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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Das vorgehn Rußlands gegen Persien

im Jahre 1887 wurde das russische Gebiet weiter vergrößert, indem Merw besetzt
wurde, nachdem die Merw-Turkmenen um Aufnahme in den russischen Unter¬
thanenverband gebeten hatten. Dies war wieder ein schwerer Schlag für Persien.
Denn wenn auch hier die persische Oberhoheit nur dem Scheine nach vor¬
handen war, so war sie doch mehrfach von den Telles anerkannt worden.

In den nun folgenden Grenzregulierungen wurde noch manches Stück
Persiens in russische Gewalt gebracht, denn die hierbei besetzten Gebiete südlich
vom Kvpet Dagh, sowie die Gebiete von Kulkalah, Germah und Kelta Chenar
waren rein persische Landesteile. Das langsame russische Fortschreiten an
dieser Nordgrenze Persiens soll auch jetzt noch nicht zum Stillstand gekommen
sein. Da man in dieser Beziehung den persischen Beschwerden wohl Glauben
schenken darf, soll rnssischerseits die festgelegte Grenze sehr oft Änderungen zu
russischem Vorteil unterworfen sein. Wenn nun auch seit dem Vertrag von
Turkvmanchai keine Feindseligkeiten mehr vorgekommen sind, und offiziell kein
Gebiet mehr abgetreten wurde, so muß mau doch bei diesen Eroberungen östlich
vom Kaspischen Meer in Betracht ziehn, daß sie zum Teil einst persisch warm
oder unter persischer Oberhoheit standen. Andrerseits muß man zwar auch zu¬
geben, daß Rußland Persien manchen Dienst erwiesen hat. Denn nach der
Eroberung von Chiwa, Geol Tepe und Merw befreite Rußland mehrere tausend
Gefangne und überlieferte sie der persischen Regierung. Weiter machte es
durch die Unterwerfung der Turkmenen diese Stämme seßhaft und befreite so
die nördliche Grenze Persiens, die seit Jahrhunderten unendlich unter deren
Raubzügen gelitten hatte, von den Einfüllen dieser räuberischen Nachbarn. So¬
dann stellte es die Herrschaft der persischen Zentralregierung in diesen nörd¬
lichen Landesteilen her, da die persische Regierung im Vertrauen auf die nun
besiegten feindlichen Nachbarn an deu Grenzen auch Vertrauen zu sich selbst
gewunn. Wenn auch dies alles einem gewissen russische" Egoismus entspringt,
so steht es doch außer Zweifel, daß Rußland hier eine schwere und große
Kulturaufgabe hinter sich hat, und Zentralasien allein und nur durch Ru߬
land, indem dieses geordnete Verhältnisse hier schaffte, der Zivilisation er¬
öffnet wurde.

Die diesen Kriegen folgende wohldurchdachte Friedensarbeit hat Ru߬
lands militärische Stellung unantastbar gemacht, und der Ausbau der Bahn
und die Anhüufuug gewaltiger Truppemuassen haben ihm auch hier eine Basis
geschaffen, auf der es mit Sicherheit weiterbaucn kann und wird.




Während nnn in Persien im Verlauf der letzten fünfzig Jahre der mora¬
lische Eindruck der russische,, Erfolge unausgesetzt wirkte, und man hauptsächlich
durch die Einnahme und Besiegung vou Samarkand. Chiwa und Buchara, die
seit Jahrhunderten in Asien als unbesiegbar gegolten hatten, und durch die
Erfolge im Kriege 1877/78 gegen die Türkei, die größte mohammedattische
Macht Asiens und den Erbfeind Persiens. von der Unwiderstehlichkeit dieses
nordischen Nachbarn vollkommen überzeugt wurde, so war auch andrerseits die


Das vorgehn Rußlands gegen Persien

im Jahre 1887 wurde das russische Gebiet weiter vergrößert, indem Merw besetzt
wurde, nachdem die Merw-Turkmenen um Aufnahme in den russischen Unter¬
thanenverband gebeten hatten. Dies war wieder ein schwerer Schlag für Persien.
Denn wenn auch hier die persische Oberhoheit nur dem Scheine nach vor¬
handen war, so war sie doch mehrfach von den Telles anerkannt worden.

In den nun folgenden Grenzregulierungen wurde noch manches Stück
Persiens in russische Gewalt gebracht, denn die hierbei besetzten Gebiete südlich
vom Kvpet Dagh, sowie die Gebiete von Kulkalah, Germah und Kelta Chenar
waren rein persische Landesteile. Das langsame russische Fortschreiten an
dieser Nordgrenze Persiens soll auch jetzt noch nicht zum Stillstand gekommen
sein. Da man in dieser Beziehung den persischen Beschwerden wohl Glauben
schenken darf, soll rnssischerseits die festgelegte Grenze sehr oft Änderungen zu
russischem Vorteil unterworfen sein. Wenn nun auch seit dem Vertrag von
Turkvmanchai keine Feindseligkeiten mehr vorgekommen sind, und offiziell kein
Gebiet mehr abgetreten wurde, so muß mau doch bei diesen Eroberungen östlich
vom Kaspischen Meer in Betracht ziehn, daß sie zum Teil einst persisch warm
oder unter persischer Oberhoheit standen. Andrerseits muß man zwar auch zu¬
geben, daß Rußland Persien manchen Dienst erwiesen hat. Denn nach der
Eroberung von Chiwa, Geol Tepe und Merw befreite Rußland mehrere tausend
Gefangne und überlieferte sie der persischen Regierung. Weiter machte es
durch die Unterwerfung der Turkmenen diese Stämme seßhaft und befreite so
die nördliche Grenze Persiens, die seit Jahrhunderten unendlich unter deren
Raubzügen gelitten hatte, von den Einfüllen dieser räuberischen Nachbarn. So¬
dann stellte es die Herrschaft der persischen Zentralregierung in diesen nörd¬
lichen Landesteilen her, da die persische Regierung im Vertrauen auf die nun
besiegten feindlichen Nachbarn an deu Grenzen auch Vertrauen zu sich selbst
gewunn. Wenn auch dies alles einem gewissen russische» Egoismus entspringt,
so steht es doch außer Zweifel, daß Rußland hier eine schwere und große
Kulturaufgabe hinter sich hat, und Zentralasien allein und nur durch Ru߬
land, indem dieses geordnete Verhältnisse hier schaffte, der Zivilisation er¬
öffnet wurde.

Die diesen Kriegen folgende wohldurchdachte Friedensarbeit hat Ru߬
lands militärische Stellung unantastbar gemacht, und der Ausbau der Bahn
und die Anhüufuug gewaltiger Truppemuassen haben ihm auch hier eine Basis
geschaffen, auf der es mit Sicherheit weiterbaucn kann und wird.




Während nnn in Persien im Verlauf der letzten fünfzig Jahre der mora¬
lische Eindruck der russische,, Erfolge unausgesetzt wirkte, und man hauptsächlich
durch die Einnahme und Besiegung vou Samarkand. Chiwa und Buchara, die
seit Jahrhunderten in Asien als unbesiegbar gegolten hatten, und durch die
Erfolge im Kriege 1877/78 gegen die Türkei, die größte mohammedattische
Macht Asiens und den Erbfeind Persiens. von der Unwiderstehlichkeit dieses
nordischen Nachbarn vollkommen überzeugt wurde, so war auch andrerseits die


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[0237] Das vorgehn Rußlands gegen Persien im Jahre 1887 wurde das russische Gebiet weiter vergrößert, indem Merw besetzt wurde, nachdem die Merw-Turkmenen um Aufnahme in den russischen Unter¬ thanenverband gebeten hatten. Dies war wieder ein schwerer Schlag für Persien. Denn wenn auch hier die persische Oberhoheit nur dem Scheine nach vor¬ handen war, so war sie doch mehrfach von den Telles anerkannt worden. In den nun folgenden Grenzregulierungen wurde noch manches Stück Persiens in russische Gewalt gebracht, denn die hierbei besetzten Gebiete südlich vom Kvpet Dagh, sowie die Gebiete von Kulkalah, Germah und Kelta Chenar waren rein persische Landesteile. Das langsame russische Fortschreiten an dieser Nordgrenze Persiens soll auch jetzt noch nicht zum Stillstand gekommen sein. Da man in dieser Beziehung den persischen Beschwerden wohl Glauben schenken darf, soll rnssischerseits die festgelegte Grenze sehr oft Änderungen zu russischem Vorteil unterworfen sein. Wenn nun auch seit dem Vertrag von Turkvmanchai keine Feindseligkeiten mehr vorgekommen sind, und offiziell kein Gebiet mehr abgetreten wurde, so muß mau doch bei diesen Eroberungen östlich vom Kaspischen Meer in Betracht ziehn, daß sie zum Teil einst persisch warm oder unter persischer Oberhoheit standen. Andrerseits muß man zwar auch zu¬ geben, daß Rußland Persien manchen Dienst erwiesen hat. Denn nach der Eroberung von Chiwa, Geol Tepe und Merw befreite Rußland mehrere tausend Gefangne und überlieferte sie der persischen Regierung. Weiter machte es durch die Unterwerfung der Turkmenen diese Stämme seßhaft und befreite so die nördliche Grenze Persiens, die seit Jahrhunderten unendlich unter deren Raubzügen gelitten hatte, von den Einfüllen dieser räuberischen Nachbarn. So¬ dann stellte es die Herrschaft der persischen Zentralregierung in diesen nörd¬ lichen Landesteilen her, da die persische Regierung im Vertrauen auf die nun besiegten feindlichen Nachbarn an deu Grenzen auch Vertrauen zu sich selbst gewunn. Wenn auch dies alles einem gewissen russische» Egoismus entspringt, so steht es doch außer Zweifel, daß Rußland hier eine schwere und große Kulturaufgabe hinter sich hat, und Zentralasien allein und nur durch Ru߬ land, indem dieses geordnete Verhältnisse hier schaffte, der Zivilisation er¬ öffnet wurde. Die diesen Kriegen folgende wohldurchdachte Friedensarbeit hat Ru߬ lands militärische Stellung unantastbar gemacht, und der Ausbau der Bahn und die Anhüufuug gewaltiger Truppemuassen haben ihm auch hier eine Basis geschaffen, auf der es mit Sicherheit weiterbaucn kann und wird. Während nnn in Persien im Verlauf der letzten fünfzig Jahre der mora¬ lische Eindruck der russische,, Erfolge unausgesetzt wirkte, und man hauptsächlich durch die Einnahme und Besiegung vou Samarkand. Chiwa und Buchara, die seit Jahrhunderten in Asien als unbesiegbar gegolten hatten, und durch die Erfolge im Kriege 1877/78 gegen die Türkei, die größte mohammedattische Macht Asiens und den Erbfeind Persiens. von der Unwiderstehlichkeit dieses nordischen Nachbarn vollkommen überzeugt wurde, so war auch andrerseits die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/237>, abgerufen am 05.06.2024.