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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Im Lande der tausend Seen

starkknochige und hagere Gestalten, Gesichter, die man kurzweg als farblos
bezeichnen kann, fahle Haut, etwas schräggestellte helle Augen, die oft einen
stechenden Blick haben, das Haar von einem so nichtssagenden Blond, daß
das Ergrauen des Alters sich unmerklich vollzieht, breite hervorstehende Backen¬
knochen und meist etwas platt gedrückte Nasen charakterisieren den finnischen
Bauern.

Unter den Verkaufsständen fallen mehrere Buden auf, in denen Schürzen
und Röcke in finnischen Geschmack mit breiteingewebten, außerordentlich va¬
riierten Kanten in leuchtenden Farben feilgeboten werden. Sie sind ans den
großen Kunstwebercien der finnischen Industriestädte Wafel und Tammerfors
hervorgegangen. Meist zeigten sie sehr geschmackvolle echt nationale Muster,
und doch stieg uns beim Betrachten all der von einer lauflustiger Menge
umstandnen buntfarbigen Herrlichkeit unwillkürlich der wehmütige Gedanke an
vergangne Zeiten auf, wo die Fabriken noch nicht die Hausindustrie ver¬
drängt hatten, und der Stolz jeder finnischen Bäuerin darin bestand, eine
selbstgearbeitete Schürze ihr eigen zu nenneu, die oft durch Generationen
weiter vererbt wurde. Auf einem Stück schmaler im Haus gewebter Leinwand
ist in dunkelblauem oder schwarzem Garn eine der vollendetsten Guipürespitze
gleichkommende Stickerei ausgeführt, so fein, daß man nicht begreift, wie hart
arbeitende Bauernhände imstande sind, etwas so Schönes herzustellen. Eine
solche Baueruschürze ist das Resultat monatelanger, oft jahrelanger ange¬
strengter Arbeit. Als wir vor neunzehn Jahren zum erstenmal das Land der
tausend Seen bereisten, sahen wir noch häufig des Sonntags Bäuerinnen in
der kleidsamen finnischen Nationaltracht: ein rot oder gelb gesäumter dunkler
Rock, ein ebenso farbig eingekantctes hohes Mieder aus schwarzem oder
dunkelblauem Tuch, das vorn über dem weißen faltigen Hemd verschnürt
ist, an den Bündchen des am Handgelenk knapp anschließenden bauschigen
Ärmels sowie am Hals mit roter Kreuzstichstickerei verziert, das Haar ver¬
steckt unter einem helmartig gefalteten weißen Musseliutuch, über das manche
Frauen noch ein dunkelfarbiges Seidentuch tragen, und dazu wahre Pracht¬
stücke von Schürzen eigner Arbeit. Jetzt ist diese finnische Schürze güuzlich
verschwunden; wir haben im Laufe der letzten Jahre, soviel wir auch nach
alleil Richtungen das Land durchstreiften, kein Exemplar mehr davon zu sehen
bekommen.

Wir kauften uns zum Andenken eine der sich durch leuchtende Farben
auszeichnenden schwedischen Schürzen, die mit ihren in bunten Streifen ab¬
wechselnden gleichförmigen Mustern an die erinnern, die man bei den
Bäuerinnen der römischen Campagna trifft, und beeilten uns, an Deck zu
kommen, da vom Swer Dufwa schon das schrille Abfahrtssignal ertönte.

So anmutig die Fahrt durch die eigentümliche felsige Inselwelt der
Scheren ist, so freuten wir uns doch, als wir jetzt aus dem Gebiete der
Scheren in offnes Fahrwasser hinaus gelangten, und der Blick unbegrenzt
über die lcichtgekrüuselte sonnenbeglänzte Wasserflüche dahinschweifen konnte,
über der Scharen von Möwen mit weitgespannten silberglänzenden Flügeln
ihr Spiel trieben. Amüsant ist es, ihrem muntern Treiben zuzuschauen. Oft


Im Lande der tausend Seen

starkknochige und hagere Gestalten, Gesichter, die man kurzweg als farblos
bezeichnen kann, fahle Haut, etwas schräggestellte helle Augen, die oft einen
stechenden Blick haben, das Haar von einem so nichtssagenden Blond, daß
das Ergrauen des Alters sich unmerklich vollzieht, breite hervorstehende Backen¬
knochen und meist etwas platt gedrückte Nasen charakterisieren den finnischen
Bauern.

Unter den Verkaufsständen fallen mehrere Buden auf, in denen Schürzen
und Röcke in finnischen Geschmack mit breiteingewebten, außerordentlich va¬
riierten Kanten in leuchtenden Farben feilgeboten werden. Sie sind ans den
großen Kunstwebercien der finnischen Industriestädte Wafel und Tammerfors
hervorgegangen. Meist zeigten sie sehr geschmackvolle echt nationale Muster,
und doch stieg uns beim Betrachten all der von einer lauflustiger Menge
umstandnen buntfarbigen Herrlichkeit unwillkürlich der wehmütige Gedanke an
vergangne Zeiten auf, wo die Fabriken noch nicht die Hausindustrie ver¬
drängt hatten, und der Stolz jeder finnischen Bäuerin darin bestand, eine
selbstgearbeitete Schürze ihr eigen zu nenneu, die oft durch Generationen
weiter vererbt wurde. Auf einem Stück schmaler im Haus gewebter Leinwand
ist in dunkelblauem oder schwarzem Garn eine der vollendetsten Guipürespitze
gleichkommende Stickerei ausgeführt, so fein, daß man nicht begreift, wie hart
arbeitende Bauernhände imstande sind, etwas so Schönes herzustellen. Eine
solche Baueruschürze ist das Resultat monatelanger, oft jahrelanger ange¬
strengter Arbeit. Als wir vor neunzehn Jahren zum erstenmal das Land der
tausend Seen bereisten, sahen wir noch häufig des Sonntags Bäuerinnen in
der kleidsamen finnischen Nationaltracht: ein rot oder gelb gesäumter dunkler
Rock, ein ebenso farbig eingekantctes hohes Mieder aus schwarzem oder
dunkelblauem Tuch, das vorn über dem weißen faltigen Hemd verschnürt
ist, an den Bündchen des am Handgelenk knapp anschließenden bauschigen
Ärmels sowie am Hals mit roter Kreuzstichstickerei verziert, das Haar ver¬
steckt unter einem helmartig gefalteten weißen Musseliutuch, über das manche
Frauen noch ein dunkelfarbiges Seidentuch tragen, und dazu wahre Pracht¬
stücke von Schürzen eigner Arbeit. Jetzt ist diese finnische Schürze güuzlich
verschwunden; wir haben im Laufe der letzten Jahre, soviel wir auch nach
alleil Richtungen das Land durchstreiften, kein Exemplar mehr davon zu sehen
bekommen.

Wir kauften uns zum Andenken eine der sich durch leuchtende Farben
auszeichnenden schwedischen Schürzen, die mit ihren in bunten Streifen ab¬
wechselnden gleichförmigen Mustern an die erinnern, die man bei den
Bäuerinnen der römischen Campagna trifft, und beeilten uns, an Deck zu
kommen, da vom Swer Dufwa schon das schrille Abfahrtssignal ertönte.

So anmutig die Fahrt durch die eigentümliche felsige Inselwelt der
Scheren ist, so freuten wir uns doch, als wir jetzt aus dem Gebiete der
Scheren in offnes Fahrwasser hinaus gelangten, und der Blick unbegrenzt
über die lcichtgekrüuselte sonnenbeglänzte Wasserflüche dahinschweifen konnte,
über der Scharen von Möwen mit weitgespannten silberglänzenden Flügeln
ihr Spiel trieben. Amüsant ist es, ihrem muntern Treiben zuzuschauen. Oft


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[0114] Im Lande der tausend Seen starkknochige und hagere Gestalten, Gesichter, die man kurzweg als farblos bezeichnen kann, fahle Haut, etwas schräggestellte helle Augen, die oft einen stechenden Blick haben, das Haar von einem so nichtssagenden Blond, daß das Ergrauen des Alters sich unmerklich vollzieht, breite hervorstehende Backen¬ knochen und meist etwas platt gedrückte Nasen charakterisieren den finnischen Bauern. Unter den Verkaufsständen fallen mehrere Buden auf, in denen Schürzen und Röcke in finnischen Geschmack mit breiteingewebten, außerordentlich va¬ riierten Kanten in leuchtenden Farben feilgeboten werden. Sie sind ans den großen Kunstwebercien der finnischen Industriestädte Wafel und Tammerfors hervorgegangen. Meist zeigten sie sehr geschmackvolle echt nationale Muster, und doch stieg uns beim Betrachten all der von einer lauflustiger Menge umstandnen buntfarbigen Herrlichkeit unwillkürlich der wehmütige Gedanke an vergangne Zeiten auf, wo die Fabriken noch nicht die Hausindustrie ver¬ drängt hatten, und der Stolz jeder finnischen Bäuerin darin bestand, eine selbstgearbeitete Schürze ihr eigen zu nenneu, die oft durch Generationen weiter vererbt wurde. Auf einem Stück schmaler im Haus gewebter Leinwand ist in dunkelblauem oder schwarzem Garn eine der vollendetsten Guipürespitze gleichkommende Stickerei ausgeführt, so fein, daß man nicht begreift, wie hart arbeitende Bauernhände imstande sind, etwas so Schönes herzustellen. Eine solche Baueruschürze ist das Resultat monatelanger, oft jahrelanger ange¬ strengter Arbeit. Als wir vor neunzehn Jahren zum erstenmal das Land der tausend Seen bereisten, sahen wir noch häufig des Sonntags Bäuerinnen in der kleidsamen finnischen Nationaltracht: ein rot oder gelb gesäumter dunkler Rock, ein ebenso farbig eingekantctes hohes Mieder aus schwarzem oder dunkelblauem Tuch, das vorn über dem weißen faltigen Hemd verschnürt ist, an den Bündchen des am Handgelenk knapp anschließenden bauschigen Ärmels sowie am Hals mit roter Kreuzstichstickerei verziert, das Haar ver¬ steckt unter einem helmartig gefalteten weißen Musseliutuch, über das manche Frauen noch ein dunkelfarbiges Seidentuch tragen, und dazu wahre Pracht¬ stücke von Schürzen eigner Arbeit. Jetzt ist diese finnische Schürze güuzlich verschwunden; wir haben im Laufe der letzten Jahre, soviel wir auch nach alleil Richtungen das Land durchstreiften, kein Exemplar mehr davon zu sehen bekommen. Wir kauften uns zum Andenken eine der sich durch leuchtende Farben auszeichnenden schwedischen Schürzen, die mit ihren in bunten Streifen ab¬ wechselnden gleichförmigen Mustern an die erinnern, die man bei den Bäuerinnen der römischen Campagna trifft, und beeilten uns, an Deck zu kommen, da vom Swer Dufwa schon das schrille Abfahrtssignal ertönte. So anmutig die Fahrt durch die eigentümliche felsige Inselwelt der Scheren ist, so freuten wir uns doch, als wir jetzt aus dem Gebiete der Scheren in offnes Fahrwasser hinaus gelangten, und der Blick unbegrenzt über die lcichtgekrüuselte sonnenbeglänzte Wasserflüche dahinschweifen konnte, über der Scharen von Möwen mit weitgespannten silberglänzenden Flügeln ihr Spiel trieben. Amüsant ist es, ihrem muntern Treiben zuzuschauen. Oft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/114>, abgerufen am 06.06.2024.