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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

ihm zu sehen ist, und reiche Anlagen umgeben es auch vor der Hauptfront, die
südwärts über das Unstruttal hinweg nach Wiese hinübersieht, und auf der west¬
lichen Seitenfront. Dort liegt, von einer niedrigen Mauer umgeben, der herrliche
Spielplatz, grüne Wiesengründe und Sandplätze und Kegelbahnen unter alten,
breitwipfligen Linden, die eben in üppiger duftender Blüte standen; daneben die
stattliche neue Turnhalle, und mitten drin in den Anlagen stehn Denkmäler alter
verdienter Lehrer, des langjährigen Rektors Anton (1844 bis 1866), des Ver¬
treters der altklassischer Tradition, und des Professors Hermann Steudener (1847
bis 1891), der den Unterricht im Deutschen und in der Geschichte auf die Höhe
gebracht hat. dazu das Denkmal für die in den Kriegen von 1866 und 1870/71
gefallnen ehemaligen Schüler (von 1875), ein hohes Postament mit einem
sterbenden Löwen darauf. Nicht weniger als 36 Namen meist ans alten Familien
sind auf den vier Seiten verzeichnet, nur die Namen, nicht die Bezeichnung der
militärischen Charge und nicht der Name der Schlacht, denn alle haben dasselbe
getan, sie sind gefallen "für König und Vaterland," 36 von einer einzigen kleinen
Schule, die niemals viel über hundert Schüler gehabt hat und augenblicklich
114 zählt! Ergreifend und erhebend zugleich trat hier der moderne Charakter
der Schule hervor; wahrhaftig, der preußische Militäradel weiß für sein Vaterland
zu sterben, es ist sein stolzes Vorrecht. Und schon beklagt die alte Schule den
Tod eines ihrer Zöglinge, der in Südwestafrika vor dem Feinde geblieben ist.
Mit solchen Erinnerungen und in so historischer Umgebung, die ans eine Geschichte
von vierzehnhundert Jahren zurückweist, liegt die Schule ganz abgeschlossen in länd¬
licher Stille fern von jeder größern Stadt; kein Wagengerassel, keine Dampfpfeife,
kein Klingeln und Dröhnen der "Elektrischen" stört diesen tiefen Frieden; nur das
Wehr der Unstrut rauscht von unten, und in den hohen Bäumen jubilieren die
Vögel. Und wie eine große Familie hält alles zusammen, schon weil die übrigens
auch im Kloster wohnenden Extraneer und die "Dorfschüler" aus Roßleben gegen¬
über den zweiundneunzig Alumnen wenig in Betracht kommen; ja die Schule steht
auch finanziell so ganz auf eignen Füßen, daß sie noch heute vom Staate keinen
Pfennig Zuschuß erhält, sie bildet auch eine selbständige Kirchengemeinde mit
eigner Kapelle und hat selbst die Polizei über ihren Bezirk. Aber wie ihre
Schüler aus ganz Norddeutschland stammen, so unterhält sie Beziehungen mit aller
Welt. Ein wunderbar konserviertes und doch modernisiertes Stück Mittelalter in
ihrer ländlichen Abgeschiedenheit, ihrer korporativen Geschlossenheit und ihrer
Stellung zu einem alten Adelsgeschlecht. Es ist doch gut, daß bei uns noch nicht
alles nivelliert und egalisiert ist; Gott bewahre uns davor!

Die Jubelfeier, zu der zwei splendid ausgestattete Festschriften, eine Geschichte
der Klosterschule 1854 bis 1904 und ein Album (Schülerverzeichnis) für dieselbe
Zeit im Verlage der Klosterschule erschienen waren, begann mit einem Abendgottes¬
dienst im Freien vor dem Hauptportal, den im Kreise der alten Schüler der Rektor
Professor Dr. Biereye abhielt, und feierlich klang der Gesang des Chorals "Ich
bete an die Macht der Liebe" unter Posaunenbcgleitung der Musik des Naum-
burger Artillerieregiments Nummer 55 in die Abendstille hinaus. Von acht Uhr
an sammelten sich dann die Festteilnehmer in dem großen luftigen Zelte, das als
Festhalle diente und unter den alten Bäumen des Spielplatzes aufgeschlagen war.
Da wurden fröhlich alte Freundschaften erneuert und neue Bekanntschaften zwang¬
los geschlossen. Auch die ältern Schüler beteiligten sich, frische, stramme Jungen,
manches echte Junkergesicht darunter, keines, das von großstädtischer Blässe und
Nervosität angekränkelt gewesen wäre, alle in einfacher grauer Joppe, keiner, der
von großstädtischer Geziertheit etwas an sich gehabt hätte, alle aber in ihrem
Benehmen formgewandt und respektvoll. Wie es mit ihren wissenschaftlichen Leistungen
steht, weiß ich nicht; es wird jedoch bemerkt, daß die Neigung, sich still in die
Studien zu versenken, verschwunden sei, wie überall, und daß das Interesse für
die klassischen Sprachen hinter Deutsch und Geschichte zurückgetreten sei. Da¬
gegen wird die körperliche Ausbildung mit Turnen, Schwimmen, Schlittschuhlaufen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

ihm zu sehen ist, und reiche Anlagen umgeben es auch vor der Hauptfront, die
südwärts über das Unstruttal hinweg nach Wiese hinübersieht, und auf der west¬
lichen Seitenfront. Dort liegt, von einer niedrigen Mauer umgeben, der herrliche
Spielplatz, grüne Wiesengründe und Sandplätze und Kegelbahnen unter alten,
breitwipfligen Linden, die eben in üppiger duftender Blüte standen; daneben die
stattliche neue Turnhalle, und mitten drin in den Anlagen stehn Denkmäler alter
verdienter Lehrer, des langjährigen Rektors Anton (1844 bis 1866), des Ver¬
treters der altklassischer Tradition, und des Professors Hermann Steudener (1847
bis 1891), der den Unterricht im Deutschen und in der Geschichte auf die Höhe
gebracht hat. dazu das Denkmal für die in den Kriegen von 1866 und 1870/71
gefallnen ehemaligen Schüler (von 1875), ein hohes Postament mit einem
sterbenden Löwen darauf. Nicht weniger als 36 Namen meist ans alten Familien
sind auf den vier Seiten verzeichnet, nur die Namen, nicht die Bezeichnung der
militärischen Charge und nicht der Name der Schlacht, denn alle haben dasselbe
getan, sie sind gefallen „für König und Vaterland," 36 von einer einzigen kleinen
Schule, die niemals viel über hundert Schüler gehabt hat und augenblicklich
114 zählt! Ergreifend und erhebend zugleich trat hier der moderne Charakter
der Schule hervor; wahrhaftig, der preußische Militäradel weiß für sein Vaterland
zu sterben, es ist sein stolzes Vorrecht. Und schon beklagt die alte Schule den
Tod eines ihrer Zöglinge, der in Südwestafrika vor dem Feinde geblieben ist.
Mit solchen Erinnerungen und in so historischer Umgebung, die ans eine Geschichte
von vierzehnhundert Jahren zurückweist, liegt die Schule ganz abgeschlossen in länd¬
licher Stille fern von jeder größern Stadt; kein Wagengerassel, keine Dampfpfeife,
kein Klingeln und Dröhnen der „Elektrischen" stört diesen tiefen Frieden; nur das
Wehr der Unstrut rauscht von unten, und in den hohen Bäumen jubilieren die
Vögel. Und wie eine große Familie hält alles zusammen, schon weil die übrigens
auch im Kloster wohnenden Extraneer und die „Dorfschüler" aus Roßleben gegen¬
über den zweiundneunzig Alumnen wenig in Betracht kommen; ja die Schule steht
auch finanziell so ganz auf eignen Füßen, daß sie noch heute vom Staate keinen
Pfennig Zuschuß erhält, sie bildet auch eine selbständige Kirchengemeinde mit
eigner Kapelle und hat selbst die Polizei über ihren Bezirk. Aber wie ihre
Schüler aus ganz Norddeutschland stammen, so unterhält sie Beziehungen mit aller
Welt. Ein wunderbar konserviertes und doch modernisiertes Stück Mittelalter in
ihrer ländlichen Abgeschiedenheit, ihrer korporativen Geschlossenheit und ihrer
Stellung zu einem alten Adelsgeschlecht. Es ist doch gut, daß bei uns noch nicht
alles nivelliert und egalisiert ist; Gott bewahre uns davor!

Die Jubelfeier, zu der zwei splendid ausgestattete Festschriften, eine Geschichte
der Klosterschule 1854 bis 1904 und ein Album (Schülerverzeichnis) für dieselbe
Zeit im Verlage der Klosterschule erschienen waren, begann mit einem Abendgottes¬
dienst im Freien vor dem Hauptportal, den im Kreise der alten Schüler der Rektor
Professor Dr. Biereye abhielt, und feierlich klang der Gesang des Chorals „Ich
bete an die Macht der Liebe" unter Posaunenbcgleitung der Musik des Naum-
burger Artillerieregiments Nummer 55 in die Abendstille hinaus. Von acht Uhr
an sammelten sich dann die Festteilnehmer in dem großen luftigen Zelte, das als
Festhalle diente und unter den alten Bäumen des Spielplatzes aufgeschlagen war.
Da wurden fröhlich alte Freundschaften erneuert und neue Bekanntschaften zwang¬
los geschlossen. Auch die ältern Schüler beteiligten sich, frische, stramme Jungen,
manches echte Junkergesicht darunter, keines, das von großstädtischer Blässe und
Nervosität angekränkelt gewesen wäre, alle in einfacher grauer Joppe, keiner, der
von großstädtischer Geziertheit etwas an sich gehabt hätte, alle aber in ihrem
Benehmen formgewandt und respektvoll. Wie es mit ihren wissenschaftlichen Leistungen
steht, weiß ich nicht; es wird jedoch bemerkt, daß die Neigung, sich still in die
Studien zu versenken, verschwunden sei, wie überall, und daß das Interesse für
die klassischen Sprachen hinter Deutsch und Geschichte zurückgetreten sei. Da¬
gegen wird die körperliche Ausbildung mit Turnen, Schwimmen, Schlittschuhlaufen


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[0066] Maßgebliches und Unmaßgebliches ihm zu sehen ist, und reiche Anlagen umgeben es auch vor der Hauptfront, die südwärts über das Unstruttal hinweg nach Wiese hinübersieht, und auf der west¬ lichen Seitenfront. Dort liegt, von einer niedrigen Mauer umgeben, der herrliche Spielplatz, grüne Wiesengründe und Sandplätze und Kegelbahnen unter alten, breitwipfligen Linden, die eben in üppiger duftender Blüte standen; daneben die stattliche neue Turnhalle, und mitten drin in den Anlagen stehn Denkmäler alter verdienter Lehrer, des langjährigen Rektors Anton (1844 bis 1866), des Ver¬ treters der altklassischer Tradition, und des Professors Hermann Steudener (1847 bis 1891), der den Unterricht im Deutschen und in der Geschichte auf die Höhe gebracht hat. dazu das Denkmal für die in den Kriegen von 1866 und 1870/71 gefallnen ehemaligen Schüler (von 1875), ein hohes Postament mit einem sterbenden Löwen darauf. Nicht weniger als 36 Namen meist ans alten Familien sind auf den vier Seiten verzeichnet, nur die Namen, nicht die Bezeichnung der militärischen Charge und nicht der Name der Schlacht, denn alle haben dasselbe getan, sie sind gefallen „für König und Vaterland," 36 von einer einzigen kleinen Schule, die niemals viel über hundert Schüler gehabt hat und augenblicklich 114 zählt! Ergreifend und erhebend zugleich trat hier der moderne Charakter der Schule hervor; wahrhaftig, der preußische Militäradel weiß für sein Vaterland zu sterben, es ist sein stolzes Vorrecht. Und schon beklagt die alte Schule den Tod eines ihrer Zöglinge, der in Südwestafrika vor dem Feinde geblieben ist. Mit solchen Erinnerungen und in so historischer Umgebung, die ans eine Geschichte von vierzehnhundert Jahren zurückweist, liegt die Schule ganz abgeschlossen in länd¬ licher Stille fern von jeder größern Stadt; kein Wagengerassel, keine Dampfpfeife, kein Klingeln und Dröhnen der „Elektrischen" stört diesen tiefen Frieden; nur das Wehr der Unstrut rauscht von unten, und in den hohen Bäumen jubilieren die Vögel. Und wie eine große Familie hält alles zusammen, schon weil die übrigens auch im Kloster wohnenden Extraneer und die „Dorfschüler" aus Roßleben gegen¬ über den zweiundneunzig Alumnen wenig in Betracht kommen; ja die Schule steht auch finanziell so ganz auf eignen Füßen, daß sie noch heute vom Staate keinen Pfennig Zuschuß erhält, sie bildet auch eine selbständige Kirchengemeinde mit eigner Kapelle und hat selbst die Polizei über ihren Bezirk. Aber wie ihre Schüler aus ganz Norddeutschland stammen, so unterhält sie Beziehungen mit aller Welt. Ein wunderbar konserviertes und doch modernisiertes Stück Mittelalter in ihrer ländlichen Abgeschiedenheit, ihrer korporativen Geschlossenheit und ihrer Stellung zu einem alten Adelsgeschlecht. Es ist doch gut, daß bei uns noch nicht alles nivelliert und egalisiert ist; Gott bewahre uns davor! Die Jubelfeier, zu der zwei splendid ausgestattete Festschriften, eine Geschichte der Klosterschule 1854 bis 1904 und ein Album (Schülerverzeichnis) für dieselbe Zeit im Verlage der Klosterschule erschienen waren, begann mit einem Abendgottes¬ dienst im Freien vor dem Hauptportal, den im Kreise der alten Schüler der Rektor Professor Dr. Biereye abhielt, und feierlich klang der Gesang des Chorals „Ich bete an die Macht der Liebe" unter Posaunenbcgleitung der Musik des Naum- burger Artillerieregiments Nummer 55 in die Abendstille hinaus. Von acht Uhr an sammelten sich dann die Festteilnehmer in dem großen luftigen Zelte, das als Festhalle diente und unter den alten Bäumen des Spielplatzes aufgeschlagen war. Da wurden fröhlich alte Freundschaften erneuert und neue Bekanntschaften zwang¬ los geschlossen. Auch die ältern Schüler beteiligten sich, frische, stramme Jungen, manches echte Junkergesicht darunter, keines, das von großstädtischer Blässe und Nervosität angekränkelt gewesen wäre, alle in einfacher grauer Joppe, keiner, der von großstädtischer Geziertheit etwas an sich gehabt hätte, alle aber in ihrem Benehmen formgewandt und respektvoll. Wie es mit ihren wissenschaftlichen Leistungen steht, weiß ich nicht; es wird jedoch bemerkt, daß die Neigung, sich still in die Studien zu versenken, verschwunden sei, wie überall, und daß das Interesse für die klassischen Sprachen hinter Deutsch und Geschichte zurückgetreten sei. Da¬ gegen wird die körperliche Ausbildung mit Turnen, Schwimmen, Schlittschuhlaufen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/66>, abgerufen am 24.05.2024.