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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die Amerikaner

wenn sie nicht dieses praktisch brauchbare Werkzeug wäre, kurz, klar, dabei reich
genug und übrigens auch zum bestimmten Befehlen höchst geeignet. Darum
besonders sagt man drüben mit so sichrer Überzeugung: Die Amerikaner sind
ein englisch sprechendes Volk und müssen es immer bleiben. Wie verschwindend
sind die französischen, spanischen, deutschen, indianischen Sprachbestandtcile, die
das Englische in Amerika für die Dauer aufgenommen hat!

Auch der Dank für die Fülle der Gaben, womit das englische Schrifttum
die englisch sprechenden Völker der Erde überschüttet, webt einen Faden über
das Meer. Er ist nur für die höher Gebildeten sichtbar, aber für diese be¬
deutet er auch etwas. Münsterbergs interessante Mitteilungen über die zu¬
nehmende Amerikcmisierung des Lesestoffs -- Literatur wollen wir nicht
sagen -- läßt doch die Tatsache bestehn, daß von Spencer bis Mrs. Browning
oder gar Kipling die englische Literatur der Bilduugshintergruud Nordamerikas
bleibt. Verschwindend ist der deutsche Einfluß auf die breitern Massen. Aber
freilich, was Goethe für Emerson gewesen, Lessing für Lowell, das wiegt viele
Romanbände auf!

Und doch sind die Amerikaner wieder etwas ganz andres. Als Lyell im
Jahre 1842 Kanada bereiste, bedrückten ihn wahrhaft die Engherzigkeit, der
Mangel an Großmut und die Vorurteile seiner Landsleute, die himmelweit ab¬
standen von dein großen Zuge im Leben und den Urteilen der Bürger der Ver¬
einigten Staaten. Er fand die "Kleinstädterei" der Kolonie verbunden mit der
Gehässigkeit des Grenzbewohners gegen seinen Nachbarn und versetzt mit den
übelsten Zügen des heimatlichen Charakters. "Sie kennen sehr wenig von den
Vereinigten Staaten und wünschen auch uicht mehr zu wissen." Der hoch¬
gebildete englische Gelehrte fühlte sich eingestandnermaßen in Boston oder
Newyork heimischer als in Quebek oder Toronto. Es ist auch heute nicht viel
anders. Der gestiegne Einfluß der Frankokanadier hat den Unterschied wo¬
möglich verstärkt. Man kann es in den Vereinigten Staaten überall hören:
Den Kanadiern fehlt der xurt, nicht bloß in der Wirtschaft, sondern auch in
der Politik.

Die Amerikaner sind eben doch Kinder Europas. Es ist falsch, die Ver¬
einigten Staaten als ein Land anzusehen, das gewissermaßen einer andern
Familie angehöre, als die unter monarchischer Führung heraugewachsueu euro¬
päischen Staaten. Denn wenn auch in diesen zu den bildenden oder umbildenden
Eingriffen mächtiger Hände, wie die Karls des Großen oder Peters des Großen
waren, noch die einflußreichen Gruppen des Adels und der Armee kommen,
die sich überall mit der Monarchie und durch diese ausgebildet haben, so genügt
doch ein Vergleich der Schweizer mit ihren mitteleuropäischen Nachbarn, zu er¬
kennen, wie unabhängig von ihren politischen Einrichtungen doch immer die
Völker bleiben, die einem Stamm entsprossen sind, eine Kultur empfange" haben
und unter demselben Himmelsstriche leben. Gerade in den Anfängen der Nationen
sind die Unterschiede gering; als es Kaiser und Kurfürsten gab, waren die
Siedlungen der Deutschen in den Wäldern des Ostens nicht viel anders als
die der nordamerikanischen Hinterwäldler, die fünfhundert Jahre später von den
jungen Kolonien am atlantischen Rande ausgingen. Außerdem zeigt uns die


Die Amerikaner

wenn sie nicht dieses praktisch brauchbare Werkzeug wäre, kurz, klar, dabei reich
genug und übrigens auch zum bestimmten Befehlen höchst geeignet. Darum
besonders sagt man drüben mit so sichrer Überzeugung: Die Amerikaner sind
ein englisch sprechendes Volk und müssen es immer bleiben. Wie verschwindend
sind die französischen, spanischen, deutschen, indianischen Sprachbestandtcile, die
das Englische in Amerika für die Dauer aufgenommen hat!

Auch der Dank für die Fülle der Gaben, womit das englische Schrifttum
die englisch sprechenden Völker der Erde überschüttet, webt einen Faden über
das Meer. Er ist nur für die höher Gebildeten sichtbar, aber für diese be¬
deutet er auch etwas. Münsterbergs interessante Mitteilungen über die zu¬
nehmende Amerikcmisierung des Lesestoffs — Literatur wollen wir nicht
sagen — läßt doch die Tatsache bestehn, daß von Spencer bis Mrs. Browning
oder gar Kipling die englische Literatur der Bilduugshintergruud Nordamerikas
bleibt. Verschwindend ist der deutsche Einfluß auf die breitern Massen. Aber
freilich, was Goethe für Emerson gewesen, Lessing für Lowell, das wiegt viele
Romanbände auf!

Und doch sind die Amerikaner wieder etwas ganz andres. Als Lyell im
Jahre 1842 Kanada bereiste, bedrückten ihn wahrhaft die Engherzigkeit, der
Mangel an Großmut und die Vorurteile seiner Landsleute, die himmelweit ab¬
standen von dein großen Zuge im Leben und den Urteilen der Bürger der Ver¬
einigten Staaten. Er fand die „Kleinstädterei" der Kolonie verbunden mit der
Gehässigkeit des Grenzbewohners gegen seinen Nachbarn und versetzt mit den
übelsten Zügen des heimatlichen Charakters. „Sie kennen sehr wenig von den
Vereinigten Staaten und wünschen auch uicht mehr zu wissen." Der hoch¬
gebildete englische Gelehrte fühlte sich eingestandnermaßen in Boston oder
Newyork heimischer als in Quebek oder Toronto. Es ist auch heute nicht viel
anders. Der gestiegne Einfluß der Frankokanadier hat den Unterschied wo¬
möglich verstärkt. Man kann es in den Vereinigten Staaten überall hören:
Den Kanadiern fehlt der xurt, nicht bloß in der Wirtschaft, sondern auch in
der Politik.

Die Amerikaner sind eben doch Kinder Europas. Es ist falsch, die Ver¬
einigten Staaten als ein Land anzusehen, das gewissermaßen einer andern
Familie angehöre, als die unter monarchischer Führung heraugewachsueu euro¬
päischen Staaten. Denn wenn auch in diesen zu den bildenden oder umbildenden
Eingriffen mächtiger Hände, wie die Karls des Großen oder Peters des Großen
waren, noch die einflußreichen Gruppen des Adels und der Armee kommen,
die sich überall mit der Monarchie und durch diese ausgebildet haben, so genügt
doch ein Vergleich der Schweizer mit ihren mitteleuropäischen Nachbarn, zu er¬
kennen, wie unabhängig von ihren politischen Einrichtungen doch immer die
Völker bleiben, die einem Stamm entsprossen sind, eine Kultur empfange« haben
und unter demselben Himmelsstriche leben. Gerade in den Anfängen der Nationen
sind die Unterschiede gering; als es Kaiser und Kurfürsten gab, waren die
Siedlungen der Deutschen in den Wäldern des Ostens nicht viel anders als
die der nordamerikanischen Hinterwäldler, die fünfhundert Jahre später von den
jungen Kolonien am atlantischen Rande ausgingen. Außerdem zeigt uns die


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[0772] Die Amerikaner wenn sie nicht dieses praktisch brauchbare Werkzeug wäre, kurz, klar, dabei reich genug und übrigens auch zum bestimmten Befehlen höchst geeignet. Darum besonders sagt man drüben mit so sichrer Überzeugung: Die Amerikaner sind ein englisch sprechendes Volk und müssen es immer bleiben. Wie verschwindend sind die französischen, spanischen, deutschen, indianischen Sprachbestandtcile, die das Englische in Amerika für die Dauer aufgenommen hat! Auch der Dank für die Fülle der Gaben, womit das englische Schrifttum die englisch sprechenden Völker der Erde überschüttet, webt einen Faden über das Meer. Er ist nur für die höher Gebildeten sichtbar, aber für diese be¬ deutet er auch etwas. Münsterbergs interessante Mitteilungen über die zu¬ nehmende Amerikcmisierung des Lesestoffs — Literatur wollen wir nicht sagen — läßt doch die Tatsache bestehn, daß von Spencer bis Mrs. Browning oder gar Kipling die englische Literatur der Bilduugshintergruud Nordamerikas bleibt. Verschwindend ist der deutsche Einfluß auf die breitern Massen. Aber freilich, was Goethe für Emerson gewesen, Lessing für Lowell, das wiegt viele Romanbände auf! Und doch sind die Amerikaner wieder etwas ganz andres. Als Lyell im Jahre 1842 Kanada bereiste, bedrückten ihn wahrhaft die Engherzigkeit, der Mangel an Großmut und die Vorurteile seiner Landsleute, die himmelweit ab¬ standen von dein großen Zuge im Leben und den Urteilen der Bürger der Ver¬ einigten Staaten. Er fand die „Kleinstädterei" der Kolonie verbunden mit der Gehässigkeit des Grenzbewohners gegen seinen Nachbarn und versetzt mit den übelsten Zügen des heimatlichen Charakters. „Sie kennen sehr wenig von den Vereinigten Staaten und wünschen auch uicht mehr zu wissen." Der hoch¬ gebildete englische Gelehrte fühlte sich eingestandnermaßen in Boston oder Newyork heimischer als in Quebek oder Toronto. Es ist auch heute nicht viel anders. Der gestiegne Einfluß der Frankokanadier hat den Unterschied wo¬ möglich verstärkt. Man kann es in den Vereinigten Staaten überall hören: Den Kanadiern fehlt der xurt, nicht bloß in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik. Die Amerikaner sind eben doch Kinder Europas. Es ist falsch, die Ver¬ einigten Staaten als ein Land anzusehen, das gewissermaßen einer andern Familie angehöre, als die unter monarchischer Führung heraugewachsueu euro¬ päischen Staaten. Denn wenn auch in diesen zu den bildenden oder umbildenden Eingriffen mächtiger Hände, wie die Karls des Großen oder Peters des Großen waren, noch die einflußreichen Gruppen des Adels und der Armee kommen, die sich überall mit der Monarchie und durch diese ausgebildet haben, so genügt doch ein Vergleich der Schweizer mit ihren mitteleuropäischen Nachbarn, zu er¬ kennen, wie unabhängig von ihren politischen Einrichtungen doch immer die Völker bleiben, die einem Stamm entsprossen sind, eine Kultur empfange« haben und unter demselben Himmelsstriche leben. Gerade in den Anfängen der Nationen sind die Unterschiede gering; als es Kaiser und Kurfürsten gab, waren die Siedlungen der Deutschen in den Wäldern des Ostens nicht viel anders als die der nordamerikanischen Hinterwäldler, die fünfhundert Jahre später von den jungen Kolonien am atlantischen Rande ausgingen. Außerdem zeigt uns die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/772>, abgerufen am 27.05.2024.