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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die private Feuerversicherung

Zu den Zweigen unsers wirtschaftlichen Lebens, die man heute am liebsten
herunterreißen möchten, gehören zwei ebenso notwendige wie natürliche Er¬
scheinungsformen des Kapitalismus: die Syndikate und die privaten Ver¬
sicherungsgesellschaften. Sie sind so recht Sündenböcke unsrer Zeit. "Fesselt
sie! Würgt sie! Schlagt sie tot!" Schreies und schreibts aus alleu Ecken. Drauf!
aber natürlich nicht etwa mit der eignen Faust, pfui! dazu sind wir doch viel
zu "human," sondern fein unpersönlich mit Gesetzesparagrcipheu und Verwcil-
tungsmaßrcgeln! Der Erfolg ist derselbe, und Ästhetik und Hygiene bleiben
gewahrt. Und der Staat? Oh, der ist klug und weise und atmet erleichtert
ans, wenn die Menge einen Sündenbock gefunden zu haben glaubt; er findet
zwar keine Schuld an ihm und wäscht nach Pilatusart die Hände, aber er
schmiedet die verlangten Waffen, wenn auch nicht ganz so scharf, wie es ge¬
wünscht wurde, so doch hinreichend, damit zu zwicken und zu zerquetschen, und
gehts gut, auch zu erdrosseln. Und dann kanns losgehn!

Das ist nun einmal so der Lauf der Dinge, und es hat eigentlich gar
keinen Zweck, sich darüber aufzuregen. Aber als Jurist gewöhnt, die Schuld-
frage zu prüfen, habe ich es auch in diesem Falle getan, und es will mir nicht
gelingen, mich davon zu überzeugen, daß -- die Juden die Brunnen vergiftet
haben. Diese Erkenntnis offen auszusprechen, nachdem die vox xoxuli als An¬
kläger und Richter geurteilt hat, scheint mir zwar ein mißliches Unterfangen,
zumal da das Verdikt im ganzen holzpapiernen Blättcrwalde fast einstimmigen
Widerhall gefunden hat; jedoch darf ich der nachdenklichen Geiuciude der
grünen Hefte schon zumuten, daß sie geduldig und vorurteilsfrei auch eine ab¬
weichende Ansicht anzuhören geneigt ist.

Doch ich muß mein Thema stark einschränken und will nicht von den
Syndikaten im allgemeinen und im besondern und von deu Privatunter¬
nehmungen sämtlicher Versicherungszweige reden, sondern meine Verteidigungs¬
rede ans die Privatfeuerversicherungsgesellschaften und ihre Syndikate beschränken.
Nicht etwa weil die andern Sündenböcklein einer Verteidigung nicht würdig
wären, sondern weil ich lieber in die Tiefe als in die Breite gehn möchte und
glaube, daß auch den andern Versicherungszweigen mehr damit gedient ist, wenn
die Haltlosigkeit der erhobnen Anschuldigungen und die Gefährlichkeit der ge¬
wählten Abwehrmittel für eine einzelne besonders stark angegriffne Versichernngs-
art nachgewiesen wird, als wenn sich die Verteidigung auf demselben Boden
der allgemeinen Redensarten hält, worauf sich die Anklagen zu bewegen
pflegen.




Die Feuerversicherung kann bei weitem uicht auf das hohe Alter zurück-
schauen, das ihre ältere Schwester, die Seeversicherung, für sich in Anspruch
nimmt, die in schwachen Keimen schon in einzelnen Institutionen des Altertums
vorhanden war und schon im dreizehnten und im vierzehnten Jahrhundert eine
reiche Ausgestaltung erfahren hatte. Die ersten Spuren eiuer Feuerversicherung
finden sich seltsamerweise auf Island, wo sich schon im dreizehnten Jahrhundert
regelmäßig Gruppen der steuerfähigen Bürger zur gemeinschaftlichen Tragung


Die private Feuerversicherung

Zu den Zweigen unsers wirtschaftlichen Lebens, die man heute am liebsten
herunterreißen möchten, gehören zwei ebenso notwendige wie natürliche Er¬
scheinungsformen des Kapitalismus: die Syndikate und die privaten Ver¬
sicherungsgesellschaften. Sie sind so recht Sündenböcke unsrer Zeit. „Fesselt
sie! Würgt sie! Schlagt sie tot!" Schreies und schreibts aus alleu Ecken. Drauf!
aber natürlich nicht etwa mit der eignen Faust, pfui! dazu sind wir doch viel
zu „human," sondern fein unpersönlich mit Gesetzesparagrcipheu und Verwcil-
tungsmaßrcgeln! Der Erfolg ist derselbe, und Ästhetik und Hygiene bleiben
gewahrt. Und der Staat? Oh, der ist klug und weise und atmet erleichtert
ans, wenn die Menge einen Sündenbock gefunden zu haben glaubt; er findet
zwar keine Schuld an ihm und wäscht nach Pilatusart die Hände, aber er
schmiedet die verlangten Waffen, wenn auch nicht ganz so scharf, wie es ge¬
wünscht wurde, so doch hinreichend, damit zu zwicken und zu zerquetschen, und
gehts gut, auch zu erdrosseln. Und dann kanns losgehn!

Das ist nun einmal so der Lauf der Dinge, und es hat eigentlich gar
keinen Zweck, sich darüber aufzuregen. Aber als Jurist gewöhnt, die Schuld-
frage zu prüfen, habe ich es auch in diesem Falle getan, und es will mir nicht
gelingen, mich davon zu überzeugen, daß — die Juden die Brunnen vergiftet
haben. Diese Erkenntnis offen auszusprechen, nachdem die vox xoxuli als An¬
kläger und Richter geurteilt hat, scheint mir zwar ein mißliches Unterfangen,
zumal da das Verdikt im ganzen holzpapiernen Blättcrwalde fast einstimmigen
Widerhall gefunden hat; jedoch darf ich der nachdenklichen Geiuciude der
grünen Hefte schon zumuten, daß sie geduldig und vorurteilsfrei auch eine ab¬
weichende Ansicht anzuhören geneigt ist.

Doch ich muß mein Thema stark einschränken und will nicht von den
Syndikaten im allgemeinen und im besondern und von deu Privatunter¬
nehmungen sämtlicher Versicherungszweige reden, sondern meine Verteidigungs¬
rede ans die Privatfeuerversicherungsgesellschaften und ihre Syndikate beschränken.
Nicht etwa weil die andern Sündenböcklein einer Verteidigung nicht würdig
wären, sondern weil ich lieber in die Tiefe als in die Breite gehn möchte und
glaube, daß auch den andern Versicherungszweigen mehr damit gedient ist, wenn
die Haltlosigkeit der erhobnen Anschuldigungen und die Gefährlichkeit der ge¬
wählten Abwehrmittel für eine einzelne besonders stark angegriffne Versichernngs-
art nachgewiesen wird, als wenn sich die Verteidigung auf demselben Boden
der allgemeinen Redensarten hält, worauf sich die Anklagen zu bewegen
pflegen.




Die Feuerversicherung kann bei weitem uicht auf das hohe Alter zurück-
schauen, das ihre ältere Schwester, die Seeversicherung, für sich in Anspruch
nimmt, die in schwachen Keimen schon in einzelnen Institutionen des Altertums
vorhanden war und schon im dreizehnten und im vierzehnten Jahrhundert eine
reiche Ausgestaltung erfahren hatte. Die ersten Spuren eiuer Feuerversicherung
finden sich seltsamerweise auf Island, wo sich schon im dreizehnten Jahrhundert
regelmäßig Gruppen der steuerfähigen Bürger zur gemeinschaftlichen Tragung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/570>, abgerufen am 26.05.2024.