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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Das "Rotwelsch" des deutschen Gauners

Kriege, insbesondre der schwere Dreißigjährige, der das Bettler- und das Gaunertum
noch durch Zuführung der schlechtesten Bestandteile aus den Reihen der Kriegs¬
knechte verstärkte, während in den neuern Zeiten namentlich die französische Revo¬
lution, dann auch wohl noch die deutschen Befreiungskriege manchen unruhigen
Kopf unter die Gauner verschlagen haben mögen, insbesondre in die förmlich orga¬
nisierten Räuberbanden, die sich seit dem achtzehnten Jahrhundert überall in so er¬
schreckender Weise mehren. Sozusagen das klassische Land dieser Rttuberhorden ist
bekanntlich von jeher das kleine Schwaben (rotwelsch deshalb anch wohl "Ganfer-
Medine," d. h. Spitzbubenland genannt) gewesen, die Heimat Friedrich Schillers, der
"von seiner Wiege bis zum Doktorhut Räuberluft geatmet hat" Gerd. Kürnberger)
und darum -- auch abgesehen von der Tyrannei der Karlsschnle -- gleichsam als der
geborne Dichter der "Räuber" erscheint. Aber auch die Gegenden an beiden Ufern
des Rheins, der Hauptschauplatz der Arkaden des sogenannten "Schinderhannes"
(Johannes Bückler), des wohl am populärsten gewordnen aller "Räuberhauptleute,"
ferner der Spessart, der Odenwald und nicht zum wenigsten das jetzige Gro߬
herzogtum Hessen (nebst seinen Nachbargebieten) haben viel unter räuberischen Be¬
drückungen zu leiden gehabt. In Hessen fand -- wie Aos-Lallemand betont --
das Gauner- und Räubertum trotz vielen schon früh dagegen erlassenen, zum Teil
sogar sehr strengen landesherrlichen Verordnungen immer einen sehr "empfänglichen
Boden" vor, der dessen "stets lebendige starke Strömung von Süden und Westen
her fortdauernd" aufnahm und "sie dann wieder in gefährlich verbreiterter Weise
nach Norden und Nordosten hin abfließen" ließ. Noch zu Beginn des vorigen
Jahrhunderts wurden hier Polizei und Gerichte in fortwährender eifrigster Tätigkeit
gehalten durch die sogenannten Vogelsberger und Wetterauer Banden, über deren
Treiben uns die "aktenmäßige Darstellung" eines verdienten Kriminalisten, des
Gießener Hofgerichtsrats Friedrich Ludwig Adolf von Grvlmnnn genauern Auf¬
schluß gibt.

Erst das umsichtigere und zugleich energischere Vorgehn der Sicherheitsbe¬
hörden, namentlich der nach französischem Vorbilde eingeführten Gendarmerie, hat
allmählich in Verbindung rin der Umgestaltung der Strafen, der größern Sicherheit
der Gefängnisse gegen Flucht u. a. in. unsre Straßen und Wälder von dem Diebes-
"ut Rciubergesindel zu säubern vermocht, an dessen Greueltaten hente nur noch in
der Landbevölkerung einiger einst besonders stark betroffner Gegenden eine ver-
schwommne Erinnerung fortlebt.

Nicht verschwunden aber ist das deutsche Gaunertum; nur hat es in der
Gegenwart andre Formen und Gestalten angenommen. Der gewerbsmäßige Dieb,
der gewiegte Einbrecher unsrer Tage hat seine Tätigkeit vorwiegend in die großen
Städte verlegt, und der Hochstapler fährt gar auf der Eisenbahn in der ersten
Klasse von einem Luxusbad ins andre. Ebenso haben die altbewährten Gauner¬
praktiken unter dem Einflüsse des modernen Verkehrs und der Fortschritte von
Industrie nud Technik -- die sich die Verbrecher sofort dienstbar machten -- manche
Veränderungen erfahren; man vergleiche nnr einmal die Werkzeuge unsrer heutigen
"Geldspindknacker" mit denen eines Einbrechers vor fünfzig oder gar hundert
Johren! Das alles aber hat dann schließlich auch auf die Gaunersprache und
ihre tormiui töLdoiei eine gewisse Rückwirkung äußern müssen, sodaß sie jetzt viel¬
fach ein andres Gepräge zeigt als etwa zu deu Zeiten Luthers. Andrerseits tritt
uns freilich gerade hier auch wieder ein gewisser konservativer, ja patriarchalischer
Sinn des deutschen Gauncrtums entgegen, dem wir es zu verdanken haben, daß
sich neben neuern und neusten Sprachschöpfuugeu gaunerischen Witzes nach wie vor
ein fester Bestand älterer, ja ganz alter rotwelscher Wörter in fortdauerndem
lebendigen Gebrauche erhalten hat.

Es wird nun vielleicht mancher die Frage aufwerfen: Wodurch haben wir denn
überhaupt Kenntnis von unsrer Gaunersprache? Und sind die Überlieferungen
darüber auch alle zuverlässig und glaubwürdig? Darauf ist zu erwidern, daß wir


Das „Rotwelsch" des deutschen Gauners

Kriege, insbesondre der schwere Dreißigjährige, der das Bettler- und das Gaunertum
noch durch Zuführung der schlechtesten Bestandteile aus den Reihen der Kriegs¬
knechte verstärkte, während in den neuern Zeiten namentlich die französische Revo¬
lution, dann auch wohl noch die deutschen Befreiungskriege manchen unruhigen
Kopf unter die Gauner verschlagen haben mögen, insbesondre in die förmlich orga¬
nisierten Räuberbanden, die sich seit dem achtzehnten Jahrhundert überall in so er¬
schreckender Weise mehren. Sozusagen das klassische Land dieser Rttuberhorden ist
bekanntlich von jeher das kleine Schwaben (rotwelsch deshalb anch wohl „Ganfer-
Medine," d. h. Spitzbubenland genannt) gewesen, die Heimat Friedrich Schillers, der
„von seiner Wiege bis zum Doktorhut Räuberluft geatmet hat" Gerd. Kürnberger)
und darum — auch abgesehen von der Tyrannei der Karlsschnle — gleichsam als der
geborne Dichter der „Räuber" erscheint. Aber auch die Gegenden an beiden Ufern
des Rheins, der Hauptschauplatz der Arkaden des sogenannten „Schinderhannes"
(Johannes Bückler), des wohl am populärsten gewordnen aller „Räuberhauptleute,"
ferner der Spessart, der Odenwald und nicht zum wenigsten das jetzige Gro߬
herzogtum Hessen (nebst seinen Nachbargebieten) haben viel unter räuberischen Be¬
drückungen zu leiden gehabt. In Hessen fand — wie Aos-Lallemand betont —
das Gauner- und Räubertum trotz vielen schon früh dagegen erlassenen, zum Teil
sogar sehr strengen landesherrlichen Verordnungen immer einen sehr „empfänglichen
Boden" vor, der dessen „stets lebendige starke Strömung von Süden und Westen
her fortdauernd" aufnahm und „sie dann wieder in gefährlich verbreiterter Weise
nach Norden und Nordosten hin abfließen" ließ. Noch zu Beginn des vorigen
Jahrhunderts wurden hier Polizei und Gerichte in fortwährender eifrigster Tätigkeit
gehalten durch die sogenannten Vogelsberger und Wetterauer Banden, über deren
Treiben uns die „aktenmäßige Darstellung" eines verdienten Kriminalisten, des
Gießener Hofgerichtsrats Friedrich Ludwig Adolf von Grvlmnnn genauern Auf¬
schluß gibt.

Erst das umsichtigere und zugleich energischere Vorgehn der Sicherheitsbe¬
hörden, namentlich der nach französischem Vorbilde eingeführten Gendarmerie, hat
allmählich in Verbindung rin der Umgestaltung der Strafen, der größern Sicherheit
der Gefängnisse gegen Flucht u. a. in. unsre Straßen und Wälder von dem Diebes-
»ut Rciubergesindel zu säubern vermocht, an dessen Greueltaten hente nur noch in
der Landbevölkerung einiger einst besonders stark betroffner Gegenden eine ver-
schwommne Erinnerung fortlebt.

Nicht verschwunden aber ist das deutsche Gaunertum; nur hat es in der
Gegenwart andre Formen und Gestalten angenommen. Der gewerbsmäßige Dieb,
der gewiegte Einbrecher unsrer Tage hat seine Tätigkeit vorwiegend in die großen
Städte verlegt, und der Hochstapler fährt gar auf der Eisenbahn in der ersten
Klasse von einem Luxusbad ins andre. Ebenso haben die altbewährten Gauner¬
praktiken unter dem Einflüsse des modernen Verkehrs und der Fortschritte von
Industrie nud Technik — die sich die Verbrecher sofort dienstbar machten — manche
Veränderungen erfahren; man vergleiche nnr einmal die Werkzeuge unsrer heutigen
„Geldspindknacker" mit denen eines Einbrechers vor fünfzig oder gar hundert
Johren! Das alles aber hat dann schließlich auch auf die Gaunersprache und
ihre tormiui töLdoiei eine gewisse Rückwirkung äußern müssen, sodaß sie jetzt viel¬
fach ein andres Gepräge zeigt als etwa zu deu Zeiten Luthers. Andrerseits tritt
uns freilich gerade hier auch wieder ein gewisser konservativer, ja patriarchalischer
Sinn des deutschen Gauncrtums entgegen, dem wir es zu verdanken haben, daß
sich neben neuern und neusten Sprachschöpfuugeu gaunerischen Witzes nach wie vor
ein fester Bestand älterer, ja ganz alter rotwelscher Wörter in fortdauerndem
lebendigen Gebrauche erhalten hat.

Es wird nun vielleicht mancher die Frage aufwerfen: Wodurch haben wir denn
überhaupt Kenntnis von unsrer Gaunersprache? Und sind die Überlieferungen
darüber auch alle zuverlässig und glaubwürdig? Darauf ist zu erwidern, daß wir


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[0045] Das „Rotwelsch" des deutschen Gauners Kriege, insbesondre der schwere Dreißigjährige, der das Bettler- und das Gaunertum noch durch Zuführung der schlechtesten Bestandteile aus den Reihen der Kriegs¬ knechte verstärkte, während in den neuern Zeiten namentlich die französische Revo¬ lution, dann auch wohl noch die deutschen Befreiungskriege manchen unruhigen Kopf unter die Gauner verschlagen haben mögen, insbesondre in die förmlich orga¬ nisierten Räuberbanden, die sich seit dem achtzehnten Jahrhundert überall in so er¬ schreckender Weise mehren. Sozusagen das klassische Land dieser Rttuberhorden ist bekanntlich von jeher das kleine Schwaben (rotwelsch deshalb anch wohl „Ganfer- Medine," d. h. Spitzbubenland genannt) gewesen, die Heimat Friedrich Schillers, der „von seiner Wiege bis zum Doktorhut Räuberluft geatmet hat" Gerd. Kürnberger) und darum — auch abgesehen von der Tyrannei der Karlsschnle — gleichsam als der geborne Dichter der „Räuber" erscheint. Aber auch die Gegenden an beiden Ufern des Rheins, der Hauptschauplatz der Arkaden des sogenannten „Schinderhannes" (Johannes Bückler), des wohl am populärsten gewordnen aller „Räuberhauptleute," ferner der Spessart, der Odenwald und nicht zum wenigsten das jetzige Gro߬ herzogtum Hessen (nebst seinen Nachbargebieten) haben viel unter räuberischen Be¬ drückungen zu leiden gehabt. In Hessen fand — wie Aos-Lallemand betont — das Gauner- und Räubertum trotz vielen schon früh dagegen erlassenen, zum Teil sogar sehr strengen landesherrlichen Verordnungen immer einen sehr „empfänglichen Boden" vor, der dessen „stets lebendige starke Strömung von Süden und Westen her fortdauernd" aufnahm und „sie dann wieder in gefährlich verbreiterter Weise nach Norden und Nordosten hin abfließen" ließ. Noch zu Beginn des vorigen Jahrhunderts wurden hier Polizei und Gerichte in fortwährender eifrigster Tätigkeit gehalten durch die sogenannten Vogelsberger und Wetterauer Banden, über deren Treiben uns die „aktenmäßige Darstellung" eines verdienten Kriminalisten, des Gießener Hofgerichtsrats Friedrich Ludwig Adolf von Grvlmnnn genauern Auf¬ schluß gibt. Erst das umsichtigere und zugleich energischere Vorgehn der Sicherheitsbe¬ hörden, namentlich der nach französischem Vorbilde eingeführten Gendarmerie, hat allmählich in Verbindung rin der Umgestaltung der Strafen, der größern Sicherheit der Gefängnisse gegen Flucht u. a. in. unsre Straßen und Wälder von dem Diebes- »ut Rciubergesindel zu säubern vermocht, an dessen Greueltaten hente nur noch in der Landbevölkerung einiger einst besonders stark betroffner Gegenden eine ver- schwommne Erinnerung fortlebt. Nicht verschwunden aber ist das deutsche Gaunertum; nur hat es in der Gegenwart andre Formen und Gestalten angenommen. Der gewerbsmäßige Dieb, der gewiegte Einbrecher unsrer Tage hat seine Tätigkeit vorwiegend in die großen Städte verlegt, und der Hochstapler fährt gar auf der Eisenbahn in der ersten Klasse von einem Luxusbad ins andre. Ebenso haben die altbewährten Gauner¬ praktiken unter dem Einflüsse des modernen Verkehrs und der Fortschritte von Industrie nud Technik — die sich die Verbrecher sofort dienstbar machten — manche Veränderungen erfahren; man vergleiche nnr einmal die Werkzeuge unsrer heutigen „Geldspindknacker" mit denen eines Einbrechers vor fünfzig oder gar hundert Johren! Das alles aber hat dann schließlich auch auf die Gaunersprache und ihre tormiui töLdoiei eine gewisse Rückwirkung äußern müssen, sodaß sie jetzt viel¬ fach ein andres Gepräge zeigt als etwa zu deu Zeiten Luthers. Andrerseits tritt uns freilich gerade hier auch wieder ein gewisser konservativer, ja patriarchalischer Sinn des deutschen Gauncrtums entgegen, dem wir es zu verdanken haben, daß sich neben neuern und neusten Sprachschöpfuugeu gaunerischen Witzes nach wie vor ein fester Bestand älterer, ja ganz alter rotwelscher Wörter in fortdauerndem lebendigen Gebrauche erhalten hat. Es wird nun vielleicht mancher die Frage aufwerfen: Wodurch haben wir denn überhaupt Kenntnis von unsrer Gaunersprache? Und sind die Überlieferungen darüber auch alle zuverlässig und glaubwürdig? Darauf ist zu erwidern, daß wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/45>, abgerufen am 13.05.2024.