Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.Aus den Erinnerungen eines alten Burschenschafters Glatz gebracht wurde. Der Transport, der unter Begleitung von Zivilwächtern Ein Baugefangner, Schwarz, erregte unsre besondre Aufmerksamkeit. Er trug In Glatz war ich infolge der scharfen Bergluft und der feuchten Käsematte Am 29. Oktober 1836, bis wohin ich im Militärlnzarett geblieben war, Aus den Erinnerungen eines alten Burschenschafters Glatz gebracht wurde. Der Transport, der unter Begleitung von Zivilwächtern Ein Baugefangner, Schwarz, erregte unsre besondre Aufmerksamkeit. Er trug In Glatz war ich infolge der scharfen Bergluft und der feuchten Käsematte Am 29. Oktober 1836, bis wohin ich im Militärlnzarett geblieben war, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0780" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295197"/> <fw type="header" place="top"> Aus den Erinnerungen eines alten Burschenschafters</fw><lb/> <p xml:id="ID_3715" prev="#ID_3714"> Glatz gebracht wurde. Der Transport, der unter Begleitung von Zivilwächtern<lb/> in einem Planwagen ausgeführt wurde, gewahrte uns bei der Blütezeit eiuen<lb/> hohen Genuß und richtete unsre bekümmerten Gemüter einigermaßen auf. Nur<lb/> betrübte es mich, daß mein Freund W. in Silberberg von mir getrennt wurde.<lb/> Am 17. Mai Abends traf ich in Glatz ein und wurde nach Vorführung bei dem<lb/> Kommandanten, General von Sandrart, einem milden, freundlichen Manne, auf dem<lb/> hochliegenden Donjon der Festung in einer Käsematte untergebracht. Als Stuben¬<lb/> genossen erhielt ich wieder den schon erwähnten Herrn von Massow. Das Ängst¬<lb/> liche des Untersuchungsarrestes horte nun auf. Man konnte sich auf dem Donjon<lb/> zu bestimmten Zeiten frei bewegen und genoß die Aussicht auf das Gebirge, wo<lb/> uns namentlich die Henschener häufig entzückte. Außer Massow war nur noch ein<lb/> ehemaliger Burschenschafter, Weiß aus Detmold, als Staatsgefangner auf der<lb/> Festung. Dagegen bildete eine große Zahl Baugefangner und Sträflinge, die<lb/> häufig vor unsern Fenstern Prügelstrafen erhielten, unsre gerade uicht angenehme<lb/> tägliche Umgebung. Zwei in Ketten rasselnde Baugefangne, ein Straßenräuber<lb/> und ein Mordbrenner, die wegen ihrer Gefährlichkeit nicht mit zur Arbeit geführt<lb/> wurden, besorgten unsre Aufwartung.</p><lb/> <p xml:id="ID_3716"> Ein Baugefangner, Schwarz, erregte unsre besondre Aufmerksamkeit. Er trug<lb/> wegen seiner Fluchtversuche um den Hals einen eisernen Ring, an dem zwei<lb/> eiserne, seinen Kopf überragende sogenannte Hörner befestigt waren, in deren<lb/> Mitte sich eine Glocke befand. Er hatte die Eigentümlichkeit, daß er infolge der<lb/> Gelenkigkeit seiner Glieder alle Fesseln von sich abzustreifen vermochte. Infolge<lb/> eines erneuten Fluchtversuchs — er hatte sich von dem hohen Donjon durch<lb/> die Kloaken in die Festungsgräben hinabgelassen — erhielt er an beiden Händen<lb/> eine sogeununte Weife, die die Hände fortgesetzt auseinander hielt, und bekam<lb/> in unsrer Nähe ein besondres Gefängnislokal, wo er viertelstündlich, Tag und<lb/> Nacht, von einem vor demselben aufgestellten Posten angerufen wurde. Dessen¬<lb/> ungeachtet bemerkte der Wärter eines Tages an seinen Händen Spuren, daß er<lb/> die Weife über die Hände abgestreift habe. Bei näherer Untersuchung ergab sich,<lb/> daß Schwarz angefangen hatte, den Boden zu unterminieren und die aufgebrachte<lb/> Erde in dem Ofen unterzubringen. Er erhielt nun ein in Fels gehauenes Ge¬<lb/> fängnis mit schmalen Fensteröffnungen. Aus diesem bemerkte der Posten eines<lb/> Tages Rauch dringen. Schwarz hatte Feuer an die Gefängnistür gelegt, um<lb/> durch sie ins Freie zu gelangen. Man fand ihn vom Rauche beinahe erstickt.<lb/> Einige Zeit später, nachdem er sich wieder erholt hatte, fand man ihn auf seinem<lb/> Lager fast verblutet. Er hatte sich mit einer Stopfnadel, die er zu verbergen<lb/> gewußt hatte, die Pulsader aufgerissen. Man brachte ihn nun ins Lazarett und<lb/> später, weil er auf der Festung nicht sicher zu überwachen war, in das Zuchthaus<lb/> zu Görlitz.</p><lb/> <p xml:id="ID_3717"> In Glatz war ich infolge der scharfen Bergluft und der feuchten Käsematte<lb/> fortwährend krank; ich litt an Vrustaffektioueu, halbseitigem Kopfschmerz, rheuma¬<lb/> tischer Anschwellung des Gesichts und der Füße und lag lange Zeit im Militär¬<lb/> lazarett. Der mich behandelnde Stabsarzt sprach sich dahin aus, daß für die Zeit<lb/> meines Aufenthalts in Glatz keine Besserung zu hoffen sei. Ich medizinierte fort¬<lb/> gesetzt, trank auch Salzbrunnen, ohne daß es besser wurde. Infolgedessen hatte<lb/> der menschenfreundliche Kommandant Veranlassung genommen, wegen unsrer Ver¬<lb/> setzung auf eine andre Festung höhern Orts Bericht zu erstatten. Darauf ging im<lb/> Dezember 1835 die Verfügung ein, daß Massow und ich nach Posen gebracht<lb/> werden sollten. Wir freuten uns darüber, zumal dn wir hofften, uns in Posen<lb/> als einer größern Stadt literarische Hilfsmittel leichter beschaffen zu könne», als<lb/> das in Glatz der Fall war.</p><lb/> <p xml:id="ID_3718" next="#ID_3719"> Am 29. Oktober 1836, bis wohin ich im Militärlnzarett geblieben war,<lb/> wurde endlich der Transport ansgeführt. Massow und ich fuhren in einem Plan¬<lb/> wagen unter Gcndarmenebcgleitung über Glogau, Franstadt, Lissa nach Posen, wo</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0780]
Aus den Erinnerungen eines alten Burschenschafters
Glatz gebracht wurde. Der Transport, der unter Begleitung von Zivilwächtern
in einem Planwagen ausgeführt wurde, gewahrte uns bei der Blütezeit eiuen
hohen Genuß und richtete unsre bekümmerten Gemüter einigermaßen auf. Nur
betrübte es mich, daß mein Freund W. in Silberberg von mir getrennt wurde.
Am 17. Mai Abends traf ich in Glatz ein und wurde nach Vorführung bei dem
Kommandanten, General von Sandrart, einem milden, freundlichen Manne, auf dem
hochliegenden Donjon der Festung in einer Käsematte untergebracht. Als Stuben¬
genossen erhielt ich wieder den schon erwähnten Herrn von Massow. Das Ängst¬
liche des Untersuchungsarrestes horte nun auf. Man konnte sich auf dem Donjon
zu bestimmten Zeiten frei bewegen und genoß die Aussicht auf das Gebirge, wo
uns namentlich die Henschener häufig entzückte. Außer Massow war nur noch ein
ehemaliger Burschenschafter, Weiß aus Detmold, als Staatsgefangner auf der
Festung. Dagegen bildete eine große Zahl Baugefangner und Sträflinge, die
häufig vor unsern Fenstern Prügelstrafen erhielten, unsre gerade uicht angenehme
tägliche Umgebung. Zwei in Ketten rasselnde Baugefangne, ein Straßenräuber
und ein Mordbrenner, die wegen ihrer Gefährlichkeit nicht mit zur Arbeit geführt
wurden, besorgten unsre Aufwartung.
Ein Baugefangner, Schwarz, erregte unsre besondre Aufmerksamkeit. Er trug
wegen seiner Fluchtversuche um den Hals einen eisernen Ring, an dem zwei
eiserne, seinen Kopf überragende sogenannte Hörner befestigt waren, in deren
Mitte sich eine Glocke befand. Er hatte die Eigentümlichkeit, daß er infolge der
Gelenkigkeit seiner Glieder alle Fesseln von sich abzustreifen vermochte. Infolge
eines erneuten Fluchtversuchs — er hatte sich von dem hohen Donjon durch
die Kloaken in die Festungsgräben hinabgelassen — erhielt er an beiden Händen
eine sogeununte Weife, die die Hände fortgesetzt auseinander hielt, und bekam
in unsrer Nähe ein besondres Gefängnislokal, wo er viertelstündlich, Tag und
Nacht, von einem vor demselben aufgestellten Posten angerufen wurde. Dessen¬
ungeachtet bemerkte der Wärter eines Tages an seinen Händen Spuren, daß er
die Weife über die Hände abgestreift habe. Bei näherer Untersuchung ergab sich,
daß Schwarz angefangen hatte, den Boden zu unterminieren und die aufgebrachte
Erde in dem Ofen unterzubringen. Er erhielt nun ein in Fels gehauenes Ge¬
fängnis mit schmalen Fensteröffnungen. Aus diesem bemerkte der Posten eines
Tages Rauch dringen. Schwarz hatte Feuer an die Gefängnistür gelegt, um
durch sie ins Freie zu gelangen. Man fand ihn vom Rauche beinahe erstickt.
Einige Zeit später, nachdem er sich wieder erholt hatte, fand man ihn auf seinem
Lager fast verblutet. Er hatte sich mit einer Stopfnadel, die er zu verbergen
gewußt hatte, die Pulsader aufgerissen. Man brachte ihn nun ins Lazarett und
später, weil er auf der Festung nicht sicher zu überwachen war, in das Zuchthaus
zu Görlitz.
In Glatz war ich infolge der scharfen Bergluft und der feuchten Käsematte
fortwährend krank; ich litt an Vrustaffektioueu, halbseitigem Kopfschmerz, rheuma¬
tischer Anschwellung des Gesichts und der Füße und lag lange Zeit im Militär¬
lazarett. Der mich behandelnde Stabsarzt sprach sich dahin aus, daß für die Zeit
meines Aufenthalts in Glatz keine Besserung zu hoffen sei. Ich medizinierte fort¬
gesetzt, trank auch Salzbrunnen, ohne daß es besser wurde. Infolgedessen hatte
der menschenfreundliche Kommandant Veranlassung genommen, wegen unsrer Ver¬
setzung auf eine andre Festung höhern Orts Bericht zu erstatten. Darauf ging im
Dezember 1835 die Verfügung ein, daß Massow und ich nach Posen gebracht
werden sollten. Wir freuten uns darüber, zumal dn wir hofften, uns in Posen
als einer größern Stadt literarische Hilfsmittel leichter beschaffen zu könne», als
das in Glatz der Fall war.
Am 29. Oktober 1836, bis wohin ich im Militärlnzarett geblieben war,
wurde endlich der Transport ansgeführt. Massow und ich fuhren in einem Plan¬
wagen unter Gcndarmenebcgleitung über Glogau, Franstadt, Lissa nach Posen, wo
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |