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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Gräfin Susanna

Sie fuhr in ihren sanften Tönen fort zu summen:

Ihre Augen kochten, aber sie hütete sich, auch nur die leiseste Bewegung zu
machen. Anthony drückte sich in die duftende Nasenwand, stand still wie ein
Marmorbild und dachte: Ach, diese Augen, diese Lippen und diese Hand!

Sie nahm ihren Gesang wieder auf:

Und nach einigem weitern Zureden geschah das Unerhörte: auf Susannas
Daumen sitzend begann Perlinv Piumino ein Lied zu singen. Er warf das
Köpfchen zurück, öffnete seinen Schnabel und ließ seinen hellen, kristallklaren Sang
ertönen. Sein kleines Brüstchen bebte vor Eifer und Anstrengung.

Ist es nicht unglaublich? flüsterte Susanna. Es ist köstlich, ihn auf der Hand
zu fühlen. Sein ganzes Körperchen pocht wie ein Herz.

Und als sein Lied zu Ende war, da beugte sie sich ganz, ganz vorsichtig zu
ihm nieder und hauchte einen Kuß auf sein grünes Köpfchen.

Und nun fliegt fort, meine Vögelchen -- geht wieder euern Geschäften mich,
sagte sie. Lebt wohl! Auf Wiedersehen morgen!

Als sie aufstand, flatterte alles in buntem Wirbel um sie her.

Wollen auch wir weiter gehn? fragte sie Anthony, als sie die letzten Körner
von ihrem Kleide schüttelte. Wenn wir noch hier bleiben, glauben sie, sie kriegten
noch mehr, und für heute haben sie genug.

Sie machte ihren Sonnenschirm auf und ging mit Anthony wieder durch den
Hortensienweg.


Gräfin Susanna

Sie fuhr in ihren sanften Tönen fort zu summen:

Ihre Augen kochten, aber sie hütete sich, auch nur die leiseste Bewegung zu
machen. Anthony drückte sich in die duftende Nasenwand, stand still wie ein
Marmorbild und dachte: Ach, diese Augen, diese Lippen und diese Hand!

Sie nahm ihren Gesang wieder auf:

Und nach einigem weitern Zureden geschah das Unerhörte: auf Susannas
Daumen sitzend begann Perlinv Piumino ein Lied zu singen. Er warf das
Köpfchen zurück, öffnete seinen Schnabel und ließ seinen hellen, kristallklaren Sang
ertönen. Sein kleines Brüstchen bebte vor Eifer und Anstrengung.

Ist es nicht unglaublich? flüsterte Susanna. Es ist köstlich, ihn auf der Hand
zu fühlen. Sein ganzes Körperchen pocht wie ein Herz.

Und als sein Lied zu Ende war, da beugte sie sich ganz, ganz vorsichtig zu
ihm nieder und hauchte einen Kuß auf sein grünes Köpfchen.

Und nun fliegt fort, meine Vögelchen — geht wieder euern Geschäften mich,
sagte sie. Lebt wohl! Auf Wiedersehen morgen!

Als sie aufstand, flatterte alles in buntem Wirbel um sie her.

Wollen auch wir weiter gehn? fragte sie Anthony, als sie die letzten Körner
von ihrem Kleide schüttelte. Wenn wir noch hier bleiben, glauben sie, sie kriegten
noch mehr, und für heute haben sie genug.

Sie machte ihren Sonnenschirm auf und ging mit Anthony wieder durch den
Hortensienweg.


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[0608] Gräfin Susanna Sie fuhr in ihren sanften Tönen fort zu summen: Ihre Augen kochten, aber sie hütete sich, auch nur die leiseste Bewegung zu machen. Anthony drückte sich in die duftende Nasenwand, stand still wie ein Marmorbild und dachte: Ach, diese Augen, diese Lippen und diese Hand! Sie nahm ihren Gesang wieder auf: Und nach einigem weitern Zureden geschah das Unerhörte: auf Susannas Daumen sitzend begann Perlinv Piumino ein Lied zu singen. Er warf das Köpfchen zurück, öffnete seinen Schnabel und ließ seinen hellen, kristallklaren Sang ertönen. Sein kleines Brüstchen bebte vor Eifer und Anstrengung. Ist es nicht unglaublich? flüsterte Susanna. Es ist köstlich, ihn auf der Hand zu fühlen. Sein ganzes Körperchen pocht wie ein Herz. Und als sein Lied zu Ende war, da beugte sie sich ganz, ganz vorsichtig zu ihm nieder und hauchte einen Kuß auf sein grünes Köpfchen. Und nun fliegt fort, meine Vögelchen — geht wieder euern Geschäften mich, sagte sie. Lebt wohl! Auf Wiedersehen morgen! Als sie aufstand, flatterte alles in buntem Wirbel um sie her. Wollen auch wir weiter gehn? fragte sie Anthony, als sie die letzten Körner von ihrem Kleide schüttelte. Wenn wir noch hier bleiben, glauben sie, sie kriegten noch mehr, und für heute haben sie genug. Sie machte ihren Sonnenschirm auf und ging mit Anthony wieder durch den Hortensienweg.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/608>, abgerufen am 27.05.2024.