen Kinder, und Friedrich der Freidige und Diezmaun, Margaretens Söhne, führten gegen Albrecht einen erbitterten Krieg. Bisher ist es den Bearbeitern der Kynastsage noch gar nicht aufgefallen, daß der böse Geist in dieser Familientragödie eine Kunigunde ist, die Kurre oder Kühne von Eisenberg, mit der, wie sich der alte thüringische Chronist Rivander ausdrückt, „der Landgraf in der Unehe saß." Mag die Herrin des Khnasts kaum Ähnlichkeit mit dieser thüringischen Kunigunde haben, die Über¬ einstimmung dreier Namen ist doch zu groß, als daß sie sich nicht aufdrängen sollte, und da sich jene Ereignisse in Thüringen gerade in der Zeit abspielten, wo eine stärkere Einwaudrung Deutscher in Schlesien stattfand, so liegt die Ver¬ mutung nicht zu fern, daß unsre Vorfahren eine allerdings sehr verblaßte Er¬ innerung an diese fürstliche Familientragödie in die neue Heimat mitgebracht haben können. Die breite Kluft, die zwischen der Sage und dem wirklichen Verlauf der Dinge gähnt, ist zudem nicht völlig unüberbrückbar. Albrecht der Entartete hatte keinen direkt schlechten Charakter, sondern war ein haltloser Mensch, und es ist wohl denkbar, daß ihn die Reue über das Unwürdige seiner Handlung oft gepackt, daß er in solchen Stimmungen die Netze des Kebsweibs zu zerreißen und der Gattin die Treue zu halten gesucht hat. Eine von diesen dielleicht häufigen Episoden, wo sich der Landgraf von Kurre abwandte, konnte sich also in unsrer heimischen Sage wiederspiegeln, und diese wäre dann ein Glied in der Kette von Überlieferungen und kleinen Zügen, die uns teilweise unen Ersatz bieten für die Dürftigkeit, mit der die geschriebnen Quellen der nationalen Großthat unsrer Vorfahren gedenken. Karl Weinhold, unser schlesischer Lnndsmann, hat in seinem Buche über die Besiedlung Schlesiens einen überzeugenden Beweis erbracht für die ur¬ sprüngliche Heimat und den Weg der deutschen Eiuwcmdrer. Wenn sich der seltne Name Kauffung(en) bei Kassel, bei Meißen und im obern Katzbachthale bei dem schlesischen Schönem findet, so kann das kein Spiel des Zufalls, sondern nur so zu erklären sein, daß die Auswandrer pietätvoll an dem Orts-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/85
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/85>, abgerufen am 27.05.2024.