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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der deutschen Nationalhymnen

hat. Gottlob! heutzutage kann der bedauerliche Mißgriff, der früher mitunter
gemacht worden sein soll, nicht mehr geschehn, daß ein deutscher Fürst beim
Einzug in sein Ländchen mit dem Festgesang begrüßt wird: "Ich bin ein Preuße,
kennt ihr meine Farben?" Der verstorbne Herzog von Anhalt wurde einmal
in dieser Weise empfangen, als er nach Köthen kam. Als er auf diese Unge¬
hörigkeit aufmerksam gemacht wurde, meinte er lächelnd: "Mein Gott, die Leute
können doch nicht singen: Ich bin ein Kodder, kennt ihr meine Farben?" Heute
singen die Bewohner Anhalts bei einer solchen Gelegenheit ihre eigne National¬

hymne:

Es ist der dürftigste Nachahmungstrieb, der sich auf diesem Gebiete beendigt
hat. Der ganze Unterschied scheint darin zu bestehn, daß die Hymnen entweder
als "Heilgesänge" nach preußischem Muster oder als "segnende Hymnen" nach
englischem Vorbild angefertigt find. Nur in wenig Staaten hat die Landes¬
hymne eine originale Fassung und eine eigne Melodie erhalten. Sonst überall
derselbe Leierton. Als Proben mögen die Anfangsstrophen einiger National¬
hymen dienen. Die Bayern singen:

Die Sachsen singen:

Die Württemberger haben dieselbe Hymne wie die Badener. Die erste
Strophe lautet:


Grenzboten U1 1904 ^.
Zur Geschichte der deutschen Nationalhymnen

hat. Gottlob! heutzutage kann der bedauerliche Mißgriff, der früher mitunter
gemacht worden sein soll, nicht mehr geschehn, daß ein deutscher Fürst beim
Einzug in sein Ländchen mit dem Festgesang begrüßt wird: „Ich bin ein Preuße,
kennt ihr meine Farben?" Der verstorbne Herzog von Anhalt wurde einmal
in dieser Weise empfangen, als er nach Köthen kam. Als er auf diese Unge¬
hörigkeit aufmerksam gemacht wurde, meinte er lächelnd: „Mein Gott, die Leute
können doch nicht singen: Ich bin ein Kodder, kennt ihr meine Farben?" Heute
singen die Bewohner Anhalts bei einer solchen Gelegenheit ihre eigne National¬

hymne:

Es ist der dürftigste Nachahmungstrieb, der sich auf diesem Gebiete beendigt
hat. Der ganze Unterschied scheint darin zu bestehn, daß die Hymnen entweder
als „Heilgesänge" nach preußischem Muster oder als „segnende Hymnen" nach
englischem Vorbild angefertigt find. Nur in wenig Staaten hat die Landes¬
hymne eine originale Fassung und eine eigne Melodie erhalten. Sonst überall
derselbe Leierton. Als Proben mögen die Anfangsstrophen einiger National¬
hymen dienen. Die Bayern singen:

Die Sachsen singen:

Die Württemberger haben dieselbe Hymne wie die Badener. Die erste
Strophe lautet:


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[0717] Zur Geschichte der deutschen Nationalhymnen hat. Gottlob! heutzutage kann der bedauerliche Mißgriff, der früher mitunter gemacht worden sein soll, nicht mehr geschehn, daß ein deutscher Fürst beim Einzug in sein Ländchen mit dem Festgesang begrüßt wird: „Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben?" Der verstorbne Herzog von Anhalt wurde einmal in dieser Weise empfangen, als er nach Köthen kam. Als er auf diese Unge¬ hörigkeit aufmerksam gemacht wurde, meinte er lächelnd: „Mein Gott, die Leute können doch nicht singen: Ich bin ein Kodder, kennt ihr meine Farben?" Heute singen die Bewohner Anhalts bei einer solchen Gelegenheit ihre eigne National¬ hymne: Es ist der dürftigste Nachahmungstrieb, der sich auf diesem Gebiete beendigt hat. Der ganze Unterschied scheint darin zu bestehn, daß die Hymnen entweder als „Heilgesänge" nach preußischem Muster oder als „segnende Hymnen" nach englischem Vorbild angefertigt find. Nur in wenig Staaten hat die Landes¬ hymne eine originale Fassung und eine eigne Melodie erhalten. Sonst überall derselbe Leierton. Als Proben mögen die Anfangsstrophen einiger National¬ hymen dienen. Die Bayern singen: Die Sachsen singen: Die Württemberger haben dieselbe Hymne wie die Badener. Die erste Strophe lautet: Grenzboten U1 1904 ^.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/717>, abgerufen am 28.05.2024.