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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Vor sieben Iahrhimdertelt

Laie" in die früher rein kirchliche Arbeit auch in andern Gebieten. Auch die
Männer, die die Kirchen bauten und schmückten, die ein Buch schrieben und
zierten, die Glocken gießen und Orgeln bauen konnten, waren früher sämtlich
Kleriker gewesen. Alle diese Arbeiten gingen jetzt allmählich auch in die
Hände der Laien über. Die Kunst blieb dabei noch durchaus beherrscht von
dem kirchlichen Ideal; aber mit dem Beginn der Mitarbeit der Laien war
doch der erste Schritt getan zur Bildung einer weltlichen Kunst. Wie die
neue scholastische Wissenschaft wurde auch die neue Kunst, die Gotik, nur
zögernd in Deutschland aufgenommen. Zisterzienser und Prümonstratenser
verbreiteten freilich den neuen Stil über ganz Deutschland, aber es bildete
sich doch hier erst ein Übergangsstil aus, der für die Kirchenbauten um die
Wende des zwölften und des dreizehnten Jahrhunderts bezeichnend ist. Die
Dome von Limburg und Bamberg, von Halberstadt und Magdeburg sind
klassische Beispiele dieses nicht reinen, aber reizvollen Stils. Etwas später
erst löste sich in der Malerei und in der Skulptur die alte Starrheit der
Formeu; der erwachende Sinn für die Natur, die Vertiefung des innern
Lebens und die Erweiterung des Anschauungskrcises schenkten im Laufe des
dreizehnten Jahrhunderts Deutschland die Blütezeit der Bildnerei, deren
Schöpfungen wir an den Domen zu Bamberg und zu Naumburg und in der
Wechselburger Kirche bewundern.

Noch überraschender ist es, zu sehen, wie zugleich im städtischen Leben
die Laien den Kreis ihrer Bethätigung noch weiter ausdehnten. So wurde
das klösterliche Spital damals zu einer bürgerlichen Anstalt. Nicht aus
Gegensatz zur Kirche, sondern weil sie die Mittel boten, gewannen die Bürger
etwa seit 1200 teil an Verwaltung und Leitung der Spitale, und schlie߬
lich ging nicht selten die Verwaltung ganz in die Hände des Rates über.
Zugleich erwachte in den Städten das Gefühl der Verpflichtung zur Armen¬
fürsorge: neben das kirchliche Almosen trat im dreizehnten Jahrhundert zuerst
eine städtische Gemeindcarmcnsteuer. Fast bezeichnender noch ist, daß in dieser
Zeit auch die Wahrung der Sittenzucht von der Verwaltung der Gemeinde
mit in die Hand genommen wurde, daß neben der Klosterschule die städtische
Schule entstand, der Schulmeister hier und dort in die Reihe der städtischen
Beamten trat, und daß der Betätigungsdrang der Laien sogar in die feste
Ordnung des Gottesdienstes Eingang fand, und die Klänge des deutschen
Liedes sich einfügten zwischen den lateinischen Meßgesang.

Bei all diesem handelte es sich um einen friedlichen Wettbewerb mit der
Kirche; aber es fehlte anch nicht an wirklicher Gegnerschaft. Gerade in dieser
Zeit traten zum erstenmal wieder Kirche und Häresie in einen ernsten Gegen¬
satz. In Norditalien und in Frankreich breitete sich nach 1200 das Katharcr-
tum mächtig aus. Viel weniger Boden fand es in Deutschland; aber auch
hier ging die Kirche mit aller Schärfe dagegen vor. Von der Mitte des
zwölften Jahrhunderts an hörte man schon am Rhein, in Süddeutschland, in
Osterreich von den "guten Leuten," in denen das Volk die rechten Nachfolger
des armen Jesus und seiner Apostel sah. Hier und dort erhoben sich die
Scheiterhaufen; mis man 1207 die Errichtung eines Bistums in Wien erwog,


Vor sieben Iahrhimdertelt

Laie» in die früher rein kirchliche Arbeit auch in andern Gebieten. Auch die
Männer, die die Kirchen bauten und schmückten, die ein Buch schrieben und
zierten, die Glocken gießen und Orgeln bauen konnten, waren früher sämtlich
Kleriker gewesen. Alle diese Arbeiten gingen jetzt allmählich auch in die
Hände der Laien über. Die Kunst blieb dabei noch durchaus beherrscht von
dem kirchlichen Ideal; aber mit dem Beginn der Mitarbeit der Laien war
doch der erste Schritt getan zur Bildung einer weltlichen Kunst. Wie die
neue scholastische Wissenschaft wurde auch die neue Kunst, die Gotik, nur
zögernd in Deutschland aufgenommen. Zisterzienser und Prümonstratenser
verbreiteten freilich den neuen Stil über ganz Deutschland, aber es bildete
sich doch hier erst ein Übergangsstil aus, der für die Kirchenbauten um die
Wende des zwölften und des dreizehnten Jahrhunderts bezeichnend ist. Die
Dome von Limburg und Bamberg, von Halberstadt und Magdeburg sind
klassische Beispiele dieses nicht reinen, aber reizvollen Stils. Etwas später
erst löste sich in der Malerei und in der Skulptur die alte Starrheit der
Formeu; der erwachende Sinn für die Natur, die Vertiefung des innern
Lebens und die Erweiterung des Anschauungskrcises schenkten im Laufe des
dreizehnten Jahrhunderts Deutschland die Blütezeit der Bildnerei, deren
Schöpfungen wir an den Domen zu Bamberg und zu Naumburg und in der
Wechselburger Kirche bewundern.

Noch überraschender ist es, zu sehen, wie zugleich im städtischen Leben
die Laien den Kreis ihrer Bethätigung noch weiter ausdehnten. So wurde
das klösterliche Spital damals zu einer bürgerlichen Anstalt. Nicht aus
Gegensatz zur Kirche, sondern weil sie die Mittel boten, gewannen die Bürger
etwa seit 1200 teil an Verwaltung und Leitung der Spitale, und schlie߬
lich ging nicht selten die Verwaltung ganz in die Hände des Rates über.
Zugleich erwachte in den Städten das Gefühl der Verpflichtung zur Armen¬
fürsorge: neben das kirchliche Almosen trat im dreizehnten Jahrhundert zuerst
eine städtische Gemeindcarmcnsteuer. Fast bezeichnender noch ist, daß in dieser
Zeit auch die Wahrung der Sittenzucht von der Verwaltung der Gemeinde
mit in die Hand genommen wurde, daß neben der Klosterschule die städtische
Schule entstand, der Schulmeister hier und dort in die Reihe der städtischen
Beamten trat, und daß der Betätigungsdrang der Laien sogar in die feste
Ordnung des Gottesdienstes Eingang fand, und die Klänge des deutschen
Liedes sich einfügten zwischen den lateinischen Meßgesang.

Bei all diesem handelte es sich um einen friedlichen Wettbewerb mit der
Kirche; aber es fehlte anch nicht an wirklicher Gegnerschaft. Gerade in dieser
Zeit traten zum erstenmal wieder Kirche und Häresie in einen ernsten Gegen¬
satz. In Norditalien und in Frankreich breitete sich nach 1200 das Katharcr-
tum mächtig aus. Viel weniger Boden fand es in Deutschland; aber auch
hier ging die Kirche mit aller Schärfe dagegen vor. Von der Mitte des
zwölften Jahrhunderts an hörte man schon am Rhein, in Süddeutschland, in
Osterreich von den „guten Leuten," in denen das Volk die rechten Nachfolger
des armen Jesus und seiner Apostel sah. Hier und dort erhoben sich die
Scheiterhaufen; mis man 1207 die Errichtung eines Bistums in Wien erwog,


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[0710] Vor sieben Iahrhimdertelt Laie» in die früher rein kirchliche Arbeit auch in andern Gebieten. Auch die Männer, die die Kirchen bauten und schmückten, die ein Buch schrieben und zierten, die Glocken gießen und Orgeln bauen konnten, waren früher sämtlich Kleriker gewesen. Alle diese Arbeiten gingen jetzt allmählich auch in die Hände der Laien über. Die Kunst blieb dabei noch durchaus beherrscht von dem kirchlichen Ideal; aber mit dem Beginn der Mitarbeit der Laien war doch der erste Schritt getan zur Bildung einer weltlichen Kunst. Wie die neue scholastische Wissenschaft wurde auch die neue Kunst, die Gotik, nur zögernd in Deutschland aufgenommen. Zisterzienser und Prümonstratenser verbreiteten freilich den neuen Stil über ganz Deutschland, aber es bildete sich doch hier erst ein Übergangsstil aus, der für die Kirchenbauten um die Wende des zwölften und des dreizehnten Jahrhunderts bezeichnend ist. Die Dome von Limburg und Bamberg, von Halberstadt und Magdeburg sind klassische Beispiele dieses nicht reinen, aber reizvollen Stils. Etwas später erst löste sich in der Malerei und in der Skulptur die alte Starrheit der Formeu; der erwachende Sinn für die Natur, die Vertiefung des innern Lebens und die Erweiterung des Anschauungskrcises schenkten im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts Deutschland die Blütezeit der Bildnerei, deren Schöpfungen wir an den Domen zu Bamberg und zu Naumburg und in der Wechselburger Kirche bewundern. Noch überraschender ist es, zu sehen, wie zugleich im städtischen Leben die Laien den Kreis ihrer Bethätigung noch weiter ausdehnten. So wurde das klösterliche Spital damals zu einer bürgerlichen Anstalt. Nicht aus Gegensatz zur Kirche, sondern weil sie die Mittel boten, gewannen die Bürger etwa seit 1200 teil an Verwaltung und Leitung der Spitale, und schlie߬ lich ging nicht selten die Verwaltung ganz in die Hände des Rates über. Zugleich erwachte in den Städten das Gefühl der Verpflichtung zur Armen¬ fürsorge: neben das kirchliche Almosen trat im dreizehnten Jahrhundert zuerst eine städtische Gemeindcarmcnsteuer. Fast bezeichnender noch ist, daß in dieser Zeit auch die Wahrung der Sittenzucht von der Verwaltung der Gemeinde mit in die Hand genommen wurde, daß neben der Klosterschule die städtische Schule entstand, der Schulmeister hier und dort in die Reihe der städtischen Beamten trat, und daß der Betätigungsdrang der Laien sogar in die feste Ordnung des Gottesdienstes Eingang fand, und die Klänge des deutschen Liedes sich einfügten zwischen den lateinischen Meßgesang. Bei all diesem handelte es sich um einen friedlichen Wettbewerb mit der Kirche; aber es fehlte anch nicht an wirklicher Gegnerschaft. Gerade in dieser Zeit traten zum erstenmal wieder Kirche und Häresie in einen ernsten Gegen¬ satz. In Norditalien und in Frankreich breitete sich nach 1200 das Katharcr- tum mächtig aus. Viel weniger Boden fand es in Deutschland; aber auch hier ging die Kirche mit aller Schärfe dagegen vor. Von der Mitte des zwölften Jahrhunderts an hörte man schon am Rhein, in Süddeutschland, in Osterreich von den „guten Leuten," in denen das Volk die rechten Nachfolger des armen Jesus und seiner Apostel sah. Hier und dort erhoben sich die Scheiterhaufen; mis man 1207 die Errichtung eines Bistums in Wien erwog,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/710>, abgerufen am 16.06.2024.