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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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die Arbeiten des Parlaments förderten und erleichterten, ihre Unabhängigkeit, die
zugleich ihre Unbefangenheit sei, nicht aufgeben könne. Den Vorwurf, er sei
ein Gegner des tschechischen Volkes, wies er entschieden zurück, erkannte viel¬
mehr vollkommen dessen Bedeutung an. Auf der Suche uach dem Friedens¬
preis für beide Nationalitäten rage aber aus der Verwirrung der innern An¬
gelegenheiten nur ein klares, unverdunkeltes Ziel hervor, die Zukunft des
Staates. Das Abgeordnetenhaus folge aber den Bemühungen der Negierung
zu langsam. Die konstitutionelle Mechanik würde seine Auflösung empfehlen,
bis ein andres mit einer andern Gesinnung und größerer Arbeitslust gewühlt
werde. Aber es fragt sich, ob die Bevölkerung nicht ungeduldig werden und
eine Radikalkur verlangen werde. Wie nun, wenn sich eine Regierung, und
zwar die ernsteste und gewissenhafteste, auf solche Wünsche und die Un¬
geduld der Bevölkerung berufen und im dringendsten Interesse der Stants-
notwendigkeit an die Verfassung griffe, greifen müsse? Die Regierung wäre
für alle Zeiten entlastet, vor der Verurteilung durch die Geschichte gesichert
und könne unter Umständen mit vollem Recht als die Retterin des Staates
anerkannt werden. Tiefe Wirkung erzielte dann das mahnende Wort des
Ministerpräsidenten: "Wir haben in diesem Reiche schon eine Verfassung zu-
sammenstürzen sehen, wir sollten eine Wiederholung vermeiden." Und niemand
konnte an dem Ernst der Schlußwendung zweifeln: "Die Regierung will alles
thun, um eine solche Katastrophe zu vermeiden. Wir wollen arbeiten, um
den Frieden zwischen den Völkerschaften zustande zu bringen, das geistige und
das materielle Wohl der Bevölkerung zu fördern, das Ansehen und die Macht¬
stellung des Staates zu heben. Wir wollen in einer weniger erregten Zeit
einer Fortbildung der Verfassung, die ja nichts Vollendetes sein kann, weil
sie ein Menschenwerk ist, ans verfassungsmäßige Weise nicht aus dem Wege
gehn. Wir bitten Sie aber, den Blick ans das alle umfassende Vaterland
Und auf die unabweisbaren Bedürfnisse des Staates zu richten. Meine
Herren, lassen Sie das Parlament nicht schuldig werden!"

In wohlwollenderer Weise kann nicht wohl auf die nicht von der Re¬
gierung, sondern von dem Parlament selbst verschuldete Möglichkeit und Not-
Wendigkeit eines Staatsstreichs hingewiesen werden.

Freilich mußte dieser Hinweis weit mehr die unschuldigen Deutschen als
die schuldigen Tschechen treffen, von denen jene das Zentralparlament er¬
halten, diese es aus der Welt schaffen möchten. Die Obmänner der deutschen
Parteien forderten darum auch sofort eine Erläuterung des wahren Sinnes
der Aufsehen erregenden Rede des Ministerpräsidenten, der seine Worte nur
als Ausdruck der Sorge um die Zukunft des Staates bezeichnete, sodnß
die Meinung, es sei ein gewaltsamer Eingriff in die Verfassung beabsichtigt,
jeden Grund verlor. Und somit wurde auch die hohe Befriedigung der
Klerikalen und der Christlichsozialcn, die schon ihren Weizen unter dem
Absolutismus blühn zu sehen hofften, gegenstandslos. Die bedenklichste
Wirkung hatte dem äußern Anschein nach die Körbersche Rede auf die Tschechen,
die sich stellten, als ob die Drohungen des Ministerpräsidenten in ihnen nnr
den Wunsch nach baldiger Erfüllung erweckten, da sich dadurch die Regierung


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die Arbeiten des Parlaments förderten und erleichterten, ihre Unabhängigkeit, die
zugleich ihre Unbefangenheit sei, nicht aufgeben könne. Den Vorwurf, er sei
ein Gegner des tschechischen Volkes, wies er entschieden zurück, erkannte viel¬
mehr vollkommen dessen Bedeutung an. Auf der Suche uach dem Friedens¬
preis für beide Nationalitäten rage aber aus der Verwirrung der innern An¬
gelegenheiten nur ein klares, unverdunkeltes Ziel hervor, die Zukunft des
Staates. Das Abgeordnetenhaus folge aber den Bemühungen der Negierung
zu langsam. Die konstitutionelle Mechanik würde seine Auflösung empfehlen,
bis ein andres mit einer andern Gesinnung und größerer Arbeitslust gewühlt
werde. Aber es fragt sich, ob die Bevölkerung nicht ungeduldig werden und
eine Radikalkur verlangen werde. Wie nun, wenn sich eine Regierung, und
zwar die ernsteste und gewissenhafteste, auf solche Wünsche und die Un¬
geduld der Bevölkerung berufen und im dringendsten Interesse der Stants-
notwendigkeit an die Verfassung griffe, greifen müsse? Die Regierung wäre
für alle Zeiten entlastet, vor der Verurteilung durch die Geschichte gesichert
und könne unter Umständen mit vollem Recht als die Retterin des Staates
anerkannt werden. Tiefe Wirkung erzielte dann das mahnende Wort des
Ministerpräsidenten: „Wir haben in diesem Reiche schon eine Verfassung zu-
sammenstürzen sehen, wir sollten eine Wiederholung vermeiden." Und niemand
konnte an dem Ernst der Schlußwendung zweifeln: „Die Regierung will alles
thun, um eine solche Katastrophe zu vermeiden. Wir wollen arbeiten, um
den Frieden zwischen den Völkerschaften zustande zu bringen, das geistige und
das materielle Wohl der Bevölkerung zu fördern, das Ansehen und die Macht¬
stellung des Staates zu heben. Wir wollen in einer weniger erregten Zeit
einer Fortbildung der Verfassung, die ja nichts Vollendetes sein kann, weil
sie ein Menschenwerk ist, ans verfassungsmäßige Weise nicht aus dem Wege
gehn. Wir bitten Sie aber, den Blick ans das alle umfassende Vaterland
Und auf die unabweisbaren Bedürfnisse des Staates zu richten. Meine
Herren, lassen Sie das Parlament nicht schuldig werden!"

In wohlwollenderer Weise kann nicht wohl auf die nicht von der Re¬
gierung, sondern von dem Parlament selbst verschuldete Möglichkeit und Not-
Wendigkeit eines Staatsstreichs hingewiesen werden.

Freilich mußte dieser Hinweis weit mehr die unschuldigen Deutschen als
die schuldigen Tschechen treffen, von denen jene das Zentralparlament er¬
halten, diese es aus der Welt schaffen möchten. Die Obmänner der deutschen
Parteien forderten darum auch sofort eine Erläuterung des wahren Sinnes
der Aufsehen erregenden Rede des Ministerpräsidenten, der seine Worte nur
als Ausdruck der Sorge um die Zukunft des Staates bezeichnete, sodnß
die Meinung, es sei ein gewaltsamer Eingriff in die Verfassung beabsichtigt,
jeden Grund verlor. Und somit wurde auch die hohe Befriedigung der
Klerikalen und der Christlichsozialcn, die schon ihren Weizen unter dem
Absolutismus blühn zu sehen hofften, gegenstandslos. Die bedenklichste
Wirkung hatte dem äußern Anschein nach die Körbersche Rede auf die Tschechen,
die sich stellten, als ob die Drohungen des Ministerpräsidenten in ihnen nnr
den Wunsch nach baldiger Erfüllung erweckten, da sich dadurch die Regierung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/189>, abgerufen am 17.06.2024.