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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

wollen uns aber auf einen objektiven Standpunkt stellen und zeigen, wie wir in
uns selbst zusammengesunken sind.

Es ist unzweifelhaft, daß es Rangunterschiede in der Welt nicht nur giebt,
sondern geben muß. Wenn ich von meinem Herrgott spreche und an mich denke,
so fällt der Unterschied sofort auf. Für mich ist er schlechthin der Herr, und ich
bin schlechthin der Knecht. Aber das Verhältnis setzt sich fort. Wenn wir anch
ganz von dem vitmcm absehen, zwischen dem und uns der Schöpfer doch eigentlich
ganz klärlich ein Abhäigigkeitsverhältnis bestimmt hatte, so giebt es doch anch
andre Fälle, wo dieses Verhältnis außer Zweifel steht. Mein Junge sollte sich
untersiehn, gegen mich als den p-i-toi- tÄmiIüi.8 aufzumucksen. Es geht schon ans der
Wurzel pu,, schützen, hervor (angels. lM-in ^ engl. loca, füttern), von der man das
Wort Vater herleitet, daß ich die Suprematie über ihn habe. Ich schütze und füttre
aber uuter Umständen nicht bloß meine leiblichen Nachkommen, sondern auch andre,
die ihren Vorteil darin finden, mir Dienste dafür zu leisten. In patriarchalischen
Verhältnissen wird sich so etwas ganz gemütlich und freiwillig arrangieren. Der
eine wird der Herr, der andre der Knecht (was ursprünglich gleichbedeutend mit
Knabe, also mit dem Verhältnis zwischen mir und meinen. Jungen, von Vater und
Sohn ist) sein! "icht einmal die Sozialdemokraten kommen ohne solche Abhängigkeits¬
verhältnisse aus, ganz abgesehen vom engsten Familienkreis, für den sie sogar das
Prinzip der Prügelstrafe aufrecht zu erhalten scheinen.

Herr und Knecht sind also ein natürliches Verhältnis. Wie weit aber setzt
es sich "naturgemäß" fort? Bei der Untersuchung dieser Frage kommen wir zu
der auffallenden Thatsache, daß wir sie nur retrospizierend beantworten können.
Was heißt überhaupt "Herr"? Die Wissenschaft antwortet -- wir folgen Heyne
und Paul --: Zunächst war Herr eine Bezeichnung, die der Abhängige "dem¬
jenigen" beilegte, dem er unterstellt war. Sie hängt vermittelst der Etymologie
mit "hehr," das eigentlich grau und greif bedeutet, zusammen, und bedeutet also
soviel wie ehrwürdig, und damit erhaben, und ist eine Kvmparativform von hehr;
also der Erhabnere, d. h. der Oberherr, Gebieter, Besitzer, Eigentümer. Später
wurde eine Standesbezeichnung daraus, die Etikette verlangte frühzeitig, daß man
den Höhergestellten, auch wenn man nicht von ihm abhängig war, als bsiio und
sogar wen 'dßrro anredete, demnächst wurde es Forderung der Höflichkeit, auch dem
Gleichgestellten dieses Prädikat zu geben. Es wurde eine Zeit lang das Zeichen
des Adels. Zunächst aber kam der Titel nur den reichsfreien Adlichen") zu, die in
der Würde nach Fürsten und Grafen folgen und dem einfachen Edelmann vorauf¬
gehn ("Graf, Herr oder vom Adel"); später dann allen Mitgliedern des höher"
und des niedern Adels, weiter allen in irgend eiuer Weise regierenden Personen,
den Geistlichen und den obrigkeitlichen Personen, und endlich jedem Mann von ge¬
selliger Bildung und äußerlich anständiger Erscheinung -- ganz natürlich, denn
darin waren wohl die Patrizier und Regierenden der Städte späterer Zeit den
Standesherren der ältern Zeiten in mancher Beziehung sogar "über." Früher hatte
das einfache Herr auch für den Höchsten genügt, wie denn Hans Bendix, der
Schäfer, in der schönen Ballade "Der Kaiser und der Abt" bei Bürger sagt: "Herr
Kaiser, groß hab ich soeben nichts nötig," und in Chcnnissos "Kleidermachermut"
die Schneidergesellen, die nichts von den Schneidermamsellen wissen wollen," fordern:
"Herr König, das sollst du uns schwören." Das preußische Herrenhaus und das
"och übliche Wort "Standesherren" sind Reste aus der Zeit der größern Vornehmheit
des Wortes.

Was sehen wir uun aber ans alledem? Daß es mit unsrer Herrlichkeit immer



") Es fällt wahrscheinlich auch hier wieder auf, das; wir "adlich" mit dem es schreiben,
aber wir bringen es nicht übers Herz und werden es trotz aller Kultusministerien und Recht-
Melbungen nie thun, dieses Wort in die Reihe: fettig, ölig, schmierig, dreckig usw. zu setzen,
Med ihm die gebührende Stelle in der Reihe: kaiserlich, königlich, fürstlich, gräflich, bürgerlich
""zuweisen. , - , ,, - >
Maßgebliches und Unmaßgebliches

wollen uns aber auf einen objektiven Standpunkt stellen und zeigen, wie wir in
uns selbst zusammengesunken sind.

Es ist unzweifelhaft, daß es Rangunterschiede in der Welt nicht nur giebt,
sondern geben muß. Wenn ich von meinem Herrgott spreche und an mich denke,
so fällt der Unterschied sofort auf. Für mich ist er schlechthin der Herr, und ich
bin schlechthin der Knecht. Aber das Verhältnis setzt sich fort. Wenn wir anch
ganz von dem vitmcm absehen, zwischen dem und uns der Schöpfer doch eigentlich
ganz klärlich ein Abhäigigkeitsverhältnis bestimmt hatte, so giebt es doch anch
andre Fälle, wo dieses Verhältnis außer Zweifel steht. Mein Junge sollte sich
untersiehn, gegen mich als den p-i-toi- tÄmiIüi.8 aufzumucksen. Es geht schon ans der
Wurzel pu,, schützen, hervor (angels. lM-in ^ engl. loca, füttern), von der man das
Wort Vater herleitet, daß ich die Suprematie über ihn habe. Ich schütze und füttre
aber uuter Umständen nicht bloß meine leiblichen Nachkommen, sondern auch andre,
die ihren Vorteil darin finden, mir Dienste dafür zu leisten. In patriarchalischen
Verhältnissen wird sich so etwas ganz gemütlich und freiwillig arrangieren. Der
eine wird der Herr, der andre der Knecht (was ursprünglich gleichbedeutend mit
Knabe, also mit dem Verhältnis zwischen mir und meinen. Jungen, von Vater und
Sohn ist) sein! "icht einmal die Sozialdemokraten kommen ohne solche Abhängigkeits¬
verhältnisse aus, ganz abgesehen vom engsten Familienkreis, für den sie sogar das
Prinzip der Prügelstrafe aufrecht zu erhalten scheinen.

Herr und Knecht sind also ein natürliches Verhältnis. Wie weit aber setzt
es sich „naturgemäß" fort? Bei der Untersuchung dieser Frage kommen wir zu
der auffallenden Thatsache, daß wir sie nur retrospizierend beantworten können.
Was heißt überhaupt „Herr"? Die Wissenschaft antwortet — wir folgen Heyne
und Paul —: Zunächst war Herr eine Bezeichnung, die der Abhängige „dem¬
jenigen" beilegte, dem er unterstellt war. Sie hängt vermittelst der Etymologie
mit „hehr," das eigentlich grau und greif bedeutet, zusammen, und bedeutet also
soviel wie ehrwürdig, und damit erhaben, und ist eine Kvmparativform von hehr;
also der Erhabnere, d. h. der Oberherr, Gebieter, Besitzer, Eigentümer. Später
wurde eine Standesbezeichnung daraus, die Etikette verlangte frühzeitig, daß man
den Höhergestellten, auch wenn man nicht von ihm abhängig war, als bsiio und
sogar wen 'dßrro anredete, demnächst wurde es Forderung der Höflichkeit, auch dem
Gleichgestellten dieses Prädikat zu geben. Es wurde eine Zeit lang das Zeichen
des Adels. Zunächst aber kam der Titel nur den reichsfreien Adlichen") zu, die in
der Würde nach Fürsten und Grafen folgen und dem einfachen Edelmann vorauf¬
gehn („Graf, Herr oder vom Adel"); später dann allen Mitgliedern des höher«
und des niedern Adels, weiter allen in irgend eiuer Weise regierenden Personen,
den Geistlichen und den obrigkeitlichen Personen, und endlich jedem Mann von ge¬
selliger Bildung und äußerlich anständiger Erscheinung — ganz natürlich, denn
darin waren wohl die Patrizier und Regierenden der Städte späterer Zeit den
Standesherren der ältern Zeiten in mancher Beziehung sogar „über." Früher hatte
das einfache Herr auch für den Höchsten genügt, wie denn Hans Bendix, der
Schäfer, in der schönen Ballade „Der Kaiser und der Abt" bei Bürger sagt: „Herr
Kaiser, groß hab ich soeben nichts nötig," und in Chcnnissos „Kleidermachermut"
die Schneidergesellen, die nichts von den Schneidermamsellen wissen wollen," fordern:
»Herr König, das sollst du uns schwören." Das preußische Herrenhaus und das
»och übliche Wort „Standesherren" sind Reste aus der Zeit der größern Vornehmheit
des Wortes.

Was sehen wir uun aber ans alledem? Daß es mit unsrer Herrlichkeit immer



") Es fällt wahrscheinlich auch hier wieder auf, das; wir „adlich" mit dem es schreiben,
aber wir bringen es nicht übers Herz und werden es trotz aller Kultusministerien und Recht-
Melbungen nie thun, dieses Wort in die Reihe: fettig, ölig, schmierig, dreckig usw. zu setzen,
Med ihm die gebührende Stelle in der Reihe: kaiserlich, königlich, fürstlich, gräflich, bürgerlich
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[0637] Maßgebliches und Unmaßgebliches wollen uns aber auf einen objektiven Standpunkt stellen und zeigen, wie wir in uns selbst zusammengesunken sind. Es ist unzweifelhaft, daß es Rangunterschiede in der Welt nicht nur giebt, sondern geben muß. Wenn ich von meinem Herrgott spreche und an mich denke, so fällt der Unterschied sofort auf. Für mich ist er schlechthin der Herr, und ich bin schlechthin der Knecht. Aber das Verhältnis setzt sich fort. Wenn wir anch ganz von dem vitmcm absehen, zwischen dem und uns der Schöpfer doch eigentlich ganz klärlich ein Abhäigigkeitsverhältnis bestimmt hatte, so giebt es doch anch andre Fälle, wo dieses Verhältnis außer Zweifel steht. Mein Junge sollte sich untersiehn, gegen mich als den p-i-toi- tÄmiIüi.8 aufzumucksen. Es geht schon ans der Wurzel pu,, schützen, hervor (angels. lM-in ^ engl. loca, füttern), von der man das Wort Vater herleitet, daß ich die Suprematie über ihn habe. Ich schütze und füttre aber uuter Umständen nicht bloß meine leiblichen Nachkommen, sondern auch andre, die ihren Vorteil darin finden, mir Dienste dafür zu leisten. In patriarchalischen Verhältnissen wird sich so etwas ganz gemütlich und freiwillig arrangieren. Der eine wird der Herr, der andre der Knecht (was ursprünglich gleichbedeutend mit Knabe, also mit dem Verhältnis zwischen mir und meinen. Jungen, von Vater und Sohn ist) sein! "icht einmal die Sozialdemokraten kommen ohne solche Abhängigkeits¬ verhältnisse aus, ganz abgesehen vom engsten Familienkreis, für den sie sogar das Prinzip der Prügelstrafe aufrecht zu erhalten scheinen. Herr und Knecht sind also ein natürliches Verhältnis. Wie weit aber setzt es sich „naturgemäß" fort? Bei der Untersuchung dieser Frage kommen wir zu der auffallenden Thatsache, daß wir sie nur retrospizierend beantworten können. Was heißt überhaupt „Herr"? Die Wissenschaft antwortet — wir folgen Heyne und Paul —: Zunächst war Herr eine Bezeichnung, die der Abhängige „dem¬ jenigen" beilegte, dem er unterstellt war. Sie hängt vermittelst der Etymologie mit „hehr," das eigentlich grau und greif bedeutet, zusammen, und bedeutet also soviel wie ehrwürdig, und damit erhaben, und ist eine Kvmparativform von hehr; also der Erhabnere, d. h. der Oberherr, Gebieter, Besitzer, Eigentümer. Später wurde eine Standesbezeichnung daraus, die Etikette verlangte frühzeitig, daß man den Höhergestellten, auch wenn man nicht von ihm abhängig war, als bsiio und sogar wen 'dßrro anredete, demnächst wurde es Forderung der Höflichkeit, auch dem Gleichgestellten dieses Prädikat zu geben. Es wurde eine Zeit lang das Zeichen des Adels. Zunächst aber kam der Titel nur den reichsfreien Adlichen") zu, die in der Würde nach Fürsten und Grafen folgen und dem einfachen Edelmann vorauf¬ gehn („Graf, Herr oder vom Adel"); später dann allen Mitgliedern des höher« und des niedern Adels, weiter allen in irgend eiuer Weise regierenden Personen, den Geistlichen und den obrigkeitlichen Personen, und endlich jedem Mann von ge¬ selliger Bildung und äußerlich anständiger Erscheinung — ganz natürlich, denn darin waren wohl die Patrizier und Regierenden der Städte späterer Zeit den Standesherren der ältern Zeiten in mancher Beziehung sogar „über." Früher hatte das einfache Herr auch für den Höchsten genügt, wie denn Hans Bendix, der Schäfer, in der schönen Ballade „Der Kaiser und der Abt" bei Bürger sagt: „Herr Kaiser, groß hab ich soeben nichts nötig," und in Chcnnissos „Kleidermachermut" die Schneidergesellen, die nichts von den Schneidermamsellen wissen wollen," fordern: »Herr König, das sollst du uns schwören." Das preußische Herrenhaus und das »och übliche Wort „Standesherren" sind Reste aus der Zeit der größern Vornehmheit des Wortes. Was sehen wir uun aber ans alledem? Daß es mit unsrer Herrlichkeit immer ") Es fällt wahrscheinlich auch hier wieder auf, das; wir „adlich" mit dem es schreiben, aber wir bringen es nicht übers Herz und werden es trotz aller Kultusministerien und Recht- Melbungen nie thun, dieses Wort in die Reihe: fettig, ölig, schmierig, dreckig usw. zu setzen, Med ihm die gebührende Stelle in der Reihe: kaiserlich, königlich, fürstlich, gräflich, bürgerlich »"zuweisen. , - , ,, - >

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/637>, abgerufen am 28.05.2024.