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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

Diese Vorkommnisse waren nicht geeignet, bei den Beteiligten die Frende an
dem patriotischen Konzert zu steigern, das läßt sich leicht einsehen. Daß die gnädige
Frau nicht hingehn werde, stand sowieso fest, einesteils wegen ihres allgemeinen
Leidens, midernteils, weil ihr doch nicht zugemutet werden konnte, sich auf eine
Holzbank zu setzen. Aber auch der Herr Oberstleutnant wäre gern zu Haus ge¬
blieben. Doch das ging nicht. Die patriotische Pflicht rief, und er war nicht der
Mann, sich um eine Pflicht herumzudrücken. Und Ellen konnte ihren Pa nicht allein
lassen und mußte ebenfalls erscheinen. Jork aber, der sehr einsilbig gewesen war,
erklärte, als er erfahren hatte, daß Lydia das Konzert besuchen werde, zur Über¬
raschung aller, er werde jedenfalls auch hingehn.

Zur festgesetzten Zeit erschien die Vergkapelle, diesesmal nicht mit Federbüschen,
sondern in Zivil, denn der Direktor hatte es so haben wollen. Patriotismus,
meinte er, sei kein Königs-Geburtstag, sondern Privatsache. Bald darauf sah man
Olmann, Jdchen und Fran Duttmüller, nämlich die alte Duttmüllern, die sich jetzt
schon fast dauernd in Holzweißig aufhielt, den Kirschberg emporsteigen. Sie thaten
es mit großer Wichtigkeit, denn sie betrachteten sich nicht als gewöhnliches Publikum,
sondern als Hauptpersonen, die zwar nicht gerade die Musik selber machten, aber
doch mit der Kapelle verschwägert und befreundet waren. Und man mußte doch
zeitig kommen, um einen guten Platz zu erhalten. -- Dann erschien der Herr Oberst¬
leutnant, das heißt, er saß in feinem Rollstuhle und wurde von Klapphorn im
Schweiße seines Angesichts auf den Kirschberg befördert. Hinterher gingen Ellen
und Lydia. Nach geraumer Zeit setzten sich die bäuerlichen Notabilitäten in Gang.
Voraus die Frau Schulzen und ihre Freundschaft, und in gemessenem Abstände die
zugehörigen Männer mit der frisch angesteckten Zigarre im Munde. Man hatte
zwar unter sich mit großem Eifer über das Konzert gesprochen, die besten Kleider
herausgesucht und sich auf den Tag gefreut -- deun was hatte man denn sonst in
Holzweißig für Zeitvertreib? --, aber man durfte das beileibe nicht merken lassen.
Darum ging man hübsch langsam und mit gleichgiltiger Miene, als wäre man noch
unentschlossen, ob man überhaupt das Konzert seiner Gegenwart würdigen wollte.
Dann erschien der Herr Kantor in seinem Obstgarten hinterm Stakete, kontrollierte
den Standpunkt des Wetters und sah nach, ob sich der Festplatz -- er konnte von
seinem Garten aus gerade Hinsehen -- genügend gefüllt habe. Danach hielt er es
für angemessen, sein Manuskript in der Brusttasche, sich in Bewegung zu setzen,
und es seiner Fran zu überlassen, nachzukommen, wann und wie sie konnte. Dann
erschienen die Beamten von Heinrichshall, der Direktor, Wandrer, Doktor Olbrich,
der Obersteiger, der alte Lchmbrand und wer sonst noch dienstfrei war, teils zu
Wagen, teils zu Fuß. Dann ging die Sache los mit Armeemarsch Ur. 4, der ja
Zum eisernen Bestände gehörte. Drillhose machte seine Sache gar nicht schlecht. Er
dirigierte nach den besten militärischen Mustern mit Schneidigkeit und Intelligenz,
"blitzte auf zum Himmel, blitzte zur Erde hinab" und hatte sowohl das schwere
Bombardon als auch die leichtfertige" Klarinetten in Zaum und Zügel, und alles
war darin einig, so feine Musik sei in Holzweißig noch nie gemacht worden. Sogar
gewisse böse Stellen in der Ouvertüre gingen gnädig vorüber, und das große
patriotische Potpourri mit Signalen, Trommelwirbeln und Paukenschlägeu war wahr¬
haft großartig und geeignet, die Vaterlandsliebe aller Anniesenden in hellerm Feuer
erglühen zu macheu.

Der Platz hatte sich mit der Zeit leidlich gefüllt. Es waren auch Einwohner
erschienen, die, ihrer sozialen Stellung und der Zahl ihrer Morgen Acker entsprechend,
uicht eigentlich zu deu staatserhaltenden Elementen gerechnet werden konnten, die
aber doch ein Interesse für Musik und Getränke hatten. Auch das alte Weib mit
ihrem Hvkerkram und ihren Zinnpfeifen für die liebe Jugend war wieder da und
bewirkte, daß es im weiten Umkreise um den Kirschberg in den schrillsten Tönen
Zirpte, wenn die Musikanten ihre Instrumente absetzten. Im Hintergründe, gleichsam
"uf dem ersten Range, hatte sich die weibliche "Hootwvlleh" niedergelassen. Ernst


Doktor Duttmüller und sein Freund

Diese Vorkommnisse waren nicht geeignet, bei den Beteiligten die Frende an
dem patriotischen Konzert zu steigern, das läßt sich leicht einsehen. Daß die gnädige
Frau nicht hingehn werde, stand sowieso fest, einesteils wegen ihres allgemeinen
Leidens, midernteils, weil ihr doch nicht zugemutet werden konnte, sich auf eine
Holzbank zu setzen. Aber auch der Herr Oberstleutnant wäre gern zu Haus ge¬
blieben. Doch das ging nicht. Die patriotische Pflicht rief, und er war nicht der
Mann, sich um eine Pflicht herumzudrücken. Und Ellen konnte ihren Pa nicht allein
lassen und mußte ebenfalls erscheinen. Jork aber, der sehr einsilbig gewesen war,
erklärte, als er erfahren hatte, daß Lydia das Konzert besuchen werde, zur Über¬
raschung aller, er werde jedenfalls auch hingehn.

Zur festgesetzten Zeit erschien die Vergkapelle, diesesmal nicht mit Federbüschen,
sondern in Zivil, denn der Direktor hatte es so haben wollen. Patriotismus,
meinte er, sei kein Königs-Geburtstag, sondern Privatsache. Bald darauf sah man
Olmann, Jdchen und Fran Duttmüller, nämlich die alte Duttmüllern, die sich jetzt
schon fast dauernd in Holzweißig aufhielt, den Kirschberg emporsteigen. Sie thaten
es mit großer Wichtigkeit, denn sie betrachteten sich nicht als gewöhnliches Publikum,
sondern als Hauptpersonen, die zwar nicht gerade die Musik selber machten, aber
doch mit der Kapelle verschwägert und befreundet waren. Und man mußte doch
zeitig kommen, um einen guten Platz zu erhalten. — Dann erschien der Herr Oberst¬
leutnant, das heißt, er saß in feinem Rollstuhle und wurde von Klapphorn im
Schweiße seines Angesichts auf den Kirschberg befördert. Hinterher gingen Ellen
und Lydia. Nach geraumer Zeit setzten sich die bäuerlichen Notabilitäten in Gang.
Voraus die Frau Schulzen und ihre Freundschaft, und in gemessenem Abstände die
zugehörigen Männer mit der frisch angesteckten Zigarre im Munde. Man hatte
zwar unter sich mit großem Eifer über das Konzert gesprochen, die besten Kleider
herausgesucht und sich auf den Tag gefreut — deun was hatte man denn sonst in
Holzweißig für Zeitvertreib? —, aber man durfte das beileibe nicht merken lassen.
Darum ging man hübsch langsam und mit gleichgiltiger Miene, als wäre man noch
unentschlossen, ob man überhaupt das Konzert seiner Gegenwart würdigen wollte.
Dann erschien der Herr Kantor in seinem Obstgarten hinterm Stakete, kontrollierte
den Standpunkt des Wetters und sah nach, ob sich der Festplatz — er konnte von
seinem Garten aus gerade Hinsehen — genügend gefüllt habe. Danach hielt er es
für angemessen, sein Manuskript in der Brusttasche, sich in Bewegung zu setzen,
und es seiner Fran zu überlassen, nachzukommen, wann und wie sie konnte. Dann
erschienen die Beamten von Heinrichshall, der Direktor, Wandrer, Doktor Olbrich,
der Obersteiger, der alte Lchmbrand und wer sonst noch dienstfrei war, teils zu
Wagen, teils zu Fuß. Dann ging die Sache los mit Armeemarsch Ur. 4, der ja
Zum eisernen Bestände gehörte. Drillhose machte seine Sache gar nicht schlecht. Er
dirigierte nach den besten militärischen Mustern mit Schneidigkeit und Intelligenz,
»blitzte auf zum Himmel, blitzte zur Erde hinab" und hatte sowohl das schwere
Bombardon als auch die leichtfertige« Klarinetten in Zaum und Zügel, und alles
war darin einig, so feine Musik sei in Holzweißig noch nie gemacht worden. Sogar
gewisse böse Stellen in der Ouvertüre gingen gnädig vorüber, und das große
patriotische Potpourri mit Signalen, Trommelwirbeln und Paukenschlägeu war wahr¬
haft großartig und geeignet, die Vaterlandsliebe aller Anniesenden in hellerm Feuer
erglühen zu macheu.

Der Platz hatte sich mit der Zeit leidlich gefüllt. Es waren auch Einwohner
erschienen, die, ihrer sozialen Stellung und der Zahl ihrer Morgen Acker entsprechend,
uicht eigentlich zu deu staatserhaltenden Elementen gerechnet werden konnten, die
aber doch ein Interesse für Musik und Getränke hatten. Auch das alte Weib mit
ihrem Hvkerkram und ihren Zinnpfeifen für die liebe Jugend war wieder da und
bewirkte, daß es im weiten Umkreise um den Kirschberg in den schrillsten Tönen
Zirpte, wenn die Musikanten ihre Instrumente absetzten. Im Hintergründe, gleichsam
"uf dem ersten Range, hatte sich die weibliche „Hootwvlleh" niedergelassen. Ernst


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[0163] Doktor Duttmüller und sein Freund Diese Vorkommnisse waren nicht geeignet, bei den Beteiligten die Frende an dem patriotischen Konzert zu steigern, das läßt sich leicht einsehen. Daß die gnädige Frau nicht hingehn werde, stand sowieso fest, einesteils wegen ihres allgemeinen Leidens, midernteils, weil ihr doch nicht zugemutet werden konnte, sich auf eine Holzbank zu setzen. Aber auch der Herr Oberstleutnant wäre gern zu Haus ge¬ blieben. Doch das ging nicht. Die patriotische Pflicht rief, und er war nicht der Mann, sich um eine Pflicht herumzudrücken. Und Ellen konnte ihren Pa nicht allein lassen und mußte ebenfalls erscheinen. Jork aber, der sehr einsilbig gewesen war, erklärte, als er erfahren hatte, daß Lydia das Konzert besuchen werde, zur Über¬ raschung aller, er werde jedenfalls auch hingehn. Zur festgesetzten Zeit erschien die Vergkapelle, diesesmal nicht mit Federbüschen, sondern in Zivil, denn der Direktor hatte es so haben wollen. Patriotismus, meinte er, sei kein Königs-Geburtstag, sondern Privatsache. Bald darauf sah man Olmann, Jdchen und Fran Duttmüller, nämlich die alte Duttmüllern, die sich jetzt schon fast dauernd in Holzweißig aufhielt, den Kirschberg emporsteigen. Sie thaten es mit großer Wichtigkeit, denn sie betrachteten sich nicht als gewöhnliches Publikum, sondern als Hauptpersonen, die zwar nicht gerade die Musik selber machten, aber doch mit der Kapelle verschwägert und befreundet waren. Und man mußte doch zeitig kommen, um einen guten Platz zu erhalten. — Dann erschien der Herr Oberst¬ leutnant, das heißt, er saß in feinem Rollstuhle und wurde von Klapphorn im Schweiße seines Angesichts auf den Kirschberg befördert. Hinterher gingen Ellen und Lydia. Nach geraumer Zeit setzten sich die bäuerlichen Notabilitäten in Gang. Voraus die Frau Schulzen und ihre Freundschaft, und in gemessenem Abstände die zugehörigen Männer mit der frisch angesteckten Zigarre im Munde. Man hatte zwar unter sich mit großem Eifer über das Konzert gesprochen, die besten Kleider herausgesucht und sich auf den Tag gefreut — deun was hatte man denn sonst in Holzweißig für Zeitvertreib? —, aber man durfte das beileibe nicht merken lassen. Darum ging man hübsch langsam und mit gleichgiltiger Miene, als wäre man noch unentschlossen, ob man überhaupt das Konzert seiner Gegenwart würdigen wollte. Dann erschien der Herr Kantor in seinem Obstgarten hinterm Stakete, kontrollierte den Standpunkt des Wetters und sah nach, ob sich der Festplatz — er konnte von seinem Garten aus gerade Hinsehen — genügend gefüllt habe. Danach hielt er es für angemessen, sein Manuskript in der Brusttasche, sich in Bewegung zu setzen, und es seiner Fran zu überlassen, nachzukommen, wann und wie sie konnte. Dann erschienen die Beamten von Heinrichshall, der Direktor, Wandrer, Doktor Olbrich, der Obersteiger, der alte Lchmbrand und wer sonst noch dienstfrei war, teils zu Wagen, teils zu Fuß. Dann ging die Sache los mit Armeemarsch Ur. 4, der ja Zum eisernen Bestände gehörte. Drillhose machte seine Sache gar nicht schlecht. Er dirigierte nach den besten militärischen Mustern mit Schneidigkeit und Intelligenz, »blitzte auf zum Himmel, blitzte zur Erde hinab" und hatte sowohl das schwere Bombardon als auch die leichtfertige« Klarinetten in Zaum und Zügel, und alles war darin einig, so feine Musik sei in Holzweißig noch nie gemacht worden. Sogar gewisse böse Stellen in der Ouvertüre gingen gnädig vorüber, und das große patriotische Potpourri mit Signalen, Trommelwirbeln und Paukenschlägeu war wahr¬ haft großartig und geeignet, die Vaterlandsliebe aller Anniesenden in hellerm Feuer erglühen zu macheu. Der Platz hatte sich mit der Zeit leidlich gefüllt. Es waren auch Einwohner erschienen, die, ihrer sozialen Stellung und der Zahl ihrer Morgen Acker entsprechend, uicht eigentlich zu deu staatserhaltenden Elementen gerechnet werden konnten, die aber doch ein Interesse für Musik und Getränke hatten. Auch das alte Weib mit ihrem Hvkerkram und ihren Zinnpfeifen für die liebe Jugend war wieder da und bewirkte, daß es im weiten Umkreise um den Kirschberg in den schrillsten Tönen Zirpte, wenn die Musikanten ihre Instrumente absetzten. Im Hintergründe, gleichsam "uf dem ersten Range, hatte sich die weibliche „Hootwvlleh" niedergelassen. Ernst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/163>, abgerufen am 17.06.2024.