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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Königin Anise und die preußische Politik

In den nächsten Monaten war sie freilich von der ihr cmfgeladnen Ver¬
antwortung seelisch auf das tiefste bedrückt; dazu kam ihre schwere körperliche
Erkrankung. Mitten in der Krisis mußte sie von ihren Getreuen vor den
Franzosen geflüchtet und über das Eis des Haffs, die Wellen der Ostsee und
die Schneefelder Ostpreußens nach Memel gebracht werden. Wie aber ihr zarter
Körper hier alle Gefahren bezwang und die Krise überstand, so ging ihre
Seele siegreich aus schweren innern Kämpfen hervor. In den Tagen, wo sie
-- es war in einem ostpreußischen weltfernen Dorfe -- Harfners Klagelied in
ihr Tagebuch schrieb, lernte sie begreifen, daß die Zeit der kummervollen Nächte,
die über das Vaterland hereingebrochen war, keine unverschuldete Prüfung sei,
dercnhalber man sich beklagen dürfe wie über erlittne Unbill; sie verstand, daß
ihre und des Landes Leidenszeit eine notwendige Folge der Sorglosigkeit war,
womit der Hof, sie selbst mit eingeschlossen, die Beamten, das Heer dahin¬
gelebt hatten. Aber ihr genügte nicht die Erkenntnis, daß sich alle Schuld auf
Erden rächt, sie setzte sie um in die Tat. Ein starkes Gefühl der Verant¬
wortlichkeit, ein volles Bewußtsein dessen, was ihre Stellung verlange, ist in
ihr damals erwacht.

Bei keinem der Männer, die in Preußen in der ersten Reihe standen, hat
das nationale Unglück so rasch so starke sittliche Kräfte erweckt, wie bei dieser
einzigen Frau. Und so konnte sie denn in den schwersten Stunden, die dein
König und dem Lande noch bevorstanden, den Männern das leuchtendste Bei¬
spiel geben von unerschütterlichem Mut und zähem Festhalten an dem, was
Preußens Ehre ausmachte. Lebhaft wirkte sie dahin, daß der König die von
Napoleon im November angebotne Annäherung ablehnte; nach der Schlacht
von Ehlau bestärkte sie ihren Gemahl im Festhalten an Rußland, spornte sie
den Zaren zu regerer Kriegstätigkeit an.

Mehr als je drang sie darauf, daß im preußischen Ministerium Männer
von Ehrgefühl saßen. Je eifriger Napoleon das Verbleiben Hardenbergs an¬
kämpfte, um so stärker beschwor sie den König, gerade diesen "süperben" Mann
AU decken.

Der übrigen bisherigen Minister gedenkt sie ob ihres Schwachmuts mit
bitterm Spott, als sie an ihrer Abfahrt von Memel durch den Sturm gehindert
Mürbe. "Ich hätte ihn gern den Fischen gegönnt," schreibt sie von einem mit
scharfem Wort.

Und wiederum, als die Tage von Tilsit bevorstanden, da beschwört sie
ihren Gemahl, Preußen nicht tributpflichtig werden zu lassen, wie es so vielen
andern ergangen war: "Gebietsverlust darf uns nichts sein im Vergleich mit
der Aufopferung unsrer Freiheit. Gibst du die Freiheit auf, so wirst du zum
Gespött der Welt!"

Ist das nicht ein heldenhafter Mut, der uns an die Zeiten mahnt, wo
die Germanenfrauen nach Verlorner Schlacht lieber in der Wagenburg sterben
als Sklavinnen werden wollten? Welchen Eindruck müssen die Zeitgenossen,
muß die Umgebung erst davon gehabt haben! Nur die Größe dieses Eindrucks
kann einigermaßen erklären, aber nie entschuldigen, wenn schwache und kopflose
Männer nur auch geglaubt haben, die Königin könne etwas erreichen gegenüber


Königin Anise und die preußische Politik

In den nächsten Monaten war sie freilich von der ihr cmfgeladnen Ver¬
antwortung seelisch auf das tiefste bedrückt; dazu kam ihre schwere körperliche
Erkrankung. Mitten in der Krisis mußte sie von ihren Getreuen vor den
Franzosen geflüchtet und über das Eis des Haffs, die Wellen der Ostsee und
die Schneefelder Ostpreußens nach Memel gebracht werden. Wie aber ihr zarter
Körper hier alle Gefahren bezwang und die Krise überstand, so ging ihre
Seele siegreich aus schweren innern Kämpfen hervor. In den Tagen, wo sie
— es war in einem ostpreußischen weltfernen Dorfe — Harfners Klagelied in
ihr Tagebuch schrieb, lernte sie begreifen, daß die Zeit der kummervollen Nächte,
die über das Vaterland hereingebrochen war, keine unverschuldete Prüfung sei,
dercnhalber man sich beklagen dürfe wie über erlittne Unbill; sie verstand, daß
ihre und des Landes Leidenszeit eine notwendige Folge der Sorglosigkeit war,
womit der Hof, sie selbst mit eingeschlossen, die Beamten, das Heer dahin¬
gelebt hatten. Aber ihr genügte nicht die Erkenntnis, daß sich alle Schuld auf
Erden rächt, sie setzte sie um in die Tat. Ein starkes Gefühl der Verant¬
wortlichkeit, ein volles Bewußtsein dessen, was ihre Stellung verlange, ist in
ihr damals erwacht.

Bei keinem der Männer, die in Preußen in der ersten Reihe standen, hat
das nationale Unglück so rasch so starke sittliche Kräfte erweckt, wie bei dieser
einzigen Frau. Und so konnte sie denn in den schwersten Stunden, die dein
König und dem Lande noch bevorstanden, den Männern das leuchtendste Bei¬
spiel geben von unerschütterlichem Mut und zähem Festhalten an dem, was
Preußens Ehre ausmachte. Lebhaft wirkte sie dahin, daß der König die von
Napoleon im November angebotne Annäherung ablehnte; nach der Schlacht
von Ehlau bestärkte sie ihren Gemahl im Festhalten an Rußland, spornte sie
den Zaren zu regerer Kriegstätigkeit an.

Mehr als je drang sie darauf, daß im preußischen Ministerium Männer
von Ehrgefühl saßen. Je eifriger Napoleon das Verbleiben Hardenbergs an¬
kämpfte, um so stärker beschwor sie den König, gerade diesen „süperben" Mann
AU decken.

Der übrigen bisherigen Minister gedenkt sie ob ihres Schwachmuts mit
bitterm Spott, als sie an ihrer Abfahrt von Memel durch den Sturm gehindert
Mürbe. „Ich hätte ihn gern den Fischen gegönnt," schreibt sie von einem mit
scharfem Wort.

Und wiederum, als die Tage von Tilsit bevorstanden, da beschwört sie
ihren Gemahl, Preußen nicht tributpflichtig werden zu lassen, wie es so vielen
andern ergangen war: „Gebietsverlust darf uns nichts sein im Vergleich mit
der Aufopferung unsrer Freiheit. Gibst du die Freiheit auf, so wirst du zum
Gespött der Welt!"

Ist das nicht ein heldenhafter Mut, der uns an die Zeiten mahnt, wo
die Germanenfrauen nach Verlorner Schlacht lieber in der Wagenburg sterben
als Sklavinnen werden wollten? Welchen Eindruck müssen die Zeitgenossen,
muß die Umgebung erst davon gehabt haben! Nur die Größe dieses Eindrucks
kann einigermaßen erklären, aber nie entschuldigen, wenn schwache und kopflose
Männer nur auch geglaubt haben, die Königin könne etwas erreichen gegenüber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/743>, abgerufen am 16.06.2024.